Tihomir Popovic
turner in luzern
die mauerzinnen
in einem oxfordblau
das ufer handschrift
des sonnenspiegels
zum wasser hinunter
bückt sich der fischer
und kein turm mehr
am gewohnten platz
die mauerzinnen
in einem oxfordblau
das ufer handschrift
des sonnenspiegels
zum wasser hinunter
bückt sich der fischer
und kein turm mehr
am gewohnten platz
Wir sind hinauf unter die Vogelausgucke gestiegen
in die Linden und Kastanien, Saalbergs Gedichte
und ich, unter die Säulen, in das Säulengelände
auf dem Lousberg, der den Namen womöglich
einem französischen König verdankt. Frau Lou,
wer hat Ihnen ein Stück von Aachen geschenkt?
Seine Gedichte gingen mit mir durch das Blinken.
Es war ein Julinachmittag, und die Leute staunten
winzigsten Windböen nach, riefen: „So ein Tag!“
Ein Tag, der Wege durch den Spiegel kannte und
so voller Leben, dass immer wieder momentlang
alles gut war. Alles meine ich, wie es hier steht
in diesem Gedicht, das erzählen will von Saalberg
in Aachen. Im Lärm der Lousberger Amseln las ich
Kindern ein Märchen von der Widerspenstigkeit vor.
Das frohe Glück wehrte sich. Wir geben niemals auf.
*
11. Dezember 2022 21:12Verschneiter Ginster
und Gestrüppe darin blüht
rosenfarb verstrichne
Landschaft verwechselte
Zeiten aus dem
liegenden Halse brechen
die kleinen Früchte
der Rosen im Herbst
halten sie den Winter
bannen den Beschuss
der Raketen im
duftlosen Dezember
blühen Malven
am Himmel
Als ich
meine Hirsche
am Erdrand
Stillstand sah
Drohnen über
Hunden Tiefen Höhen
sang mit himmlisch
süsser Stimme
morgenloser Jäger
helle Kimme
lagen sie und die
um Stimmen rangen
rannten rissen
meine Hirsche lautlos
dein offnes Haar
vom Höllengrunde
singst du stumm
in meinem Munde
im hungrigen tannengrün
steht er an der kreuzung
stolze straßennamen
die akkorde schluchzen
sein flügel verlässt ihn
mit knirschendem pedal
schreitet davon
dänische dogge
die rechte hand
blickt um sich
fliegt auf
setzt sich
Schlieren gegen das Vergessen, unscharfe Momente
im Schneidersitz: Die Atmung setzt minutenweise
aus, Zwerchfell-Projektionen an der Zimmerwand.
So halbvolle Realisationen also, vom Blättchen
gelesen, andere Notationen für andere Zustände
werden gebraucht. Weil Musik geht immer.
Und zuletzt die Sprache. Verhackstückte
Erleuchtungen, Abbruchunternehmungen am
frühen Abend. Die Szenerie zerfällt
in disparate Szonen.
7. Dezember 2022 11:01JELYSAWETA ANDRIJIWNA, Germanistik-Professorin
aus Charkiv, schreibt einer deutschen Kollegin eine E-Mail
Sie kennen ja unsere Chruschtschowka,
Sie standen ja damals vor der fensterlosen Schmalseite
unseres Hauses und hatten das Gefühl,
der Weg aus Betonplatten, den Sie gekommen waren,
sei in den Himmel geklappt worden,
Sie ließen sich von mir erzählen,
wie die sture Alte von nebenan
sich der Sanierung widersetzt hatte,
die Fenster ihres Appartements, 16 Quadratmeter,
sind noch aus der Sowjetzeit, verzogene Holzrahmen,
kaum noch Kitt um das Einfachglas,
das aufklirrt vor Angst
wenn in er Nähe eine Bombe fällt,
diese Alte geht nie unfrisiert aus dem Haus,
die Absätze ihrer Stiefel im Winter
sind eispickelspitz und ihren Liebhaber
führt sie an der Hand wie andere Leute
ihre Promenadenmischung an der Leine,
dieser Alten also gefiel es zu baden
nachdem die Warmwasserleitung unseres Rayons
schwer getroffen worden war,
der Geysir blubberte und dampfte
neben jener Metrostation aus dem Boden,
die auch Sie, meine Liebe, benutzt haben,
die Alte also ging im Bademantel
nach Klein-Island, wie die Charkiwer den Bahnhof
nun nennen, ihr Lebensgefährte
trug eine Tasche und einen Klappsessel,
und er hatte sich ein weißes Handtuch
über den rechten Unterarm gehängt,
aber er war kein Unterhändler, er war ihr Butler
sie wollte sich nicht ergeben, nur baden,
und so half er ihr vor Ort aus dem Mantel,
legte ihn auf das Stühlchen und schaute zu,
wie sie in die schlammige Brühe stieg,
alle schauten ihr zu, die Arbeiter,
die vor einer dröhnenden Pumpe standen,
die Leute, die aus dem Bahnhof kamen,
alle Chruschtschowkas unseres Rayons
rissen ihre Fensteraugen auf und starrten
auf die kleine, zierliche Frau, die ins Wasser stieg,
ein wenig plantschte, bevor sie sich die Seife reichen ließ,
sie wusch sich sogar das Haar, und ich schwöre:
Sie war sauber, als sie aus dem Wasser kam,
das weiße Handtuch, mit dem sie sich trocknete,
verschlierte nicht, ich habe es nicht selbst gesehen
ich war in der Universität, aber ich schwöre es,
sie war rein, als sie aus der großen,
dampfenden Pfütze stieg.
Chrustschowkas – Drei- bis fünfstöckige Wohnblocks,
vornehmlich aus den 1960er oder 1970er Jahren,
die den postsowjetischen Raum noch heute prägen.
Auch wir waren das mal, so Ge fährten, nur ist es lange vorbei.
Was kann es sein, das mich nicht mehr loslässt an so einem, dem
ich schreibe, entschuldigend und zornig, zärtlich, verständnisinnig,
und der doch nur lauter verstummt. Beharren? Er ist ja wie verblichen.
Und der Geist, der in mir wiedergeht, scheint grausam damit zu spielen.
So gefriert der verharschte Schnee auf aller gemeinsamen Zeit, denn
allem Zartgefühl habe ich selbst lang abgeschworen. Da sind Fährten,
das Leben bis hier, nirgends seine, unsichtbar, ungeworden. Fühlbar
trag nur ich unsere alte Geschichte noch. Und dennoch – was ist es?
In der Schneedecke Fährten. Lass gut sein. Jedem auf seine Weise,
ihm, mir, gestern, heute, morgen, und allen Spuren eine gute Reise.
*
29. November 2022 01:55Flechtet Netze meine Locken
rufe Erde mich zurück
dran die Welt wie Erdenkreise
die Aufgebahrten als sie fielen
möchte ich im rauschenden
Haine im durstigen Schmerz
umschlingen die Leiden
Missgeschicke geräth Furcht
um Felsen ins Handgemenge
schliessen wir unsere niedergelegten
Arme und Augen fliehen mit
den Toten tragen gefühlvolle Herzen
die zweiten Engel wie mein Heer zerfiel
als die Sonne Saporischschja zu röthen
begann liess ich Afrika liegen bei den Vögeln
den Hals verstrickter Münder Seefahrt
Noth und Wogenbraus des Morgenrotes Schlaf
lag ich vom Blenden halb herabgesenkter
Meergeist das weisse Segel Afrikas
minus Amplitude mit zifferloser Leinwand
und molekularem Atem
gewannen wir Höhe überm Mond
denn blutig sind die Dolche
welches Blatt wäre Blatt für solches
Welttheater das Schiff Seraphim das
jegliche Natur Longitude leblos
herbeirückt als Bild minus Abbild
ans grosse Welttheater verloren
in einem Hauch treten unvermengte
Schaar und Schönheit auf
Zeit der Kongresse
der Festivals, der Messen,
der Abendroben
und der Diskurse.
In später Nacht
gehört, so
flammende Appelle!
All die heiße Luft,
die aufsteigt in den Städten,
ist nicht gut fürs Mikroklima.
21. November 2022 15:20