Hendrik Rost

In Carmel inhuman

Eine Eiche mit Konstellation Tagesschau steht
vorm Haus als vertrauter Wächter, im Geäst
hängt das Zerebrum eines Wespennests,
das uns den Sommer über grübelnd fixiert hat:

Es zwiebelt tagelang nach einem Stich,
aber Schmerzhaftes, es kehrt nicht einfach zurück
in den Naturzustand. Zerstreuung, wie sie
Menschheit bewegt, hat mich nach den News

nach Kalifornien entführt, wo Seelöwen mit Codes
aus Grölen Lieder singen. Blubber heißt ihr Schutz
vor Elementen; kaum durchblutete Substanz.
Nahe dem Hawk Tower fällt die Küste steil ab

ins Meer – das Unerbittliche, durch den Fernseher
sogar ist es zu spüren. Der Mensch als Meister
aller Extreme, Bammel hat er vorm Wetter:
trübe Gedanken und blitzgescheites Gewisper.

(Danke sehr für das letzte Wort!)

17. September 2015 10:46










Hendrik Rost

Prototyp

Wusstest du nicht, es spricht nur eine Stimme
in allen und sie ist sichtbar wie Licht.

Du hast nur ein Leben, nutze es,
sagen sie, um dir Produkte zu verkaufen –

kurz leuchtet das Wort Pro-fite auf beim Notieren
wie richtiges Wissen: woida, indogermanisch,

ich habe gesehen. Und so nutznießt du die Marotten
und Tücken dieser Zivilisation:

Protest und Ackerbau, Viehzucht und Grips.

Ware lockt in der Manier alter Meister
auf einer Werbetafel in der S-Bahn.

Korrigiere Leben in Leier, berichtige nutze es zu nutzlos.
Dann geh zur Arbeit morgens

im ersten Licht und sieh zu,
sieh zu, wie du sprichst.

5. September 2015 19:48










Hendrik Rost

Pathos

Manche sagen, das Schönste,
was es gibt, das sei ein Buch
ohne Seiten, andere sagen,
ein Hund mit drei Beinen
auf einer Kriegsfotografie.
Das Schönste, was es gibt,
sagen einige, sei ein Gesicht,
das aus seiner Rolle ausbricht
und anfängt zu weinen oder
zu staunen: Eine ganze Flotte
von waffenstarrenden Schiffen
kommt den Fluss hoch. So sehr
ist er innig erwartet worden,
den Wandel, und dann fliegt er
in die Arme mit dem Wind.
Im Wesen des Kampfes liegt es,
dass einer besiegt wird. Helena,
sie verließ Mann und Kind für
einen anderen Kerl und den Tod,
so wie er jeden liebkost.
Angenommen hat sie ein
Geschlecht, das es gar nicht gibt:
nicht geboren, um Gefallen
zu finden. Sie bettet Reiz für
Reiz auf herausgerissene Seiten
und lässt sie ablecken von
Kötern. So lernt sie zu leben
in verlorenen Gesängen.

1. September 2015 09:15










Hendrik Rost

Selected Tweets

Heute habe ich bestimmt, dass das alles
nichts mit mir zu tun hat.
Ich habe kein Gedicht von Peter Handke erlebt.
Verstopfung ist ein Volksleiden
und es sind mehr Drogen im Umlauf,
als gesund ist: Heilsam ist das sicher nicht,
keine Entscheidungen treffen zu können.
Jugend mit Freiheit zu verwechseln.
Und kleine geheime Gedanken
für mehr zu halten als kleine geheime Gedanken:
sich zu hassen, weil man gern hörig wär.
Die Frisörin hat mir zwei lange Haare
in den Augenbrauen geschnitten.
Ich fühle mich jetzt vollkommen nackt
und decke mich zu mit den kuscheligen Fakten
Liebe, Schönheit, Tod.

20. August 2015 07:53










Hendrik Rost

Alle Sinne bestätigen

Ging mit Kleist um die Alster,
es ist in der Idylle auch Lülle, sagt er,
ist auch Pulver im Abschied,
dichtet er und zeigt auf den Reiher
im Schilf. Ist nicht falsch,
zu gewahren, jubelt er und
zielt mit dem Finger ins Blaue.
Schau im Schnabel eine Gabe,
da zappelt ein Maulwurf, rudert
mit Grabespfoten in Luft. Sagt er,
weine nicht um den Troglodyten,
der lernt jetzt fliegen, geht mit
der Vogelmutter, wird in der Kolonie
Futter fürs Kleinvieh. Kein Glück
für ihn auf Erden. Sagt er:
Wir wollten nie nur laufen
um den Wannsee, wollten im Grunde
ersaufen, nichts in der Welt,
das uns abhält, in aller Munde.

14. Juli 2015 11:25










Hendrik Rost

So die Anziehungskraft

Was leicht ist, muss nach oben stürzen.
Es gibt nichts Schönes, außer man tötet es.
Es schwingen die Zungen, die Äxte.
Einer oder tausend, wer ist der Nächste?

2. Juli 2015 08:34










Hendrik Rost

Parole

„Lass es ein Liebesbrief sein“

Krakeliger Schriftzug auf der Klappe eines Briefkastens in Hamburg

25. Juni 2015 10:02










Hendrik Rost

Vita brevis

So alt wolltest du nie werden – alter ego.
Erinnere dich an Jeanne Calment, ältester Mensch
aller Zeiten. Sie starb 1997 mit 122 Jahren.

1889 begegnete sie als 14-Jährige dem Maler Vincent
van Gogh. Er erwarb in dem Laden, wo sie verkaufte,
neue Farben. Nach ihren Aussagen stand sie einem trüben,

schlecht gekleideten und ungalanten Kerl gegenüber.
Jetzt aber ist die Zeit wie in einem Jubeljahr
zu jedem halben Jahrhundert, in der Getrennte vereint werden,

Sklaven entlassen und alte Schulden getilgt.
Noch vor 10.000 Jahren wars, als jeder Erdenmensch
im Schnitt kaum älter wurde als 10 oder 12. Mit Leib und Seele

jagten und sammelten sie Erfahrungen und verstauten sie
tief in den Genen. Das sind mit Adam und Eva
nun wir, mit Lust und Laune. Ganz ohne Mystik –

länger zu leben als die 50 Tage von Ostern zu Pfingsten,
ist schon eine Gabe. Länger als eine Zigarette,
die Jeanne erst mit 119 aufgab. Du bist nicht so weit,

nichts zu wollen. Vincent hat Jeanne übrigens nie erwähnt:
„Wir stehen vor dieser Tatsache“, schrieb er Bruder Theo,
„meinem Vorsatz, tot zu sein für alles außer meine Arbeit.“

Einem Freund zur Feier

9. Juni 2015 07:58










Hendrik Rost

Handhabe

Jetzt noch glauben an die Kombination im Innern.
Jetzt noch eine Nacht dazwischen liegen lassen.
An Zeit glauben, die über Ozeane streicht,
und dazwischen eine Nacht liegen lassen.
Daran glauben, an Metaphern und an Steinzeit,
den Zahnlosen, der das Werkzeug Ich entdeckt.
Vor allem glauben an das Gelb der Wespen,
an das Schwarz, das als Nacht dazwischen liegt,
an den Stich glauben, an Strich in der Landschaft,
Sticheln im Rachen. Eine Nacht verstreichen lassen.
Jetzt noch glauben an Erwägen. Dann weltumgoldet:
der Entschluss. Eine Nacht dazwischen lassen.
Am Morgen an Material glauben, Magritte, an Stil
als Projektil, an seine Reise durch die Nacht.
Noch glauben, dies ist die virtuose Zwischenzeit,
glauben an das neue Joch. Keine Routine lassen.
Jetzt. Und sichere Nächte keine. Keine Methode.

21. Mai 2015 15:46










Hendrik Rost

Epigramm

Lesen die Deutschen ihre Krimis lieber am Meer oder in den Bergen?
Töten sie ihre Gespenster bevorzugt
aus Liebe oder in der Erinnerung?

Unser Wolfsspitz war bissig nur an der Leine.
Beim Malen nach Zahlen habe ich mich verrechnet
und jetzt ist alles Schwarze rot, das Goldene schwarz.

Der Nachbar schlug seine Kinder mit dem Knüppel.
Zwischen den Wahrheiten, da liegt das Paradies der Kellerasseln.
Bei Gefahr stellen sie sich tot.

13. Mai 2015 16:08