Sylvia Geist

Charl-Pierre Naudé

Der weißeste Strand

Man kann sehen, wie der Fluss
mit der Zeit den Kurs geändert hat;
die Trennlinie zwischen hier und da.

Das Ufer, an dem ich gerade stehe,
war sonst immer die andere Seite.
Und in die beiden Gegenrichtungen gestreckt,
ist alles, was du siehst, makellosester Strand.

Nicht weit von hier auf offener See
schmetterte so um Fünfzehnhundert herum
ein Sturm Bartholomeu Dias‘
kleine kristallene Karavelle,
(völlig durchschaubar bis auf den heutigen Tag),
gegen widrige Klippen.
Das Schicksal übergab das klirrende
Seewägelchen mit seiner Takelung, gewirkten,
an Kreuze genagelten Zierdeckchen,
dem Grund des Ozeans.
Das Wasser heulte wie Wölfe,
die durch die Tülle einer Teekanne geschüttet werden.

Das “Hier-Sein” und das “Da-Sein” …
Die Strandlopers* sind längst darauf gestoßen.

Und späterhin, welcher Abschnitt unserer Küste
entging diesen Teilungen?
Hier: “Nur Weiße”. Da drüben, verbannt (irgendwo): “Nicht-Weiße”.
Die allerersten Linien wurden an den Stränden gezogen:
Auf einer Seite Kolonistenbanden, zusammengeschweißt in einer Art
Club wie in einer Tüte, aus der Pulverfürze knallten;
und auf der anderen Seite die Versenkten,
die menschlichen Wachteln, die: wandernder Sand.

Scherben einer Kanne.
Komplotte der Väter. Vielgeliebte
Ferien am Strand. Der anderen.

Dabei ist doch ganz klar,
wie die Ufer die Plätze tauschten.

Jahrelang dachte ich immer wieder zurück
an einen schmerzlichen Vorfall zwischen mir und meinem Vater
– der inzwischen, wie man so sagt, “hinüber gegangen” ist -,
mit Groll, sogar Hass;
voller Selbstgerechtigkeit.
Eines schönen Morgens aber wachte ich auf
und versuchte mich ein letztes Mal
mit Sturheit vollzusaugen.
Vergeblich.
Was stattdessen übrigblieb,
war Sanftmut, die Nieselregensanftmut
ersten Begreifens.
Und das
durchtränkte alles.

Genau dann entdeckst du dich
auf der anderen Seite;
während du schon immer auf dieser Seite warst.
So wie die Toten,
geblendet
vom endlosen, nahtlosen, makellosesten Strand.

Vielleicht ist es dies,
was man Vergebung nennt.

*

* Die Bezeichnung bezieht sich auf die Khoisan, die zur Zeit der ersten Kolonisten am Kap eine der wichtigsten Bevölkerungsgruppen in Südwestafrika darstellten. (Anm. d. Ü.)

21. Juli 2014 22:26