Mirko Bonné

Weberknecht

Auf haarfeinen acht Leitern
steigt ein silbernes Auge
durch Lichtvierecke,
da, es blinzelt –

Wald. Alles Messer,
Nadeln endlos. Worauf
dieser Augendesperado
auf acht Klingen steigt.

Er hat Dornenwimpern.
Bebt, wenn im Weiher
Forellen trauern, still
im Wasser weinen,

oder wenn unfassbar
Blätter zittern, Pappeln
im erfinderischen Wind –
einmal so erfunden sein.

So kommt er auf dich zu,
du fahle Karkasse, äugt,
nimmt dich in den Blick
und deinen mit sich fort.

Für Günter Herburger

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28. Mai 2011 17:36










Mirko Bonné

209

Mit dir in der Wüste –
Mit dir Durst im Rachen –
Mit dir durch den Tamarindenwald –
Endlich – Leopardenfauchen!

Emily Dickinson

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3. Mai 2011 14:03










Mirko Bonné

301

Ich glaub, die Welt ist kurz –
Und Kummer – absolut –
Kaum wem geht’s gut,
Ja, und das heißt?

Ich glaub, wir könnten sterben –
Was noch so voller Leben
Bleibt dem Verfall ergeben,
Ja, und das heißt?

Ich glaub, im Himmel droben –
Wird alles aufgewogen –
Neu ein Vergleich gezogen –
Ja, und das heißt?

Emily Dickinson

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12. April 2011 12:12










Mirko Bonné

Wir leben

Hongkong, China, im April 2011. Ai Weiwei, Künstler, Regimekritiker und seit kurzem Häftling, hatte vor, von Hongkong aus in die Bundesrepublik zu fliegen, um hier ein Atelier zu beziehen, in dem sich ohne Repressalien arbeiten ließe.
Das Foto schoss Helga Tassonyi.

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5. April 2011 08:56










Mirko Bonné

di feuerflex

Zur Erinnerung an Thomas Kling (5. Juni 1957 – 1. April 2005)

Hoch droben in einem der Mundsburger Drillingstürme, im damaligen Büro der Hamburger Kulturbehörde, sprach ich an einem Sommertag 1996, kurz bevor mein Sohn geboren wurde, zum ersten Mal mit Thomas Kling. Es war für mich ein furchteinflößendes Erlebnis, Kling auf der Raketenstation Hombroich anrufen zu müssen, damit, wie ich erst sehr viel später begriff, diese lästige Aufgabe der Kulturreferent von sich abschütteln konnte. „Wer sind denn Sie?“, fragte mich Kling denn auch und schob, ohne meine Antwort abzuwarten, nach, ich sei wohl nicht ganz bei Trost, ihn bei der Arbeit zu stören. „Also wer, bitte, sind Sie?“
Ich saß an der Fensterfront des Büros, blickte hinaus über die Stadt an einem vernieselten grauen Tag und sagte kleinlaut wie ein eingeschüchterer Hund, der verblüffenderweise sprechen kann, ich sei ein junger Hamburger Dichter und hätte die Aufgabe, zu seiner Lesung im Literaturhaus aus seinem neuen Gedichtband wände machn eine Einführung zu sprechen, di feuerflex würde ich sie nennen.
„Aha. Ein junger Dichter also“, sagte Kling. „Sie dichten also, Sie Jungspund, ja?“
„Gelegentlich.“
„Nun werden Sie mal nicht gleich frech, Sie Talent. Mit Dichtern oder mit Poeten nämlich rede ich für gewöhnlich nicht. Da hört für mich die Kommunikation fast augenblicklich auf.“
So ging es weiter, etwa zehn Minuten lang. Es hagelte Verunglimpfungen, Dispektierlichkeiten und bitteren Spott, doch so selbstgefällig arrogant die schneidende, nur wenig ältere Stimme daherkam, seltsamerweise war nichts davon wirklich verletzend.
Mehr und mehr hatte ich das Gefühl, einer ausgeklügelten Panzerung gegenüberzustehen. Verbale Stachelformation. Ich konnte miterleben, wie in einem hochaufgerüsteten wehrhaften Fake militant aggressive Sprache als poetischer Molotov-Cocktail eingesetzt wurde, der Respekt einflößte und auf Abstand hielt.
Einmal, fünf oder sechs Jahre später, begrüßte mich Thomas Kling vor einem gemeinsamen Auftritt hinter der Bühne mit den Worten: „Wie sagte schon der Hauptmann von Köpenick? ‚So weit also wär’n wa jekomm‘!’“
Unser erstes Gespräch allerdings endete damals unsanft, mit einer Detonation. Nervös, wie mich sein Herumhacken auf mir gemacht hatte, spielte ich mit der auf dem Schreibtisch liegenden Beamtentastatur herum.
Kling, der das hörte, schnauzte mich durchs Telefon an: „Sagen Sie mal, Sie, schreiben Sie etwa, während Sie mit mir sprechen? Sind Sie noch zu retten?“

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1. April 2011 10:24










Mirko Bonné

Psalm

LOL
FYI
OMG

FYI
LOL
OMG

OMG
LOL

LOL
FYI

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29. März 2011 11:33










Mirko Bonné

Highwayman

I was a highwayman. Along the coach roads I did ride
With sword and pistol by my side
Many a young maid lost her baubles to my trade
Many a soldier shed his lifeblood on my blade
The bastards hung me in the spring of twenty-five
But I am still alive.

I was a sailor. I was born upon the tide
And with the sea I did abide.
I sailed a schooner round the Horn to Mexico
I went aloft and furled the mainsail in a blow
And when the yards broke off they said that I got killed
But I am living still.

I was a dam builder across the river deep and wide
Where steel and water did collide
A place called Boulder on the wild Colorado
I slipped and fell into the wet concrete below
They buried me in that great tomb that knows no sound
But I am still around … I’ll always be around … and around and around and around and around

I fly a starship across the universe divide
And when I reach the other side
I’ll find a place to rest my spirit if I can
Perhaps I may become a highwayman again
Or I may simply be a single drop of rain
But I will remain
And I’ll be back again, and again and again and again and again

Jimmy Webb, 1977

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httpv://www.youtube.com/watch?v=uw1bHaUk1CM

The Highwaymen
Willie Nelson, Kris Kristofferson, Waylon Jennings, Johnny Cash, 1990
Schöne Versionen gibt es auch vom Songschreiber Jimmy Webb gemeinsam mit Prefab Sprout-Sänger Paddy McAloon sowie seit kurzem von der Düstergitarrenband Arbouretum aus Baltimore.

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26. März 2011 11:12










Mirko Bonné

1521

Der Schmetterling dort in der Luft
Der nicht weiß wie er heißt
Und keine Steuern zahlen muss
Und kein Zuhause hat
Fliegt erst so tief wie du und ich
Dann höher, glaube mir,
Drum schwirr hinfort und seufze nicht
So geht das Trauern hier –

Emily Dickinson

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20. März 2011 17:39










Mirko Bonné

Tschernobyl: Small Talk

Ich glaube, ich kann dir ein Geheimnis anvertrauen:
Mir wurde befohlen, mich in dich zu verlieben,
und ich bin heillos um meine Augen besorgt.
Bedenke zudem den Kollaps meiner eigenen
kleinen Welt. Ich würde dich ja küssen,
fürchte aber mich schmutzig zu machen.

Keiner hört mich. Ich lalle und meine Hände
sind immerfort in Bewegung, denn die
Liebe ist unsterblich und lebt weiter
in Träumen und Gesichten. Ein Fanatiker
ist fehl am Platz, erlaub mir aber Sehnsucht.
Komm rüber, die Äpfel im Obstgarten
meines Beschützers sind reif.

Irgendetwas an der Art wie du tanzt
sagt mir wieder, setz dich besser. Wir
sind schön, solange wir Masken tragen,
und Verrat ist ein Spiel voll Zartgefühl.
Wie ein Zirkus verberge ich Herzschmerz.
Bald machen mich meine Fehler berühmt.

Emma Lew

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19. März 2011 11:14










Mirko Bonné

Wenn du merkst, dass du auf einem toten Pferd reitest – steig ab.
Weisheit der Sioux

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15. März 2011 16:16