Thorsten Krämer

Holly Springs, Mississippi

Wir nannten uns Seepferdchen, zimmerten uns
die Welt zurecht. Ein Poster war die Zukunft, wie
zerknittert sie auch sein mochte. Holz und Ziegel
unser Rohstoff, ein altes Fahrrad das geteilte Glück.

2. Dezember 2014 18:14










Thorsten Krämer

Halloween, Jackson, Tennessee

Minimierter Schatten, beste Lage
in Kürbisnähe: ein Alterssitz auf empfänglichem
Boden.
         In Laubbegleitung
                               verbrachte Tage, dösende
Verwesung. Memento mori, Puppe: die finale Anmache.

31. Oktober 2014 12:19










Thorsten Krämer

Ein neuer Fisch: Tobias Schoofs

Im vergangenen Jahrtausend bin ich Tobias Schoofs zum ersten Mal begegnet, wir gingen beide in die Kölner Autorenwerkstatt der frühen 90er Jahre. In seinen Texten und seinem Sprechen über Literatur sah ich eine ähnliche Überzeugung wie bei mir am Werk: dass es nicht ausreicht, einfach nur „schön“ zu schreiben. Wir verloren uns dann aus den Augen; erst 20 Jahre später, social media sei Dank, liefen wir uns wieder über den Weg. Ein gemeinsamer Nachmittag in Lissabon, unterwegs durch die Stadt und dabei naturgemäß unablässig redend, hat mich sehr neugierig gemacht auf neue Texte von ihm, und so freue ich mich auf seine Beiträge an diesem Ort hier.
Herzlich willkommen im Goldenen Fisch, Tobias!

8. Oktober 2014 10:20










Thorsten Krämer

Palo Alto

Ein Verhörer über der Stadt, erstarrte
Deixis zur besseren Orientierung.
(In Zeiten der Homophonie darf man das sagen.)

Ein Zirkeln um parallele Historien, auch
hier versagen die Bilder, wenn es um Dichtung geht.
(Wer der Spiegelschrift folgt, findet den Weg.)

Palimpseste – Maleste – Oeste
(Odysseus kam nie bis an den Niederrhein.)

Die Welt ist alles, was falsch verstanden werden kann.

(für Tobias Schoofs)

4. August 2014 12:41










Thorsten Krämer

Habsburg Villa

Nach dem Regen: auf Augenhöhe
mit den Hunden, durchnässte Witterung. Der Blick
entgleitet ins Off, wo immer schon das Interesse liegt.

Du bist nicht hier, du täuschst dich, das sind
auch keine echten Hunde. Der Cargo-Kult
der Sinne, und auch in dir kursieren Nachrichten
von gerade eben.

29. Juni 2014 13:45










Thorsten Krämer

Saumseliges Postskriptum vom Rand der Wüste

Das war es dann also. Der letzte Salzstreuer ist geleert, der letzte Wettschein zerrissen. Von jetzt an nur noch Schwitzen. Ein Unhold, wer sich etwas Böses dabei denkt. In einem Wort: der Süden als Sieger. Keine belagerte Landschaft mehr, kein Drehen am Rad. Von jetzt an ein Durst für die Ewigkeit, Stillstand & Gewissheit im g  l     e     i    ß     e      n       d        e         n            L             i               c               h                    t
                   d                          e                       r                             S                                          o

18. Juni 2014 16:49










Thorsten Krämer

Salzwärts

Mit dem Wettschein in der Hand bereiste er die ganze Gegend. In seinem Herz war ein großer Klumpen. In der Nacht kamen Diebe, doch er spürte nichts als seine kalten Füße. Er legte sie in Salz ein und konnte förmlich dabei zusehen, wie seine Schuld von ihm abfiel. Sie rieselte langsam salzwärts; auf der Höhe seiner Zehen verweilte sie noch kurz, ehe sie für immer in der feuchten Erde verschwand. Für immer? Das ist die Frage, die er sich jetzt stellt und die auch wir ihm nicht beantworten können. Wir wissen überhaupt viel zu wenig über ihn.

16. Juni 2014 08:51










Thorsten Krämer

New Orleans

Auch das: ein Sonntag auf dem Land, aufbrausendes
Motorengeschnatter. Im Vordergrund die Leitstelle Unfug, teuer
erkauftes Gestell. Eine diffuse Fruchtähnlichkeit liegt über
allem, missglücktes Telos einer kindgerechten Anmutung. Auf Anhieb
davon unbeeindruckt: die konzentrierte Arbeit am Albernen.

1. Juni 2014 19:29










Thorsten Krämer

Das Lyrikkommando

Souverän passierten wir
die dicksten Pizzen der Stadt, ließen
auch den Main links liegen und zogen
weiter zum Denkmal des unbekannten Dichters.

Plötzlich waren wir zu acht, das hieß
Spielraum in der Mitte, den erklärten wir
zum Frankfurter Leerstuhl für Poetik. Einer
hatte für Goethe sogar Miami verlassen.

Alles ist ungerecht,
wenn wir nur daran glauben.

12. Mai 2014 11:55










Thorsten Krämer

Nord bei Nordwest

Unversehens war er da hineingeraten, hineingestolpert eigentlich, es war diese alte Höhenangst, die in kritischen Situationen plötzlich ins Bild hineinragte wie die Köpfe toter Präsidenten in die Landschaft, die Angst war es also, die ihn aus dem Gleichgewicht gebracht hatte, und nun, da die Malaise ihm in dicken Schweißtropfen von der Nase troff, blieben ihm tatsächlich nur die Berge. Ein vertikales Ausweichmanöver mit geschlossenen Augen, der Angst halber, was ein Jammer war, wenn man den Einheimischen glaubten konnte, die ihre Fässer fröhlich talwärts rollen ließen und felsenfest behaupteten, die Aussicht reiche, und das nicht nur an klaren Tagen, bis nach Frankfurt.

9. Mai 2014 16:37