Mathias Jeschke

Liederhalle Stuttgart

Die Matthäuspassion ist ein Raumschiff,
das über der Erde schwebt.
Zerrüttung und dann Glück heißen die Tage,
an denen es dir spürbar nahe kommt,
Einfriedung die, an denen du einsteigen kannst
in diese Tränengondel aus einer anderen Welt.

Das Kreuz – omg! – ist das heilige Steuerrad
und Masaaki Suzuki lenkt das immense Schiff,
verlässlich und ruhig, ein Commander,
Tai Chi-geschult, tänzerisch wie ein Jedi beinahe,
in einer Spannung aus Gelassenheit und Präzision
durch dein grämlich ungeordnetes,
dein ach so elend ungeerdetes Leben.

Die Stimmen der Solisten – der Evangelist, kraftvoll
und erhebend spielerisch, wenn du
jemanden je gerne erzählen hörtest, dann ihn.
Jesus ein cooler Käpt’n Nemo, das Evangelium
ist seine Nautilus, unterwegs in unsrer Unterwasserwelt.

Die Sopranistin, in die Passion fühlt sie sich ein,
stellvertretend für uns alle.
Blicke ihr ins Angesicht und siehe die Schmerzen
auf ihrer Stirn, in ihrer Brust ein Schwert,
ihre Rechte formt die Worte der Schrift.
Wärst Du ein Setzer, du bräuchtest ihr nur zu folgen.

Dies die Tage der Empfindsamkeit und des Mitgefühls.
Meister Suzuki hebt auf die Gravitation.
Er bringt unser ewiges Leiden in Schwingung.
Wir gehen nach Hause, erfüllt
von der schlichten, Leben schaffenden Erkenntnis
Johann Sebastian Bachs, Musik in unsren Ohren:
Nicht an sein Vergeben reicht dein Vergehen.

3. Juni 2014 18:45