Thorsten Krämer

Nashville, Tennessee

Von Parkplatz zu Parkplatz, lost in
transition
: Für den Passanten beginnt die Dichtung
beim Aussteigen. Die Zielgerichtetheit der Schritte sei

dagegen eine Fehlinformation, ein Ablenkungsmanöver
ungewissen Ausgangs. Oder ist das Gehen gar nicht die
Bewegung, nur deren Auftakt? So sagen es

die rhythmisch leicht Beschränkten, die sich im
Sicheren wiegen. Doch sie irren. Da ist kein
Überblick, kein Handlungshorizont. Bloß diese

fatale Neigung zur Halbtotalen, ein Fußabdruck
im Hirn.

30. April 2014 14:26










Thorsten Krämer

Berlin

Ein Nachtbild: Wir folgen den Produkten
durch die Kneipen, der Weg ist handschriftlich
erleuchtet. Wir bleiben in Bewegung, flackern

hierhin, dorthin, und blicken nicht nach
links, wenn wir die Straße kreuzen. Die Dunkelheit
ist gar kein Mantel, eher ein Kasten

aus Metall: Echokammer oder Inkubator, wir
brüten etwas aus – nur was, ist nicht ganz klar
und wird es auch bei Tag nicht sein.

18. März 2014 17:30










Thorsten Krämer

Boston Common from The Ritz

Alles hier ist deins: Die Äste sind deins, die Zweige
sind deins. Die Blätter, die am Boden und die
in der Luft, sind deins.
                                           Der Schatten auf dem Rasen
ist bei Tag in deinem Auftrag unterwegs. Dein Reich
vermisst er bestenfalls zur Hälfte, denn all dies
hier, Majestät, ist deins.

28. Januar 2014 13:01










Thorsten Krämer

Das Pantherzahn-Halsband der Apachen

Von Karnivor zu Karnivor: die Gabe der Unschuld. Was hast du gedacht, Anua, als du ums Haus geschlichen bist? Juckte in deinen Ohren die fremde Sprache? Was, Anua, hast du in meinen Träumen zu suchen? In einem anderen Leben sind wir eins, blicken gemeinsam den Horizont entlang. Die Ahnen unterscheiden nicht zwischen Mensch und Tier. Ich nenne dich Bruder, Anua, und wenn ich aufwache, spüre ich die Kratzer auf meiner Brust. In der Schule trage ich es unter dem Sweatshirt.

15. Juni 2013 05:54










Thorsten Krämer

Der Rote Rotor

Die Schwerelosigkeit beginnt auf deinem Finger. Ein tänzelndes Etwas, eine animierte Illusion. Wischbewegungen, verwischte Optik, die Trägheit der Augen. Die Schwerelosigkeit durchzieht deine Träume. Deine Zukunft eines Losgelösten, die Musik nachts aus dem Radio. Du bist es jetzt, der schwebt, nicht länger das Objekt. Der Raum kippt unten weg, ein sachtes Auseinanderdriften dreier Dimensionen. Und auch die Zeit beginnt sich jetzt zu drehen. Die Zeit endet mit der Schwerelosigkeit; dir wird schlecht, wenn du jetzt nicht aufhörst. Du musst jetzt aufhören, sofort. Es ist die Angst, die dich erdet. Es ist die Erde, die dir Angst macht.

6. Juni 2013 12:37










Thorsten Krämer

Die weiße Nacht geht vorüber

Noch: Atemholen, Innehalten. Ein Parkplatz-
Panorama kurz nach Mitternacht, die angestrahlten
Zwischenräume. Das neue Jahr macht eine
Kunstpause, still liegt die Welt
wie bei Sendeschluss.
                                        Aber wir
sabotieren den Schnee, schaufeln bei
Morgengrauen unser verstreutes Leben zu.

(für Hellmuth Opitz)

19. Januar 2013 11:18










Thorsten Krämer

Im Vorwahlgebiet

Der Trotz ist groß hier, wir bauen
immer weiter. Die gegenwärtigen Debatten
sind von uns lanciert. Wir zahlen dafür

mit jedem Gang zur Paketstation. Das
Leben ist Geschrei am Morgen, und stolz
lächeln wir dazu. Und doch sind wir

die Unbeweglichen, wir pendeln nicht
mal mehr. Die Zukunft wird mit uns
gesund. Wir kommen bald zurück.

4. Oktober 2012 12:47










Thorsten Krämer

Zazen in der Metro

Seit dem Morgen drehst du die Runden. Die Fahrer
kommen und gehen, und die Körper der Nachbarn
halten hinter deiner Stirn das Wärmebild
in Bewegung.
                        Das Öffnen und Schließen der Türen
wäre dein Mantra, bräuchtest du eines. Kein
Schweiß, kein Parfüm kann deine Aufmerksamkeit
halten. Der Abstand zur nächsten Station ist stets nur
ein Atemzug.
                        Das sind die Sätze, die später
das Unfassbare zu fassen versuchen.
                                                                   Aber jetzt
ist da dieses Mädchen, das sagt: Du sitzt und
sitzt und sitzt, das ist alles was du kannst.

Ja, sagst du und öffnest die Augen.

*

für Gerald Koll

13. Februar 2012 15:46










Thorsten Krämer

Twin Towers Berlin

Im 15. Stock vergeht die Zeit schneller, die Wasser
führenden Fluchtlinien tunneln den Nebel dieses
Novembernachmittags. Die Sonne ist nicht weg, nur
anderswo, so wie das Geld, das ständig um den
Erdball fließt, an jedem Finger eine Armbanduhr.

Die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells ist die
Nachhaltigkeit der Ressource. Der Wellenschlag
der Tastaturen, gedämpftes Französisch. Erfolg
ist fünf Headsets auf fünf Kontinenten, aber die
Zukunft beginnt in einer Teeküche.

(für Chunxiao He)

16. November 2011 08:06










Thorsten Krämer

Erinnerungen an das Jahr 2011

Es war der Sommer der Revolten. Wir waren nur
noch on. Wir lasen, schauten, staunten. Es ging
ein Wind durch jede Meinung. Wir waren

Lesben, trugen Schleier, hielten vor dem Monitor
die Luft an. Es brannte überall. Die Belastbarkeit
der Netze war ein Thema. Wir lernten stündlich

neue Namen. Es fielen Schüsse, Panzer rollten
daumengroß durch unsere Vormittage. Wir kamen
nicht mehr mit. Es wurde spät. Das Material blieb

liegen. Die Plätze waren weiterhin besetzt. Wir
buchstabierten Immersion. Die Dienste wurden
eingestellt. Wir demontierten Herrschende

mit wunden Fingerkuppen.

15. September 2011 12:47