Gerald Koll

Die Meditation des Aikidokas Lewin im Jahr 1873

Noch eine und noch eine Reihe schritten sie ab. Schritten durch lange Reihen und kurze, mit gutem Gras, mit schlechtem. Lewin hatte jedes Zeitgefühl verloren und wusste überhaupt nicht mehr, ob es spät war oder früh. In seiner Arbeit vollzog sich nun eine Veränderung, die ihm riesiges Vergnügen bereitet. Mitten in der Arbeit gab es Minuten, da vergaß er, was er machte, ihm wurde leicht, und in diesen Minuten bekam er seine Reihe fast so gleichmäßig und gut hin wie Tit. Sobald ihm aber einfiel, was er machte, und er sich erneut bemühte, es besser zu machen, spürte er gleich wieder die ganze Last der Arbeit, und die Reihe wurde schlecht. (…)
Je länger Lewin mähte, desto öfter spürte er die Minuten der Entrückung, wobei nicht mehr die Arme die Sense schwangen, sondern die Sense den seiner selbst bewussten, lebensvollen Körper hinter sich herzog und wie durch Zauberei, ohne Gedanken daran, die Arbeit sich von allein machte, richtig und sorgfältig. Das waren die wohligsten Minuten.

Gutsherr Lewin geht während der Heumahd, des ersten Schnitts im Frühsommer, seiner Leidenschaft nach und reiht sich ein in die Sensen schwingenden Arbeiter.

(Zitiert aus: Lew Tolstoi: Anna Karenina. Teil 3, Kapitel IV/V. In der Übersetzung von Rosemarie Tietze.)

1. September 2011 09:06










Gerald Koll

Schnepfenjägerpaar mit Uhu

In der Nähe rief ein Uhu, und Laska schreckte auf, machte vorsichtig ein paar Schritte und lauschte, den Kopf zur Seite geneigt. Jenseits des Flüsschens war ein Kuckuck zu hören. Er rief zweimal auf die gewohnte Weise kuckuck, dann wurde er heiser, beeilte und verhaspelte sich.
„So was! Schon ein Kuckuck!“ sagte Stepan Arkadjitsch und trat hinterm Gebüsch vor.
„Ja, ich höre.“ Lewin störte ungern die Waldesstille mit seiner ihm selbst unangenehmen Stimme. „Bald ist es soweit.“
Stepan Arkadjitschs Gestalt verschwand wieder hinterm Gebüsch, und Lewin sah nur noch das helle Flämmchen eines Zündholzes, gleich danach die rote Glut einer Papirossa und blauen Rauch.
Tschik! Tschik! klickten die Flintenhähne, die Stepan Arkadjitsch spannte.
„Was schreit denn da?“ Oblonskis Frage lenkte Lewins Aufmerksamkeit auf ein langgezogenes Klagen, als ob mit dünner Stimme ein mutwilliges Fohlen wieherte.
„Das kennst du nicht? Ein Rammler. Doch lass das Reden! Hörst du, sie kommen!“ Lewin schrie es beinahe und spannte die Hähne.

Zwei befreundete Männer auf der Jagd nach der entscheidenden Aussage bzw. Auskunft über das Befinden Kittys, jener Schwägerin Stepan Arkadjitschs (= Oblonski), der Lewin wenige Monate zuvor vergeblich seinen Heiratswunsch angetragen hat.

(Zitiert aus: Lew Tolstoi: Anna Karenina. Teil 2, Kapitel XV. In der Übersetzung von Rosemarie Tietze.)

21. August 2011 18:06










Gerald Koll

urnäschs ende

Schnecken mit Nachbarin

nicht lange, und schon hatten die waldschnecken die ferne kusine miss mandys in einen weichen mantel geschmiegt. als was würde sie beim nächsten regen herausschlüpfen?

„die erste weiße flagge, die, wenn man sie schwenkt, bewirkt, dass der gegner aufgibt.“ (Jan aus Lausanne über die olfaktorische wirkung von aikido-anzügen nach dem einwöchigen sesshin)

6. August 2011 20:31










Gerald Koll

die ferne kusine in urnäsch

die verspätung der fernen kusine zum tee bei miss mandy in urnäsch …

die ferne kusine in urnäsch

beruhte allerdings auf ereignissen, die schauerlich genug waren.

5. August 2011 19:26










Gerald Koll

miss mandy in urnäsch

miss mandy saß heute in urnäscher bergen auf gebärenden schnecken und empfing gäste zum tee.

miss mandy in urnäsch

herr moll kam fast pünktlich, die verspätung der fernen kusine verstimmte.

4. August 2011 20:38










Gerald Koll

Urnäscher Nass

wie das regnet in urnäsch!
betäubt sind aikidoka und kühe,
nasser als wiesen,
kein läuten, kein klongeln aus almen
nur regen und regen ringsherum,
in den anzügen, eingelegt in schweißmolke,
die nicht lüftet, nicht trocknet
bis zum nächsten und nächsten
training im klitschigen urnäsch.

3. August 2011 13:53










Gerald Koll

meditation in urnäsch

sitzt du da, morgens, halbacht, auf den matten
meditieren wir. wir meditieren, meditieren wollen wir
aber innen wachsen bilder, die sich türmen,
kaum dass du die augen schließt.

Ists ein turm ists eine mauer ists gestein
und du sitzt mit geschlossenen augen
und bildet sich bruchstein und formen sich türme
und du sitzt und es türmen sich steine

und du schwitzt und du weißt nicht wieso
und wirst kalt und die hitze stiebt auswärts
und wirst turm mit kaltem gemäuer
wirst stein mit geschlossenen läden

und du sitzt und du sitzt und du wartest
dass der schweiß trocknet und blättert und
den körper bloßlegt und die wärme wieder
eindringt und den stein erweichen lässt.

2. August 2011 13:37










Gerald Koll

Aus Urnäsch

Jetzt eben, zu dieser Minute, während der Mittagspause einer sportiven Woche im Appenzeller Land, steht die These auf dem Prüfstand, dass das Denken der Wahrnehmung im Wege steht, denn die Herren Aikidoka spielen Schach.

Und Ueshiba, der kleine Gründer dieses Sports, hielt einstmals einhändig einen Stock waagerecht vor seinen Körper. Seitlich stemmten sich Männer dagegen (wie Sklaven am Ruder), doch der Stock bewegte sich nicht einen Zoll. Wie auch sollte er sich bewegen, rief Ueshiba, ich habe doch einen Kreis um euch gebildet!

1. August 2011 15:30










Gerald Koll

Klaus Kinski stochert am 25. Oktober 1985 in zerlaufenem Vanilleeis mit Himbeeren

„Außerdem hab‘ ich Leute mit der Hasselblad gesehen, die haben so schnell fotografiert wie kein Mensch mit der Leica. Das ist Talent, das nennt man ‚Talent‘, nicht?, man nennt es ‚Talent‘, man kann es auch anders nennen – es ist bekannt unter dem Namen ‚Talent‘.“
(…)
„Ich bin doch nur aus Zufall hier.“
Helga Guitton (RTL): „Nee.“
„Guck, jetzt sagt wie wieder: ‚Nee‘ und denkt, jetzt hat sie irgendwas gesagt.“

(The Klaus Kinski Estate Edition No 2: Kinski Talks 1)

4. Juni 2011 10:47










Gerald Koll

Vatertag

Der Vatertag geht zur Neige. Gerade habe ich meine Steuererklärung abgeschickt.
(Die Uhr in der Fußleiste geht eine Stunde nach.)

2. Juni 2011 22:58