Gerald Koll

Gestern Abend starb Theo Angelopoulos

„Ich erinnere mich, wie ich 1961 nach Paris ging. Ich trank davor mit ein paar Freunden, die mir das Ticket bezahlt hatten, denn ich ging auf gut Glück – einfach nur mit einem Ticket und weg war ich. Sie riefen: „Auf deinen Wunsch!“ Und mein Wunsch war: „Ich möchte viel reisen.“ Das ist eingetreten. Die Reise ist nicht einfach nur ein Ortswechsel oder nur eine Anhäufung von Kenntnissen. Sie ist mehr als das, sie setzt etwas in Bewegung. Zumindest bei mir mobilisert sie alles in einem solchen Maße, dass ich oft sage: Mein einziges Zuhause ist in einem Auto. Das ist der einzige Ort, an dem ich mich im Gleichgewicht mit mir selbst und der Welt befinde – neben meinem Fahrer, denn ich selbst kann nicht fahren. Meistens ist das während der Drehortsuche mein Fotograf, der zugleich mein Freund ist. Und so sehe ich durch das offene Fenster die Landschaft vorbeiziehen. Das ist meine Auffassung von Harmonie.“
(Theo Angelopoulos im Gespräch mit mir am 29. September 2001)

25. Januar 2012 17:03










Gerald Koll

Bräunerhof

Wäre der Fotograf hier im Bräunerhof, wo Thomas Bernhard naturgemäß einkehrte und mit verschränkten Armen über einer Wiener Melange verzweifelte, ein wenig höher platziert, hätte er in den Spiegeln sehen können, wie links und rechts auf der Bank neben dem Fotografen eine Unzahl Thomas-Bernhard-Anhänger mit verschränkten Armen über ihrer Wiener Melange verzweifelten, doch hätte er dazu die Arme entschränken und aufstehen müssen.

23. Januar 2012 09:33










Gerald Koll

Zazen-Sesshin (3)

Das Schweigen im Zazen-Sesshin bedeutet, den Morgen sprachlos zu beginnen und den Tag ohne Gutenachtgruß zu beenden, obwohl der Schlafboden unter dem niedrigen Dach zu intimer Enge verpflichtet. Die Gaumensegel meiner Schlafnachbarin brechen nachts das Schweigegebot, ohne dass sie davon erführe.
Geschwiegen wird auch während der Mahlzeiten. Aber man verbeugt sich oft. Als Servierer bestimmt, verbeuge ich mich, bevor ich mich erhebe, bevor ich den Topf auf das Tablett stelle, bevor ich mit dem Tablett den Rundgang beginne, bevor ich die ersten beiden Sitzenden bediene, mich hinknie, Suppe schöpfe, aufstehe, nachdem ich die ersten beiden Sitzenden bedient habe, die nächsten und die übernächsten und die überübernächsten. Schweigend empfange ich die Instruktion des namenlosen Meisters mit Sprachlizenz, den Daumen nicht auf den Rand der Schale zu legen, zum Auffüllen der Schale beide Knie zu beugen, mit der Kelle nicht im Topf zu schaben, gleichwohl das Feste aus der Tiefe des Topfes zu fischen, das leichte Wischen der Hände des Sitzenden als Zeichen ausreichender Portion zu verstehen, den in der Schale ruhenden Löffel als Zeichen erfolgter Sättigung zu verstehen, nach dem Erheben einen dem Sitzenden zugewandten Seitwärtsschritt zu unternehmen, um dem Eindruck vorzubeugen, sich schnöde abzuwenden, was eine vorschnelle Rechtswendung misslich mit sich brächte. Gleichwohl gelte es, diesem Seitwärtsschritt die Dezenz der Absichtslosigkeit zu geben.
Speditive Einnahme der Nahrung als Medizin. Schweigend werden wir Bauchredner. Die Vorhut der Rebellion?

22. Januar 2012 18:59










Gerald Koll

Zazen-Sesshin (2)

Heute ist der 27. Dezember, 14 Uhr, das heißt, dass die ersten sechs Sitzungen abgesessen sind, dass jeder Sitzende still und unablässig von eins bis zehn zählte, immer wieder, bis vierzig Minuten vorüber waren, bis sechs mal vierzig Minuten vorüber waren. Wie oft zählte ich in zweihundertvierzig Minuten von eins bis zehn? Auch das breiige Frühstück ist dankbar eingenommen, auch Samu, die Arbeitsstunde, ist vorüber, in schielender Ergebenheit ist Laub geharkt und der geneigten Winterwiese aufgetragen. Auch die Mittagsspeise ist unter federnden Verbeugungen serviert, vielfach mit Dank verziert und eiligst eingeschaufelt. Schweigend.

15. Januar 2012 19:45










Gerald Koll

Zazen-Sesshin (1)

In einem Winkel Deutschlands, wo Schlote und Stollen zu vermuten sind, befinden sich waldige Verstecke.
Dort, wo man nachts Käuze rufen hört, üben wir zazen. Zwölf mal täglich vierzig Minuten meditieren. Viereinhalb Tage lang. Wenn man dann nicht die innere Wand durchbricht, wann dann? In dieser Frage steckt ein Fehler.
Die Nacht zum ersten Tag gibt wenig Schlaf im Rasseln der Sucher der Stille. Geschlafen wird auf dem Dachboden. Der Spitzdachboden misst an seinem Scheitelpunkt ein Meter zwanzig. Die Füße keilen sich ins Dach.
Der namenlose Meister ist ein frischer alter Mann. Dreißig Jahre lang lebte er in einem japanischen Kloster. Vor zehn Jahren kam er nach Deutschland. Fragt man ihn, wie alt er sei, so sagt er: zwölf.

7. Januar 2012 10:05










Gerald Koll

Zwölf

Ein Himmel.
Ein Feld.
Drei Nüsse.
Zwei Wörter.
Drei Blätter.
Ein Zwerg.
Ein Punkt.

6. Januar 2012 12:17










Gerald Koll

hip and happy

20. Oktober 2011 16:40










Gerald Koll

Katholiken

Ein wahrer Katholik wird sich nicht nur im Berliner Olympiastadion unter Aufsicht des Heiligen Vaters als Katholik betrachten und betrachtet fühlen, sondern auch fünf Minuten später, wenn er im Anschluss an die Heilige Messe seine Tasche im Taschenaufbewahrungszelt abholt. Dort, im Taschenaufbewahrungszelt, musste jeder noch so fromme Katholik seine Tasche abgeben, damit niemand Waffen ins Stadion schmuggelt, um Anschläge zu verüben. Aus den fünf Minuten werden allerdings schnell ein bis zwei Stunden, weil es für 80.000 Katholikentaschen nur ein einziges Zelt gibt. Deshalb ist Geduld gefragt. Katholiken haben keine Geduld. Jedenfalls nicht die im Olympiastadion. Wenn die Katholiken an der Himmelspforte so miserabel Schlange stehen wie vor dem Taschenaufbewahrungszelt, werde ich auf ihren Himmel verzichten. Alle drängeln wie die Teufel. Besonders die polnischen Katholiken. Und unter den polnischen Katholiken besonders die kleinen Frauen. Die schieben sich gegenseitig einfach durch. Hier also, dachte ich, sehe ich das wahre Gesicht des Katholiken.

Was für Lumpen, dachte ich, was für miese Lumpen diese Katholiken doch sind. Im Stadion noch drücken sie verzückt ihre eigenen arglosen Babys den Ordnungskräften in die Hand, damit sie sie dem Heiligen Vater zutrügen, damit er sie segne. Auch reichen sie mir ihre Hände und wünschen mir leutselig Frieden, und fünf Minuten später knüppeln sie mich nieder, um zehn Sekunden schneller an ihre Tasche zu kommen. Eine Frau bekam direkt im Zelt einen hysterischen Anfall, als ihre Drängelei aufflog und ihr die Tasche verweigert wurde. Sie wurde von Ordnungshütern gewaltsam aus dem Zelt entfernt. „Lassen Sie mich los!“ schrie sie, „ich will meine Tasche“, schrie sie weiter, übrigens in akzentfreiem Deutsch, und ich wusste, wie sie Petrus anschreien wird, wenn er sie nicht durchlassen will. Dabei dachte ich noch wenige Minuten zuvor, als ich Petri Nachfolger Benedikt XVI. zuhörte, dass er es mir mit ein wenig Geduld weismachen könnte, dass man nur innerhalb der Kirche ein wirksamer Friedens- und Liebesbote sein kann (fern des Weinstocks wird die Rebe wertlos, man „wirft sie ins Feuer und sie verbrennen“ … was für ein hartgesottener Gleichniswähler dieser Papst doch ist), zumindest, wenn ich nur mehr Zeit im Weinstock verbrächte, in des römischen Bischofs direkter Umgebung, im apostolischen Palast im Vatikan, zumindest, sofern man dort verschont ist von dieser völlig beschissenen Christen-Popmusik, die im Olympiastadion lief, und verschont von schlangestehenden Katholiken.

23. September 2011 00:45










Gerald Koll

rowantree with rowanberries

21. September 2011 13:43










Gerald Koll

Es ist Erntezeit

7. September 2011 11:55