Christian Lorenz Müller

PEINLICHERWEISE POETISCH VERGRÖSSERT

Dieses Gedicht hat große Angst
erwischt zu werden: In seiner Tasche
versteckt es ein Regentonnen-Teleskop,
das es in der Nacht
gern zum Himmel richtet.
Genau, es geht dem Gedicht um die Sterne,
die in der stets frisch geschliffenen
Wasserlinse zu sehen sind,
peinlicherweise bis zum Tausendfachen
poetisch vergrößert.

„Das ist Eskapismus, ausgerechnet in Richtung All“,
flüstert verschämt das Gedicht.
Es weiß um den Wasserstoff,
weiß, dass seine Metaphern
spätestens in zwei Milliarden Jahren
komplett verglühen werden,
und doch zieht es Nacht für Nacht
heimlich das Regentonnen-Teleskop hervor
und schaut und schaut
bis Wind aufkommt
der die Linse trübt.

12. September 2017 10:06










Christian Lorenz Müller

DIE REPUBLIK DER NACKTEN BÄUCHE

I

Das Ausrufezeichen hinterm Thalassa
ist grün und heißt Zypresse.
Nach einer weiteren Stunde Fahrt nur
flaggen wir unsere Handütcher
in die Steineichen
und gründen die Republik
der nackten Bäuche.
Este Bürgerpflicht: Das Ausruhen
im Schatten des Sonnensegels.
So sprechen es die Salbeizungen
die sich zu hunderten
parlamentarisch versammeln.

Frei und gleich sind die Wellen
vor dem Wind.

II

Zikaden zerkarsten die Stille.
Wie die Stunden versickern.
Du weißt nicht, wo sie sich sammeln,
ahnst es erst später, im Winter,
wenn Erinnertes
stetig aus dir strömt.

III

Abends ankert ein Inselchen
vor dem Kap, ein Boot
mit einem Leuchtturmmasten.
Schlüpfst du ins Zelt,
zieht es auf Fischfang.
Ein Bullauge, schimmert der Mond.

Am Morgen, noch bevor du
aus dem Schlafsack kriechst,
macht es wieder fest.

Lirica, sagt die Karte,
ist sein Name.

21. August 2017 15:32










Christian Lorenz Müller

SCHAUST HINEIN, HINAUS

Wasser glast in der der Gumpe.
Die Forelle kratzt
zwischen den Steinen
und dem gestürzten Stamm.

Die Sonne im Rücken
steigst du durchs Fenster,
durch sichtige Kühle.

Ein Gedicht muss sich nicht öffnen,
hat vielleicht keinen Griff
und wenn du hineinblickst
schaust du hinaus,
schaust hinaus, wenn die Strömung
die schwarze Gardine vorzieht,
den Schlamm.

11. August 2017 09:36










Christian Lorenz Müller

DIE WICHTIGSTEN PERSÖNLICHKEITEN ALLER ZEITEN

(Russische Umfrage vom 26.06.2017)

1.
Josef Wissarionowitsch Stalin
Bankräuber, Diktator, Massenmörder

2.
Wladimir Wladimirowitsch Putin
KGB-Agent, Judokämpfer, Autokrat
Alexander Sergejewitsch Puschkin
Dichter, Elegiker, Duellant

3.
Wladimir Ilitsch Lenin
Politischer Theoretiker, Revolutionär, Despot

27. Juni 2017 09:36










Christian Lorenz Müller

27. REGENTONNENVARIATION

Schäumender Bierkrug
nach dem Regen. Ein Prosit
auf den Preisträger.

23. Juni 2017 16:41










Christian Lorenz Müller

BECKEN

Die Verklärung der Glieder
in der tiefen Gumpe,
Allgegenwart Gottes
als aufgeschreckte Forelle:
So taufst du dich mit Kälte,
nach dreimaligem Tauchen
hastest du hinauf auf die Felsen
wo die Sonne wärmt,
wo du dich zitternd
neu geboren weißt.

22. Juni 2017 11:08










Christian Lorenz Müller

REGENTONNENVARIATIONEN 16 BIS 26 (Fake Poetry in Haiku)

Wie ein Bullauge
vor dem die Wolken fliegen,
die weißere Gischt.

Die Linse eines
Fernrohrs. Und schon ein Wasser-
läufer kratzt sie blind.

Der flüssige Kern
von einer Probebohrung
im Regenhimmel.

Der Rand der Tonne:
Einem Finger aus Wasser
aufgesteckter Ring.

Kleiner Handspiegel
für den Himmel: Gerade
zieht er Wolken nach.

Die Kinder kochen
Hexesuppe. Im Kessel
Wasser, Wolken, Gras.

An Sommertagen:
Plätzchenform, die ein Stück Blau
aus dem Himmel sticht.

Sommers das Fallrohr:
Ausgedörrte Kehle, die
nach dem Becher giert.

Ihr Überschäumen
bei Gewitter, und ringsum
der berauschte Garten.

Nach dem ersten Frost
kippst du die Tonne, du wirfst
den Diskus aus Eis.

Gesäubert steht sie
als leeres Glas. Das Frühjahr
erst schenkt wieder ein.

31. Mai 2017 15:51










Christian Lorenz Müller

RASENSCHIMMER WEIST IHR DEN WEG

Die letzten Hagebuttenlaternen
verlöschen. Die Buchen, bestückt
mit Leuchtdioden, mit Knospen.
Mit aufblendenden Blättern
steht das Buschwerk vor der Terrasse.
Der Kellner deklamiert drei Euro zwanzig
für einen Verlängerten,
eine junge Frau reicht Plastikgeld,
Kabelgerank eines Blauregens,
und streckt ihre koffeinierten Glieder.
Aufstehend: Was für ein herrlicher Tag!
Rasenschimmer weist ihr den Weg
von der Bühne, der gelbe Applaus
eifersüchtiger Narzissen
in dem das Knallen
ihrer Absätze verklingt.

(Zu „kein fenster, ein bild“ von Christine Kappe)

23. Mai 2017 11:12










Christian Lorenz Müller

BITTE BEACHTEN SIE

Kein Fenster, ein Bilderrahmen
in den eine junge Frau sich selber malt,
Sitzende in Betrachtung der Sonne.
Daneben ein Stilleben
mit Lampe und Ikea-Regal

sowie die bekannte Schwarze Katze
neben grün gestreiftem Vorhang.

Bitte beachten Sie: Die Ausstellung
schließt spätestens am Abend,
es schließen sich die Fenster
des Wohnblocks, und das Lächeln
der jungen Frau verschwindet.

7. Mai 2017 11:57










Christian Lorenz Müller

ZAZEN (Sitzen mit verschränkten Beinen)

Ein Wort ist keine Blüte.
Es bricht aus keiner Knospe
und hat keinen Duft.

Ein Wort ist nicht einsam,
ist nicht ängstlich,
fürchtet sich nicht
vor der Leere.
Es kennt keinen Gleichmut
und keine Empörung.

Es bedeutet sich nichts
und meint dennoch
immer sich selbst.

16. April 2017 19:06