Gerald Koll

Blaue Schüssel voller Licht




30. März 2015 08:59










Sylvia Geist

Die Liebe in Zeiten des Aberglaubens

Die blaue Schüssel
voller Licht. Riesige Zerbrechlichkeit.
Welcher Atlas hält das fest?

Auf der Nachtseite der Kugel funkeln
die Waffen des vierzehnten Jahrhunderts.
Verzierte Messer, frühe Gewehre, und in unserem
Museum ruhen Artemis‘ Hunde noch auf dem Leib
einer Armbrust. Gib auf, sagen die Instrumente,
die Narben ihrer Intarsien: Wir wurden geliebt.

Helle Verzweifachung und
Frühling. Vollgesogen mit Bläue
schreit der Whiskey-Jack auf der Stromleitung
gegen den singenden Müllwagen an,
die Plastiktasche, Baumschmuck seit dem Herbst,
geht auf im Wind, eine Blüte so durchsichtig
wie der verschüttete Frühstückskaffee. Wahrer Jihad,
so der Vater eines toten Attentäters auf CTV,
das ist die liebende Sorge für die Familie.

Bete und geh auf
den Markt, einkaufen für ein Lieblingsgericht
in ayurvedischem Vermilion: carrots, pumpkin, pepper
in der Farbe der Sonne überm Morgenverkehr stadteinwärts.
Über Richmond glitzert die Luftbuswolke. Reines biscuit,
blaues china. In den Alpen sammelt man sich
nach der Rettung eines Flugschreibers. Denk daran, überall

lassen sich die Algorithmen deiner Fragen entschlüsseln.
Wisch die Rorschachflecken vom Zettel, lösch die Liste,
bete im Rythmus von Algen. Auf Miso. Und vergiss nicht
die Kokosmilch, den Curry aus Bombay! Jihad ist das
Lieblingsgericht. Die Kassenschlange im Marktparadies.
Küsse auf die goldenen Zehen eines Take-away-Buddhas
beim massenhaften Entern der Hochbahn.

Gib nicht auf. Dieses Seelending ist ein Kugelfisch
reinsten Wassers, voller Gift und Köstlichkeit.
Mach es richtig. Umarme die Schüssel,
full of gifts, mit dem, was du träumst,
in Wirklichkeit. Heavens of china.

Schneide den Kürbis, die Karotten, den Fisch
mit Liebe, poliere den Tafelaufsatz. Geh auf die Knie
um dieses Fußbodens willen. Bitte
für den Seelenfrieden der Piloten.

30. März 2015 02:32










Gerald Koll

Berlin am Werktag




29. März 2015 22:39










Gerald Koll

Berlin am Sonntag




29. März 2015 22:25










Markus Stegmann

Medusa

Marmor verflogner Staub
im Kopf versteinertes Bild
zwischen Alraunen heller
als weiss atme ich schwach im
Verfliessen transitorischer
Trochäen auf Tromsö oder
war es Troja reiben wir uns
wund weder im Süden noch
im Hinterzimmer deines Films
bei verbotenen Spielen der Nacht
über Basel verflog dein Mund
versank ein Mond verschwand
im Nachtmeer der Stadt
frier ich mit deinen
porösen Bildern meines
Lebens die filigranen Falter
deines Films wickeln
das schwindende Paradies
in ein stummes Tuch

25. März 2015 23:23










Tobias Schoofs

RASHOMON

im glanz der regennassen
plakate die sich den platz
streitig machen im auge
der vorbeihuschenden

im getuschel der leute die
mit einkaufstüten im schutz
der unterführung den regen
abwarten als bedrohe er sie

lauert gefahr

nimm einen tropfen aus
dieser erzählung und füg ihn
deiner eigenen erzählung hinzu

19. März 2015 21:02










Markus Stegmann

Makulatur

Palastwind Passat ganz fadengrad
geleerte Reste Andromeda dein
Anfang steht auf Belgien sagst du?
falscher Fisch oder wie verfing
im Rückgrat sich meine Galeere
passt halbleere Schwere Partitur
praktiziertes Benzin Vitamin
im Lidschatten deiner Meere
verformte sich oder zerteilst
du dich Holofernes‘ blinde
Passagiere ging wohl
fehl versehentlicher Gast
dragging the bone
blast Warlop Partitur
Palimpsest piano
Makulatur

17. März 2015 23:40










Thorsten Krämer

Der Staatssekretär ist krank

Der Roman eines Gedichts, die noch zu
leerenden Kaffeebecher: In der temporären Gegend
werden die Stimmen gesenkt, zwischen Stellwänden
geistern versunkene Dörfer umher.
                                           /Relokationen. Heimat
ist ein Vers, so dahingesprochen unterm Jubel
einer ganz anderen Baustelle.

(für Michael Serrer & Christoph Wenzel)

15. März 2015 18:12










Markus Stegmann

Patagonien

Am Rachen
Riff vor Patagonien
laue See
schwankt Infarkt implodierte Idylle
drei Tage
tragen wir Tote
aber
der Schimmer deiner
Haut
am gestauten Riff
wo wir
versehentlich
die Lippen
der Sonne berührten
sag mir
warum
ist dein Arm
an
meinem

14. März 2015 21:29










Christine Kappe

mehr als alles

Und im Augenwinkel sehe ich
wie sie nicht nur alles zerstören
sondern mehr als alles
weil sie wollen, dass gar nichts mehr ist
lieber gar keine als eine ungerechte Welt
was sie eigentlich wollen

sterben
ohne darüber nachgedacht zu haben
was das ist
Kurz der Gedanke: Wir müssen was tun
weil ja diese Dinge auch nicht in Sprache
nicht mehr sein ist etwas anderes als nicht sein
und noch nicht gewesen sein
aber ob es, was es in Sprache gibt, auch gibt
und ob die Schönheit siegt, nur weil wir es wollen

aber ob das ein Beweis ist

was aber ist schön
auch Zerstörung?
Gewalt?

nicht mehr sein ist etwas anderes als nie gewesen sein
ob beides ewig ist
ob die Ewigkeit
unterbrochen werden kann
ob es einen Zusammenhang zwischen nicht mehr sein und noch nicht sein
ob das sein kann
ein Anfang ohne Ende, Ende ohne Anfang
und ob, was einmal war, nur in der Erinnerung, in der Sprache
nicht auch in unseren Körpern, in der DNA, aufbewahrt ist

wenn sie auf Körper einschlagen
wenn sie auf das, was Leben wertvoll macht, einschlagen
wenn sie auf den Glauben an etwas Schönes, auf die Hoffnung
auf etwas Schönes einschlagen

lieber soll gar nichts mehr sein / sie wollen, dass nichts mehr ist
sie wollen nicht sein
es ist ihnen egal, ob sie sind
ob ihr systematisches Vorgehen eine Systematik beweist
ob hinter ihnen ein Gott, ein grausamer Gott steht

ob hinter der Systematik höhere Mächte stehen
(wenn ja, wieviele, und wenn eine warum nicht zwei, und warum, und wenn alles nur ein Spiel ist)
oder nur Drogen
Rausch

ob sie nur das sind, was sowieso passieren wird

wenn wir es nur im Augenwinkel sehen, im Fernsehen, im Internet
ob wir das dann sind, /ob wir das dann selbst sind

(oder einer von uns, oder zwei
wenn wir nichts sagen
wenn wir nichts tun
wegen der Ungleichheit
wegen der Unterschiedlichkeit
die ja das Leben ist
nur im Tod sind wir gleich, nur wann und warum

und weil „sehen“ die Vergangenheit von „wissen“ ist
und wir eigentlich rückwärts gehen
und weil die Zukunft in der Vergangenheit liegt
zerstören sie alles
was mehr als alles ist

14. März 2015 10:32