Christian Lorenz Müller

GEHEIMNIS DES SAUFENS (München, Theresienwiese)

Rund um die U-Bahn-Station
ein lärmendes Geläute
aus Dirndlröcken.
Angetrunkene in Lederhosen
ziehen an den Schürzenbändern,
klingeln Flaschenklöppel aneinander.

Der Gottesdienst beginnt in wenigen Minuten.
Schon sinken die ersten auf die Knie,
beugen, biergläubig, ihr Haupt.
Sie stehen wieder auf, schwanken weiter,
der Gegenwart eines Gottes zu,
dreieinig aus Gerste, Hopfen, Malz.
In tausenden irdener Monstranzen
wird er immer wieder in die Luft gehalten,
höher noch und höher.
Im Rausch, dem Allmächtigen,
wird jede Seele gesund –

Geheimnis des Saufens, das ein Nüchterner
nicht zu verstehen vermag.

25. September 2018 10:03










Christian Lorenz Müller

BUKOWSKI LESEN IN SALZBURG

Andere Situation, denkst du dir,
als du nach einem Band Bukowski
mit einer Tasse Tee
am offenen Fenster stehst
und den Hausmeister dabei beobachtest
wie er die Bio-Tonnen
für die Abholung bereitstellt,
Plastikhumpen mit etwas Obergärigem darin.
Daneben der Rasen,
diese Wilkinson-glatte grüne Visage
mit zwei akkurat gestutzten
Büschen oder Koteletten links und rechts.
Aber da watscht deine neue Nachbarin
die Wohnungstüre gegen den Rahmen
und zerrt ihr Balg
durch das Stiegenhaus nach unten,
hinaus auf den Rasen.
Sie hat ihre Shorts bis zum Platzen
mit ihren Arschbacken ausgestopft
und ihre Flip-Flops schnalzen wie zwei Zungen
als sie ihrem Sprössling
zeternd hinterherläuft.
Er hat sich eines von seinen sieben
herumliegenden Fahrzeugen geschnappt,
vom Bobby-Car bis zum Fahrrad
ist alles dabei.
Sein Papa steuert einen BMW
mit einem Auspuff, der ärger röhrt
als ein kaputtes Alphorn.

Andere Situation, denkst du dir
mit Blick auf deine Tasse.
Bukowski hätte etwas Hartes getrunken
oder zumindest ein Bier.

28. August 2018 11:30










Christian Lorenz Müller

ES ROLLEN DIE HEISSEN TAGE (Gesänge an den Salat 1)

Die Pumpe: Dunkelgrün lackierte Achse
um die sich alles dreht.
Unermüdlich geht der Schwengel
auf und ab und auf und ab,
rollen die heißen Sommertage
über die Beete.
Aus allen verfügbaren Gießkannen
blitzen Speichen silbern zur Erde.
Hell klingelt das Wasser
auf der Haut, wenn du dir
einen Guss auf die Waden gönnst.
Der Himmel eine Packtasche,
zum Platzen angefüllt mit Blau,
und unablässig, unablässig
geht der Schwengel,
treibt dich die Sorge
um die Rücklicht-roten Tomaten,
um die Zucchini, die den Umfang
eines trainierten Oberschenkels hat.

Spätabends endlich steht das Rad.
Du liegst erschöpft im Gras,
schaust hinauf in den Himmel
wo der Mond
sein Standlicht eingeschaltet hat.

16. August 2018 10:46










Christian Lorenz Müller

HÄNGEMATTE AM MEER

Deine Hängematte: Natürlicher Bindebogen
zwischen zwei Aleppokiefern.
Seit Stunden das Konzert der Zikaden
und das Applausrauschen der Brandung.
Du trägst deine Bräune
wie einen gut geschnittenen Frack.
Immer wieder verneige ich mich
vor deinem Nabel,
vor dieser vollendet gespielten ganzen Note.
Das Salz in deinem Haar
ist das Kolophonium
das mich singen lässt.

Sforzatisches Blau bis zum Abend,
bis der Applaus verebbt,
die Hängematte
von den Bäumen genommen wird.

31. Juli 2018 13:35










Christian Lorenz Müller

ZUM TOD VON OLEG JURJEW

Gott atmete aus – und Nebel glitt über den Spiegel Land
radial ausbreitend sein graues Silber …
Die glatten Schatten begannen den Rand
rund zu umfließen, die eigenen Spuren tilgend.
Schatten tauscht Schatten, Nebel blättert um: Nebel.
Ein schwaches Grün sog in sich die Gegend.
Schon taute die letzte Schicht.
Sein Antlitz kam auf der Scheibe in Sicht.

… Ein Spiegelchen ja der Poet am Mund einer kranken Welt …

Aus: „In zwei Spiegeln“. Gedichte, 1984 – 2011.
Übersetzung aus dem Russischen: Elke Erb

9. Juli 2018 13:58










Christian Lorenz Müller

SONNWENDFEUER (HITZE IN HAIKU)

Die Funkenschwärme:
Mücken stechen ins Auge,
dann sterben sie schwarz.

Hell leuchtet der Keil,
er spaltet die Finsternis
zu klaffendem Holz.

Dichte Rauchwolken
quellen zum Himmel, nieseln
die Asche herab.

Knacken und Prasseln,
akustischer Funkenflug
der wieder verlöscht.

Am Ende stiere
Blicke vom Alkohol. Die
Glutaugen starren.

25. Juni 2018 10:12










Christian Lorenz Müller

ISRAELISCHES TERZETT

Tel Aviv

Tel Aviv, du baust dir deine Klippen
aus Stahl und aus Glas,
dein Autoverkehr brandet bis in den Sabbat
und immer kreisen die Möwen, die Maschinen
über Ben Gurion.
Tel Aviv, deine Falafel
sind Muscheln voll knuspriger Perlen,
deine Palmen schwimmen,
grüne Quallenschwärme, im Wind.
Tel Aviv, deine Wellen
tragen gläubige Surfer
zu einem Gott aus Endorphin,
deine Jugend liegt als öliger Tang
im warmen Sand
und immer verblaust du die Tage.

Frühling im Negev

Grüne Pfützen in der Wüste,
grünes Glucksen in den Wadis,
Gesprudel rings um ein Kibbuz.
Schafe schwimmen im Gras,
ein watendes Kamel.
Die Baracken der Beduinen
treiben durch den Tag.

An den Bushaltestellen
warten Ausflügler, keine Soldaten.
Halbautomatische Gewehre
haben sich in Paddel verwandelt.

Das pralle Schlauchbootblau
des Himmels
und eine junge Frau
die ihr Haar wie ein Handtuch
über die Schulter wirft.

Westliche Mauer

Die heiße Stirn
an der kühlen Vollkommenheit
des Steins: So hoch ist Gott,
so unbezwingbar hoch,
er kennt keine Tür,
öffnet sich, wenn du
mit deinen Küssen anklopfst,
wird weit, wenn du
die Ritzen, die Spalten
mit bekritzeltem Papier verfugst,
mit deiner weißen Sehnsucht.

Deine Seele, Charedi,
ist ein Mauersegler,
immer streicht sie
die große Wand entlang.

22. Juni 2018 10:11










Christian Lorenz Müller

JUNGE FRAU AUF BLAUEM FAHRRAD

Watet durchs Wasser:
Mit Stiefeln aus Haut, hinauf
bis über die Knie.

6. Juni 2018 09:13










Christian Lorenz Müller

URNE

Henkellose Kaffeetasse mit Deckel,
Trauer-to-go
an einem ganz gewöhnlichen Nachmittag.
Schwarz, aber nicht zu stark,
drei Stücke süßlicher Musik,
ein paar milchige Sätze.

Zwanzig Minuten Pause
von der Unsterblichkeit,
aber nur ein vorsichtiges Nippen
und beim Hinausgehen die Frage
Wohin damit? Die Antwort
liefert ein Aufkleber: Bio,
zu hundert Prozent kompostierbar.

14. Februar 2018 13:42










Christian Lorenz Müller

WEISS (WINTER IN HAIKU)

Wenn weiß sich an weiß
verschwendet, wenn die Stille
dich flockig umtanzt.

Wenn deinen Schieren
ein Fell wächst, wenn du lautlos
durch die Wälder schnürst.

Wenn du talwärts stiebst,
wenn du die Lawine bist,
die sich selbst verschont.

Wenn du gehst und gehst
und das Tal vergisst, wenn du
weißer wirst als weiß.

12. Februar 2018 09:01