Markus Stegmann

Was war

Während wir die Bomben der Nacht aus
unseren Haaren waschen wächst leeseitig
neues Tageslicht das deiner Haut gleicht
glimmt in den Augen unserer Sprache
Sprachlosigkeit über allem was war

13. März 2015 22:40










Nikolai Vogel

9. März 2015, Isarspaziergang

Ein früher Frühlingstag im Winter,
Spaziergänger, das Licht, die Sonne,
wie Zeitlupe alles, verlangsamt,
die Zeit wabernd über Fluss und Wiese,
die Unendlichkeit, unendliche Schönheit der Welt,
und die Ewigkeit steht senkrecht auf uns.

13. März 2015 11:34










Christine Kappe

das Leben zählen

Überall Digitalanzeigen, die das Leben zählen
damit wir uns nicht freuen
wir blauen blutsaugenden Spinnen
mit Händen statt Füßen an den Beinen
die Vorstellung, dass das Leben sich verzweigt, aufästelt, immer mehr wird, komplexer
aber ob blau oder grün
im Innern sind alle Spinnen rot
kurze Generationsfolge einerseits
Vampirismus andererseits
ob eine Spinne nicht die nächste ist
und ob sie überhaupt sterben, wenn in ihnen bloß Blut flieht
an den Beinen wachsen Hände
und an den Fingern Hände mit Fingern, an denen Hände wachsen…
gibt es eine andere Möglichkeit für diese Tiere
etwas anderes als das Leben zu wählen
ein Tier mit 8 Beinen, also 8 Händen
muss, um zu überleben, das Blut von 8 Tiere trinken
danach wachsen ihm 40 Hände…
die nächste Zahl ist 200
der Faktor heißt 5
das Geheimnis des Lebens ist ein  Rechenproblem
„Das Leben ist bloß eine Matheaufgabe“
Irgendwer vermutete, dass sie eine Seele haben
ja, eine Seele für 2 Hände, aber für 8?
und können sie nicht Pflanzen essen?
Und wenn die Erde, auf der sie leben, eine Insel ist
die von unten verfault und von oben immer neugebaut werden muss
werden sie nicht müde?
Und wenn die Erde, auf der sie leben, auf die Sonne, von der sie leben, zurast
werden sie sich nicht müde?
ist es das Leben?
sind das wir?

12. März 2015 09:17










Mirko Bonné

Pferd

Durch den Abend getrabt
als mein eigenes Pferd.
Lief am Fluss entlang,
ging auf die Suche
nach dir und fand dich
nirgends als in Gedanken.
Und zwischen Bäumen, da
standen überall Kinder,
die riefen: Pferd!
Pferd! Wir sind
die Schatten
der Wildgänse.

*

9. März 2015 22:12










Sylvia Geist

Golems in Weißensee

Wenn er ihr seine Handschuhe reicht im geweißelten Raum
der Anlage, ist es das Ritual vor einer Notoperation,
Vorbereitung einer Arbeit zur Erforschung der Lage:

Steine, Spätwintersonne, die kurze Selbstvergessenheit
der zwei. Sie könnten ein Paar sein, das sich auf der Suche
nach Verwandtschaft verlaufen hat, stundenlang

an einer Mauer entlang im Kreis wieder und wieder
Hoffnung schöpft, bis eines von ihnen eine Stelle erkennt,
ein im Efeu gekentertes Grab, einen Giebel jenseits der Mauer,

ein Tor, hoch wie zwei Männer mit Speeren gegen die
Erinnerungen der Toten, die Geister der Lebenden.
Er hat Ideen, Tickets für Reisen in Zeiten nach oder neben ihnen.

Sie denkt an eine Leiter. Einmal klettert er hinüber, verschwindet
auf der anderen Seite der Straße, während sie wartet,
seine Handschuhe in den Händen, und als er zurückkommt,

hat er für sie nichts Besseres als ihre Verwunderung. Ein Passant
hört sie und ruft die Polizei, doch die findet den Weg nicht.
Wir werden noch, scherzen sie, bei diesen Knochen enden.

Oder es ist in der Mitte – aber da irren sie schon, ernsthaft,
als wären sie mehr als Lehm auf Füßen, ins rauschende Herz
des Geländes, vom Dunkel gefasst wie die Lampe am Eingang.

9. März 2015 17:51










Christine Kappe

kleine russische Sprachleere

In Russland gibt es mehr Felle als bei uns
Das Leben ist dort kälter, rauer und doppelbödiger
Auf den einzelnen Böden geht es dann aber wieder sehr direkt zu
Den Satz „X sastreliwajet B. Njemzowa pistoletom pri stenje“
(„X erschießt B. Nemzow mit einer Pistole bei der Mauer“)
können wir nicht ohne weiteres übersetzen
: uns fehlt der Instrumental (pistoletom) und der Präpositiv (pri stenje)
So gelangen wir unweigerlich in den Breich der Nachdichtung
und für X außerdem in den Bereich der höheren Mathematik

Was also kann die Lösung sein

Die Frage ist, ob a) die Lösung nicht im Satz enthalten ist, wie in einem heiligen Mantra
b) X überhaupt Russe ist
oder c) die Lösung öffentlich gemacht werden darf
ohne dass solche Sätze über einen selbst gesagt werden
Und die Anteilnahme ist dann auch noch nicht bewältigt!

(Übrigens: Der Akkusativ kommt im Russischen, anders als im Deutschen, erst nach dem Genitiv und dem Dativ, er ist peripherer, was allerdings keinen Rückschluss auf die Semantik zulässt, sondern lediglich ein anderes Ordnungssystem zur Kombination der Elementarteilchen darstellt)

8. März 2015 10:15










Markus Stegmann

zuletzt

Am Trümmergestell unserer Stirnhöhlen
ziehn wir über Holland der Havel längs
geländegängige Granaten als
Selbstbeschuss sinkt unser Meer
mir ins Innenherz weisst du
weisst du nicht inneres Wohnlicht
verfärbt die Mandeln meine Lunge
ins Lippendickicht möcht ich mit
mit sags nicht fliehn voraus Verdacht
auf Treideln vielleicht Senkblei
Barkasse im Blicklicht naht
wer will das wärmen
wer denkt
oder wandert
wessen Augen
sahn wir
zuletzt?

Für R.F.

6. März 2015 21:17










Thorsten Krämer

am ende

am ende wird es ein erdenaufenthalt gewesen sein, der
kaum zu ordnen war, für mich, der ich
immer ordentlich bin.

Rolf Persch, 1949 – 2015

6. März 2015 18:06










Andreas H. Drescher

JACK LONDON

Einen unangenehmerSCHNEESCHUHen Begleiter hätte ich mir gar nicht wünschen können. Vierzig Jahre lang ist er hinter mir her getrottet, hat die Reste von meinen Tellern gekratzt, am Fußende meines Bettes geschlafen und so bescheiden getan, dass ich ihm schließlich glaubte. Nun aber zeigt er sein wahres Gesicht, knabbert mir, während ich schlafe, Löcher in die Strümpfe. Ich staune inzwischen, wie richtig ich schon vor all der Zeit mit meiner Einschätzung dieses Liebedieners lag, so nachsichtig ich ihm gegenüber inzwischen auch geworden bin. Als ich ihn heute Nacht bei einer seiner Strumpf-Mahlzeiten erwischte, zeigte er nicht einSCHNEESCHUHmal ein Zeichen der Reue, hob nur einen Augenblick lang den Kopf und flüsterte mir zu: „Jetzt wird er mir sogar den Tod ausweichen.“ Keine Ahnung, was er damit meint. Doch einer seltsamen Scheu wegen, die sich schwer und doch nervös über mich legte, wagte ich nicht danach zu fragen. Er lächelte zufrieden, als ich kein Wort heraus brachte und wandte sich wieder meinen Strümpfen zu. Auch er hat sich also nicht getäuscht. Mein Mangel an Willenskraft ist offensichtlich. Ich versuche, in ein Kurzwarengeschäft zu fliehen. Aber haben die denn SCHNEESCHUHnachts geöffnet?

3. März 2015 00:50










Tobias Schoofs

TALISMAN

ich sag es dir nur einmal · merk es dir:
du kannst aus deinem karma nicht heraus

auf allen vieren tastest du im dunkeln
und hörst wie unten jemand die türkette löst
du tastest hektisch im leeren und wünschst

du hättest nie gewünscht · dein leben wär
kein minenfeld · die wünsche keine krater –
die tür ist auf und kälte kriecht herein

du kannst aus deinem karma nicht heraus
ich hab es dir gesagt · jetzt merk es dir

28. Februar 2015 14:16