Christine Kappe

24.02.

Es ist gerade mal eine Woche her, da kam mir die Idee, den ukrainischen Freunden meines Vaters einen Brief zu schreiben. Die wussten ja noch gar nicht, dass er gestorben war. Das Vorhaben war nicht einfach, denn man Vater hatte eine Tastaturbelegung für die kyrillischen Buchstaben gewählt, die ich nicht kannte. Mit Tricks und Rätselraten, ungefähr so wie beim Transliterieren mittelalterlicher Handschriften, bekam ichs endlich raus und beugte mich neugierig über die Landkarte. Bestimmt konnten sie mir auch sagen, was vorging in ihrem Land…

Heute hat Russland die Ukraine überfallen und die Briefe werden noch gar nicht angekommen sein. Wie gut, dass mein Vater diesen Krieg nicht noch erleben muss. Er liebte seine ukrainischen Freunde sehr. Die Ukraine war eine Parallelwelt für ihn gewesen, der seinen eigenen Vater im 2. Weltkrieg dort verloren hatte.

Liebe Nina aus Truskavietz, vielleicht liest Du ja diesen Text. Wollen wir nicht den Schüleraustausch wieder aufleben lassen, den mein Vater vor über 20 Jahren startete? Brauchte man damals noch irgendein Visum? Im Nachlass meines Vaters finde ich eins, im Din-A-5-Format, hellblau-filligran. Er hat es säuberlich abgeheftet. Dieser Ordner ist… Geschichte. Jetzt braucht man kein Visum mehr, sondern ein Wunder. Frieden. Hoffen wir, dass wir daran wieder anknüpfen können in absehbarer Zeit!

Das Gefühl, zu spät zu sein. Das Gefühl, die eigentlich wichtigen Sachen zu verdaddeln, auf einem Sofa, mit übergroßen Kissen. So suche ich ein Ende für dieses Gedicht (es ist ja auch mal wieder keins) und ein bisschen Schlaf. Aber die Zeichen stehen auf Sturm.

25. Februar 2022 00:43