Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (194)

25. April 2016, ein Sonntag

Fisch-Auktion in Tokio. Wir sind pünktlich, sehr pünktlich. D. war um 1:30 Uhr zu müde, um mitzukommen. Yutaka und ich stehen früh an der Pforte, werden eingelassen in eine Art Wartesaal, der sich füllt und überfüllt. Ein Sammellager. Manche reden, manche schlafen, alle kauern, lümmeln. So vergehen drei Stunden. Wenige können so munter bleiben wie Yutaka: Er wird nicht müde, seine Appartments zu bewerben. Dann sind drei Lebensstunden verstrichen, und für dreißig Minuten ist man Zeuge, wie gestiefelte Kerle eiserne Haken in vereiste Fischleiber schlagen, um deren Fettgehalt zu prüfen. Den Thunfischen fehlten Kopf und Flosse, die Rümpfe liegen in Reihe. Dann beginnt die Auktion. Die Auktionatoren singen lustiger als die amerikanischen Kollegen von der Rinderauktion. Sie singen weniger surrend-monoton, sie singen variabler und wippen dabei, aber was sie singen, versteht selbst Yutaka nicht.

Yutaka setzt mich an einer U-Bahn ab. Ich will das Besichtigungspflichtprogramm beenden, und das geht nur mit einer Ansicht des Berges Fuji. Ich will das Miststück jetzt auch gesehen haben wie alle Anderen. D. stößt dazu. Wir wandern von der Ortschaft Shimoyoshida auf einen Berg mit Pagode mit Fuji-Blick. Und ja, es ist ein weidlich ausschweifender, wohlgeformter, feinglasierter Berg, wenn das Wetter mitspielt. Es gibt womöglich bessere, nähere Aussichtspunkte. Dort tummeln Reisegruppen. Wir wandern, D. rastet, ich wandere weiter den Berg hinauf, finde im Fels einen kleinen Schrein, meditiere dort ein wenig. So ähnlich endete vor zehn Jahren der vorletzte Tag der Pilgerreise, oben an einem Berg bei einem einsamen Schrein. Damals schrie ich. Es war intensiver.

25. April 2017 12:47