Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (183)

14. April 2016, ein Donnerstag

Wir pilgern ein bisschen. Im ersten der 88 Tempel, die den buddhistischen Pilgerweg shikoku hachijū hakkasho markieren, ist alles genau wie vor zehn Jahren: derselbe Basar, dieselbe mürrische Verkäuferin, derselbe freundliche Kalligraph. Die Wege sind besser markiert als früher. Munteres Ausschreiten. Im Tempel „Aizen In“ wohnt noch immer Kosho Omoto, der Shingon-Mönch, den ich hier vor zehn Jahren kennenlernte. Auch er ist unverändert, ich erkenne ihn sofort, er mich erst nach und nach. Dank Kosho Omoto kommen D. und ich in einer kleinen Notunterkunft für Pilger unter, einer reizenden Hütte am Straßenrand, weniger als zehn Quadratmeter groß, vollgehängt mit Segenspapierchen. Den Abend verbringen wir zu Dritt im öffentlichen Bad. Es gibt Neuigkeiten: Kosho Omoto hat geheiratet, und Kosho Omoto hat eine neue Glocke. Um sie mit buddhagefälliger Energie aufzufüllen, hält Kosho Omoto täglich eine dreistündige religiöse Zeremonie ab, ein Goma-Ritual, 1.000 Tage lang. Dank meiner Aufdringlichkeit dürfen D. und ich morgen früh dabei sein, in der letzten der drei Stunden, wenn die geheimen Gebete zu Nyorei gemurmelt sind und Kosho Kräuter und Samen verbrennt.

Der Mönch erzählte, dass die Pilgerweg-Beschilderung zwischenzeitlich sogar besser gewesen sei als jetzt; seit dem letzten Jahr allerdings wurde sie wieder schlechter, denn Korea ließ die von Korea gestifteten Schilder wieder abmontieren, nachdem Japan seine Entschuldigungen für die japanischen Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg (Folter, Massenmorde, Sex-Sklaverei und mehr der Greuel) zurückgezogen hatte.

14. April 2017 13:41