Mathias Jeschke

Ein Gedicht von William Carpenter

EIN BANNSPRUCH, DAMIT DAS HERZ NICHT IN DIE UNTERWELT GETRAGEN WIRD

Es ist das zweite Maiwochenende und ich hatte den Tisch auf die Veranda
gebracht. Ich hatte mir ein “Molson Golden” aufgemacht, um der Mannschaft
des ersten Segelboots zuzuprosten, das seinen Weg über die Bucht nimmt,
Die erste Einsiedlerdrossel singt im Fichtenwäldchen, ihre vier oder fünf
zeitgleichen Flötentöne bringen die Luft dazu, gläsern zu werden.
Es ist schwer, sich heute Abend die Unterwelt vorzustellen, überfüllt
von den Booten der Toten, dunkel und – still, außer den Schreien
der Leute, die erkennen, dass ihre Herzen entfernt worden waren und
dass sie sich nicht mehr an die Gesichter ihrer Familie erinnern oder die
Körper ihrer Ehemänner, die treu neben ihnen geschlafen hatten Nacht um Nacht.
Ich beobachte ein kleines Hummerboot mit Außenborder, das einen einzelnen
Punkt umkreist, als würde es nach etwas suchen, einer Falle aus dem letzten Jahr
oder einen im Winter verlorenen Anker oder Motor. Man kann dort drei, vier
Meter tief sehen, vielleicht sechs, wenn man das Gesicht eintaucht. In der
Unterwelt ist das Wasser tintenschwarz und die Fischreiher am Ufer, sie fischen
nicht, sondern beobachten aus den Augenwinkeln die Reisenden.
Manche sind echte Reiher. Die anderen sind Götter des Schreibens und der Literatur.
Die Reiher der Unterwelt haben selbst keine Herzen und
ich hoffe nur, dass es ihnen nicht gelingt, deins zu entfernen,
sondern, dass du es bis zum passenden Zeitpunkt in deiner Brust trägst.
Ich erinnere mich, wie sie in Venedig einen kleineren Kanal ausbaggerten.
Sie versiegelten ihn und legten ihn trocken, drei Männer arbeiteten
in unerträglichem Dreck, ein blaues Boot an ihrer Seite und auf dem Heck
ein rotkariertes Tischtuch, drei Gläser, eine Flasche italienischer Wein.
Festlich kann es bei jeder Gelegenheit zugehen. Auch das Herz ist eigenständig.
Es bleibt ruhig oder aber es singt vom Grund seiner Tiefe.

(Aus dem amerikanischen Englishc von Mathias Jeschke.)

21. Oktober 2015 21:33