Hendrik Rost

JuDo

Der Sohn, fünf Jahre alt, fragt mich, ob ich Judo kenne. Klar, sage ich. Kennst du auch YouTube, fragt er weiter. Ja, kenn ich auch, sage ich. Woher kennst du das denn, frage ich. Er: Oh, kennt doch jeder!

18. Februar 2015 20:37










Hendrik Rost

Scheinfrucht

Leise ist ein Apfel
in deiner Hand eingeschlafen,

die viele Arbeit
an der Illusion. Jetzt trägt sie Früchte.

2. September 2014 12:08










Hendrik Rost

Nach dem Stolpern

Das Wesen des Steins ist steinhart.
Ich weiß es aus eigener Erfahrung.
Aber Realismus ist keine Option,
wenn man am Kinn blutet.
Dann übernehmen andere Kräfte die Kontrolle.
Da liegt er, der Kiesel, unschuldig
seit der letzten Steinigung.
Lange lag er in einem Vorgarten –
vergessen fast,
was Kieselsein heißt.
Mir fällt nicht gerade ein Roman ein
im Übersprung, aber ohne großes Getue
spüre ich tief im Rachen die Sprache,
sie ist noch intakt, trotz gebrochener Knochen.
Die Töne ruhen da.
Das Wesen des Stolperns ist Inspiration.
Für jeden Einfall gibt es Beweise.
Für jeden liegt irgendwo ein Kiesel.

25. August 2014 11:05










Hendrik Rost

Wache

Vater, dies ist die Nacht, und ich
entscheide mich gegen –
die Bedeutung der Wörter,

Vater, ich will sie in die Welt schicken.
Nichts Großes ist zu erwarten
von mir. Ich bleibe wach,

solange ich nur den Klang liebe,
Klang des Regens, der gerade
nicht fällt, Vater.

14. August 2014 12:29










Hendrik Rost

Kleistsche Bewerbung

I
Wenn Sie mich häuten und an die Wand
hängen, dann entweder als asiatischen
Dämon oder als Papiertiger.

II
Sie können mich als abschreckendes
Beispiel einsetzen: Erfahrung wird
überschätzt. Was wirklich zählt,
ist Trotz und Gedenken.

III
Sie werden mich in dieser Welt
nicht kriegen.

17. Juli 2014 14:29










Hendrik Rost

Vom Pferd erzählen

Die Geschichten, Liebste, die du erlebt hast,
die ganze Last der Geschichten, die du
zu erzählen hast, sie machen die alt.
Das Leben, Liebste, kommt kaum über
ein kraftloses Weißt-du-noch hinaus.

Das gesammelte Gewicht aller Geschichten,
und es liegt mir schwer auf der Zunge,
Liebste. Es macht mich müde, mein Leben
als Fiktion. Was für ein Übermut, überhaupt
aufzustehen. Und doch, erlebt ist erlebt –

lange Spaziergänge mit dem Schweinehund,
die Wohnung, zugemüllt mit lauter Plänen,
wie ich verliebt war, nur nicht wusste, in wen.
Das, Liebste, sind Geschichten, ein Leben
lang erstunken, empfunden und erlogen.
Ich hab die Geschichten satt.

Verschon mich, Liebste, mit Geschichten,
wie du abgenommen hast, wie du spürst ­–
ich bin nicht mehr auf ewig jung. Es ändert
nichts an der Geschichte, was dir widerfährt,
ob du Gutes säst oder erntest, den Film
siehst oder selbst vor der Kamera stehst.

Ich kenne deine Geschichte, liebste Kassandra,
mit der du am Leben hängst und umgekehrt.
Ich erspar dir zum Dank die Sagen, die ich
in mir trage aus vielen Tausend Gerüchten
und Nachrichten – von Flucht und Städten
in Asche, leeren Geldbeuteln, Tod oder Teufel.

Lass die Geschichten ruhen. Erzähl nicht
von der Welt, die es nicht gibt. Wind weht
dir ins Gesicht und wispert, Liebste. Er sagt,
du bist frei oder nicht. Was du bist, hat ein
anderer an Bedeutung verloren. Keiner überlebt
in alten Geschichten. Hör auf, zu vernichten.

15. Juni 2014 10:32










Hendrik Rost

Zeitgeist

„Da trat Petrus auf, zusammen mit den Elf! Diese Männer sind nicht betrunken, wie ihr meint:
Ich werde von meinem Geist ausgießen über alles Fleisch. “
Buch der Taten

An einer umtosten Kreuzung
wartet einer mit seinem Rollator
im Trikot der Männer

der Spielerfrauen schwer atmend
in der Pfingsthitze. Das Gefährt
geschmückt mit Fahnen

in Farben, die wir lieben
zu verachten, dann springt
die Ampel um. Die Grünphase

dauert Sekunden. Auf alles,
was heilig ist! Siege und Lebenslagen
stecken tief in den Knochen.

9. Juni 2014 15:42










Hendrik Rost

Liebe Sprotten,

im Jahre 2002 gehörte ich zu den glücklichen Finalisten des Lyrikpreises Meran. Das allein war schon eine wunderbare Sache. Darüber hinaus habe ich dort aber auch einige Kolleginnen und Kollegen getroffen, deren Werk ich seitdem verfolge und schätze. Das ist zum einen Sylvia Geist, die damals ausgezeichnet worden ist, und die jüngst ihren großartigen Gedichtband „Gordisches Paradies“ veröffentlicht hat (bei Hanser Berlin).

Zum anderen ist es Mathias Jeschke, der ebenfalls dort gelesen hat und mir als ein ausgesprochen freundlicher und interessierter Mensch in Erinnerung geblieben ist. Wiedergesehen habe ich ihn erst über zehn Jahre später bei einer gemeinsamen Lesung im Kieler Literaturhaus. Gedichte, die er dort an den tief verschneiten Fördehängen gelesen hat, stammen aus seinem neuen Buch: „Der Fisch ist mein Messer“. Erschienen in der edition AZUR, Dresden 2014.

Mathias Jeschke tritt nun auch auf Einladung von Andreas Drescher in unseren Schwarm ein. Herzlich willkommen. Er wird ihn sicher mit seinen Texten von weltältesten Booten und anderen maritimen Ideen etwa über die See bereichern: „… und ich kann nicht anders als denken,

daß es keinen Ort auf der Welt gibt, der so sehr
ein Ort ist, den es überall auf der Welt gibt.

3. Juni 2014 15:18










Hendrik Rost

Gedicht statt eines Denkmals

Jeden Tag gehe ich in Lessings
Schatten über den Gänsemarkt,
zu seinen Füßen sitzen Figuren,
die kein anderes Obdach haben,
oder Leute aus den Agenturen
und Banken, die hier ihr Unwesen
treiben. Vielleicht hat er Recht,
der Aufklärer: Ich nicht und keiner
dieser Menschen muss müssen.
Aber jeder von uns – wir werden
einander eines Tages vermissen.

Schemen des Ruhms. Mehr Denkmal
ist nicht als dies Gedicht. Es feiert
sich und sieht keinen großen
Unterschied zwischen der Tafel
aus Bronze am Sockel der Statue
und der Pappe, auf die ein armer
Teufel gekrakelt hat: Habe Hunger.
Das ist in jedem Fall Hamburgische
Dramaturgie. Über das Mitgefühl
mit anderen die Menschen zu
verstehen, die so sind wie wir.

Auf dem Gedicht landen keine
Tauben, es rostet nicht, keine
Aussicht auf künftige Größe
verzerrt seinen Blick auf die Welt.
Was es sieht, muss keinem
gefallen, nicht mal ihm selbst.
Die letzte Phase der Evolution
macht jeder mit sich aus:
für das Menschengeschlecht
Gutes zu tun. Bettler, Standbild,
Banker – ich geb dem einen
etwas Geld. Die anderen stehen
mir im Licht. Keiner verrät, was
ihn bewegt in seiner Position.

16. Mai 2014 09:34










Hendrik Rost

Mythos GmbH

Der Rücken des Tiers,
auf dem ich reite,
ist ein Bürostuhl, Teil eines Apparats,
der Stück für Stück
Tatkraft vernichtet, die Arbeit,
die ich verrichte, hilft mir
gegen dumme Gedanken
und kontrolliert meinen Feinsinn,
ich freue mich über die Belohnung,
wenn einer Nervennahrung
auf den Tisch stellt.
Ich leiste
Stunden ab – Zeit,
die mir bleibt,
ich nutze sie fleißig,
um fester im Sattel zu sitzen.
Manchmal spüre ich den Atem
des Tiers unter mir,
das meinesgleichen verdaut.
In dieser Position
bin ich der, der seine Arbeit
in Zukunft für die Hälfte macht
oder gleich für lau.
Ich leiste mir die Rebellion,
an meiner Stelle
ahnungslos zu sein.

(Zug von Hamburg nach Ffm, 10.5.2014)

11. Mai 2014 15:41