Andreas H. Drescher

AM RIFF

DARWIN:
So hart der Wind mir auch vor der Stirn steht und so tief ich mich auch in ihn hinein lehne: Er nimmt doch nichts von diesem Schwindel mit. Das ist ein anderes Meer als damals, mit vier Jahren, am Strand von Abergele. Kein Sand, um die Zehen hinein fahren zu lassen, wenn das Anlandige mit seinem Salzgeruch mich ankam. Hier liegt nichts unter mir als ständig neu geschrägte Planken. Auch nichts breit Daliegendes mehr in diesem Blau, das zugleich See und Himmel ist. Fortwährend fährt es um mich herum. Schlimmer noch: In mich hinein. Zu einem bösen Rühren, dass mir die eigenen, schlecht gezeichneten Korallen vor die Augen treibt. Schwarz kreisen sie vor mir wie der schwarze Samt-Rock meiner toten Mutter. Wenn der Sturm weiter so zunimmt, wird er bald wieder um mich sein, dieser Korallen-Rock, das Schwarz, das jetzt wieder aufsteigt…

MUTTER:
Korallen. Kein Lebewesen hat jemals etwas Größeres erschaffen. Steinkorallen voller Würmer und Weichtiere. Feuerkorallen voller Stachelhäuter und Krebse. Atolle, die von unten her auf den Meeresspiegel zu kriechen. Saumriffe entlang der Festlandsküste. Barriereriffe an der Kante des Kontinentalschelfs. Siehst du, wie sich die Erde formt und formt, mein Sohn? Das wird dir den Weg weisen.

(Aus dem Hörspiel „Darwins Schöpfungsgeschichte“, bei Bellerive)

9. Dezember 2009 13:18