Sylvia Geist
Schatzsucher
Als Kinder waren wir wild
auf Katzengold und Flint, sammelten gelbe, rote
Ziegelstifte von Baustellen und glatte Parkwegkiesel,
auch die Scherbenjuwelen, die beim Supermarkt wuchsen,
am Schotterstrand der Zufahrt, wo die Lieferanten Kartons
mit Konserven aufstapelten. Manchmal schenkte ich dir
meinen Neid auf einen Splitter, der im Wasser funkelte und
den du wegwarfst, sobald er getrocknet war. (Dieses Suchen,
Verwerfen und Suchen, erbt man das, wird man angehalten
zu Fingerübungen des Aufgebens und Besitzens, ist es eine
Sehnsucht, sich endlich zu erinnern?) Ich fand einen Bernstein
vom Umfang meiner Daumenkuppe und war für Minuten selig
über etwas, das ich mir nie gewünscht hatte. Ein andermal
beglückte mich eine Kalkkröte, bevor sie als Briefbeschwerer
in Vergessenheit geriet und schließlich verschwand. Sagte ich
erinnern? Schön wäre es, von Merkwürdigkeit zu sprechen.
Dass alles eine besäße und diese Übermacht zu Entscheidungen
zwänge, die die Hände träfen. Tatsache ist, sie heben auf
und lassen los, oder halten fest, um dann loszulassen und
etwas anderes zu halten, das sich in sie fügt wie ein Pendant.
Das stecken sie in die Jackentasche, und wenn sie es finden,
später, merken sie es kaum, Steine unter Steinen, ohne das
was Steine wahren. An einer Küste im Süden glänzen sie,
die von der Brandung jährlich um eine halbe Fingerbreite
geöffneten Kartons mit Vorräten gepresster, gesalzener Sande,
umwickelt mit Seilen aus Quarz. Du kannst sie unmöglich
verfehlen. Fahr nach Hoëbaai, mach Rast mit den Büschen,
dann folge dem Trampelpfad, der über den Hügel schlängelt.
Von dort siehst du sie schon, aufgestapelt vor dem rollenden
Mauerwerk See, die zum Bersten vollen Kisten.
Sylvia Geist
Die unsterbliche Taube
Die heute auf der Ulica Poselska hat ihren Kopf
ans Pflaster gelehnt wie an die Brust eines Kindes.
Ihr halbgeschlossenes Auge kennt mich, die Linie
ihres Flügels, ein flüssiger Schriftzug, sagt: Es gibt
keinen Frieden, und nichts geht mit dir zu Ende.
Stimmt, Pusteblume mit der Potenz einer Streubombe
jeder, so rutschen wir durch die Ritze Leben
der Welt aus dem Rachen, ihr unsterblich
übles Gerücht. (Apropos, ob Jack the Dripper Pollock
während seiner blauesten Periode in Peggys Kamin
pinkelte, ist fraglich, als unbestreitbar gilt jedoch,
dass die CIA seine freie Art zu schätzen wusste.)
Wir sind überraschend wie im Rankenspiel
einer Gardine die Blätter und bedeutend
wie die Amplitude eines gesunden Diktatorherzens
oder dieses Kleine, das blindlings auf die Taube tritt.
Freilich, solche wie sie bekleckern Hüte, Fahnen
und Markisen, es gibt sie als Button, Aufkleber,
Souvenir. Nichts zu wollen ist auch keine Lösung,
sagen manche, andere nennen es Erfolgsgeschichte.
Sylvia Geist
Die Liebe in Zeiten des Aberglaubens
Die blaue Schüssel
voller Licht. Riesige Zerbrechlichkeit.
Welcher Atlas hält das fest?
Auf der Nachtseite der Kugel funkeln
die Waffen des vierzehnten Jahrhunderts.
Verzierte Messer, frühe Gewehre, und in unserem
Museum ruhen Artemis‘ Hunde noch auf dem Leib
einer Armbrust. Gib auf, sagen die Instrumente,
die Narben ihrer Intarsien: Wir wurden geliebt.
Helle Verzweifachung und
Frühling. Vollgesogen mit Bläue
schreit der Whiskey-Jack auf der Stromleitung
gegen den singenden Müllwagen an,
die Plastiktasche, Baumschmuck seit dem Herbst,
geht auf im Wind, eine Blüte so durchsichtig
wie der verschüttete Frühstückskaffee. Wahrer Jihad,
so der Vater eines toten Attentäters auf CTV,
das ist die liebende Sorge für die Familie.
Bete und geh auf
den Markt, einkaufen für ein Lieblingsgericht
in ayurvedischem Vermilion: carrots, pumpkin, pepper
in der Farbe der Sonne überm Morgenverkehr stadteinwärts.
Über Richmond glitzert die Luftbuswolke. Reines biscuit,
blaues china. In den Alpen sammelt man sich
nach der Rettung eines Flugschreibers. Denk daran, überall
lassen sich die Algorithmen deiner Fragen entschlüsseln.
Wisch die Rorschachflecken vom Zettel, lösch die Liste,
bete im Rythmus von Algen. Auf Miso. Und vergiss nicht
die Kokosmilch, den Curry aus Bombay! Jihad ist das
Lieblingsgericht. Die Kassenschlange im Marktparadies.
Küsse auf die goldenen Zehen eines Take-away-Buddhas
beim massenhaften Entern der Hochbahn.
Gib nicht auf. Dieses Seelending ist ein Kugelfisch
reinsten Wassers, voller Gift und Köstlichkeit.
Mach es richtig. Umarme die Schüssel,
full of gifts, mit dem, was du träumst,
in Wirklichkeit. Heavens of china.
Schneide den Kürbis, die Karotten, den Fisch
mit Liebe, poliere den Tafelaufsatz. Geh auf die Knie
um dieses Fußbodens willen. Bitte
für den Seelenfrieden der Piloten.
Sylvia Geist
Golems in Weißensee
Wenn er ihr seine Handschuhe reicht im geweißelten Raum
der Anlage, ist es das Ritual vor einer Notoperation,
Vorbereitung einer Arbeit zur Erforschung der Lage:
Steine, Spätwintersonne, die kurze Selbstvergessenheit
der zwei. Sie könnten ein Paar sein, das sich auf der Suche
nach Verwandtschaft verlaufen hat, stundenlang
an einer Mauer entlang im Kreis wieder und wieder
Hoffnung schöpft, bis eines von ihnen eine Stelle erkennt,
ein im Efeu gekentertes Grab, einen Giebel jenseits der Mauer,
ein Tor, hoch wie zwei Männer mit Speeren gegen die
Erinnerungen der Toten, die Geister der Lebenden.
Er hat Ideen, Tickets für Reisen in Zeiten nach oder neben ihnen.
Sie denkt an eine Leiter. Einmal klettert er hinüber, verschwindet
auf der anderen Seite der Straße, während sie wartet,
seine Handschuhe in den Händen, und als er zurückkommt,
hat er für sie nichts Besseres als ihre Verwunderung. Ein Passant
hört sie und ruft die Polizei, doch die findet den Weg nicht.
Wir werden noch, scherzen sie, bei diesen Knochen enden.
Oder es ist in der Mitte – aber da irren sie schon, ernsthaft,
als wären sie mehr als Lehm auf Füßen, ins rauschende Herz
des Geländes, vom Dunkel gefasst wie die Lampe am Eingang.
Sylvia Geist
Fehe
Eine Katze sprang von einem Balkon
im 10. Stock und blieb unten lange liegen.
Bis sie aufstand, um länger zu leben,
mit einem besseren Höhenruder und nie
schlummerndem Appetit. Die Geschichte
kennt wahrscheinlich jeder, ich hörte sie
vor Jahren in einem Berliner Randbezirk.
Hier draußen jagen sie einen Fuchs.
Seit Wochen sind die Ställe verrammelt,
die Höfe gepflastert mit Fangeisen, jetzt
hofft alles auf die neuen Forstbeamten.
Dabei erkennt man es an der kahlen Stelle
an seinem Lauf, am tänzelnden Hinken.
Zurückgekehrt wie diese Katze ist er
wendiger als Laub, sonst fast so wie
zuvor. Nur nachts benutzt er Hände
wie meine, sein Lachen weht übers Feld,
bis es hell wird und er sich einrollt
in dem Gedankenbau, dessen Architektin
ich bin. Und immer fehlt wo ein Huhn.
Sylvia Geist
Kleine Komparation für Gras
Ich liebe den Essigbaum, der unter falschem Namen lebt,
den Trughirsch ohne Tränengruben und Besinnung.
Gras liebe ich tief genug für seinen Karpfen, im Maul
des Teichs die Weide, die liedlosen Pfauenaugen
Tag und Nacht. Die Zusammenhänge, die vor meinen
ein Wäldchen um sich schließt, habe ich zu lieben
beschlossen, den Feuerleiter, das mächtige Gras,
betaubt und alle seine Komparsen wie jedermann
einzeln und unvergleichlich. Zu sagen, ich liebte
niemand mehr, liebe ich mehr wie den ohnmächtigen Hirsch.
für Whoondah Deewhe
27. Januar 2015 16:15Sylvia Geist
Feuerlager
Oktober, wir lachten noch draußen
über die Fallen, die aus Komposita
jedes Kind basteln kann, als ihr
Zeppelin im Windlicht landete.
Die kenne ich, sagte ich, gestern
tauschte sie ihren Platz im Nest
gegen einen auf dem lauen Mond
über der Haustür, so vermisste sie
den Sommer, jetzt ist sie Urne
eines hochkalorischen Kicks
oder Wärmewabe, je nachdem,
was du vorziehst. Das Flämmchen
knisterte, roch nach Lagerfeuer,
wir sahen, etwas blieb liegen
von der Pilotin im Feuerlager,
das schien wie eine Laterne
aus unbeeindrucktem Papier,
und was am Ende zu stehen hatte,
die Hornisse, ging und ging lange
auf im Rauch des Flugapparats.
Sylvia Geist
Weißes Wasser
-
(Juli 2012)
„(…) durch den Wald wie durch einen Tunnel. Die Landschaft verbirgt sich hinter der Landschaft. Unter den Wolken scheinen die Berge schwarz und kahl. Nur wo man den Tunnel verlässt und der Baumvorhang längs des Highway aufreißt, sieht man für ein paar Sekunden, dass es der Wald selbst ist, der steinern wirkt durch den dichten Bestand. Steinerner Wald: So hart muss hier ein Aufstieg sein.
(…)
Das Weiße Wasser versteht sich mit dem steinernen Wald.
Weiß ist das Wasser, das sich in lauten Schnellen ergießt, weiß wie der Schnee, der noch liegt, wie auch der verschwundene Schnee, der den Bergwald verwüstet zurücklässt, weil der Boden vom Schmelzwasser weggewaschen wird, jener Schnee, der, ist er erst vollständig zur Vergangenheit übergelaufen, den Wald zu einem steinernen gemacht haben wird, zu einem Stellvertreterwald aus denselben Felsen, auf denen der frühere wuchs.“
-
(August 2011)
Sylvia Geist
Ein paar Anlässe eines ungeschriebenen Gedichts
Die Schlange vor der Zollstation, wo nichts
sich bewegt außer mir oder dem Dachschatten.
Die Formalitäten der fliegenden
Gesundheitspolizei um einen rotbraunen Rock.
Der Gestank an der Tankstelle,
wo wir um den Toilettenschlüssel anstehen.
Die Passantin, die hineinstürzt, als der Boulevard
sich über einer weiteren Etage der Stadt auftut.
Das Haus, in dem der Gastgeber aufwuchs
mit neun Geschwistern und der Mutter,
die beim Maischen sang und die Angehörigen
unserer Lebensbesichtigungsanstalt höflich übersieht.
Der Applaus der Kinder im Daycare, als wir
Gaben betrachten, die Gott ihnen geschenkt hat.
Der Wunsch, etwas zu kaufen. Der Vorsatz,
wenigstens alle Werbeschilder zu lesen, z.B.
White powder for whiter results. Der Gestank
im Bus, während wir uns schneller verwandeln.
Der Moment, als ich sehe, es ergeht mir
wie den anderen. Die Erleichterung
beim Halt am Fastfoodlokal. Die Schlange,
die in den Armen des Köcherbaums schläft.
Der Versuch, wach zu bleiben. Der Sand, der
beruhigende Ton des rotbraunen Sandes.