Christine Langer

Maibaum

Der Himmel steht still
Nur die Bänder des Maibaums
Reißen sich los nach Süden

Im Rhythmus der Stille
Schlägt nur der Puls von
Gleichgewicht und irdischer Gewißheit

15. Mai 2014 23:25










Markus Stegmann

Rüeblibaum

Zutraulich fast
rentierhaft zahme Rüebli
baumeln am Baum
erhoben sich aus
unsichtbarem Raum
wuchtigen
Erinnerungsbeeten
fortschreitender Kindheit
als sich etwas
unbemerkt verschob
hängen am kugeligen
Baum treibt ein Traum
zwischen Verbot und
Vertreibung aus dem
Paradies wo ich sowieso
nie war geschweige
denn aber vielleicht
ja du

Zu Ramon Schnyders noch nicht existierendem, aber um so sichtbarerem „Rüeblibaum“

15. Mai 2014 22:14










Andreas H. Drescher

Marien-Fäden (für Christine Kappe)

Der Kokon zwischen den Wolken bis
In die Glocke hinab Wer hat ihm den

Namen gegeben? Cumulus-Kokon!
Nimbus-Kokon? – Der Kirchturmhahn

w i r d d a r a n

h
e
r
a
b

g e l a s s e n

a
l
s

Segen Die Kapelle unter den Fäden fädelt
Maria in ihr Blau Maria hat da kein Problem

15. Mai 2014 18:08










Christine Kappe

Zustellversuch 7

Dass es morgens früher hell wird und trotzdem kalt ist,
irritiert mich. Ebenso, dass einer für eine Tour aufsteht,
die noch nichtmal 100 Zeitungen umfasst. Muss die 1543
vertreten – Ekhof, Biel – weil der Zusteller gestern im
Treppenhaus gestürzt ist. Diese Straßen sind Geheimstraßen,
kopfsteingepflasterte, gemischtgebäudrige, gemischtsoziale,
kleine, dunkle Stichstraßen. Ich treffe niemanden. Falsch:
ich treffe die alte Frau, die morgens immer so langsam zum
Bäcker geht. Aber sie ist gar nicht so alt, aus der Nähe betrachtet.
Nur blass, sehr blass… Ich sage nichts, grüße, sie grüßt zurück,
bleibt stehen, an jedem Auto bleibt sie stehen und hält sich fest.
„Machen Sie die Tour hier jetzt?“
„Nur Vertretung. Der Mann ist gestürzt.“
„Ich auch.“
?
„Deswegen muss ich so langsam gehen. ’s tut alles weh.“
„Wollen Sie… zum Bäcker?“
„Ja…“
„Es ist doch erst halb 5…“

„Mensch. Machen Sie’s gut. Passen Sie auf sich auf!“
Aber das klingt mir noch lange nach: dieses Ja, was kein Ja war.

15. Mai 2014 09:01










Andreas H. Drescher

Mich-Milch (für Hendrik Rost)

Selbst meine Großeltern habe ich
Geplant von ihrem Stehen in Ehren
Breitstein an Eingehortet habe ich
Meine Großeltern wie es mir nicht
Gefiel gefiel Ich wusste sie besser
Sie und ihre Zeit An meinem Ver
Achten vorbei habe ich sie geplant
Ihre Netze über Fahrradspeichen
Den Regen in ihrer Hutkrempe für

Mi(l)ch

13. Mai 2014 14:41










Christine Kappe

alles ist möglich:
wir essen die Joghurt (zumindest in Hannover)
unser Zug hält gleichzeitig Frankfurt Hauptbahnhof und Frankfurt Süd
die S6 wartet auf uns, weil Sylvia noch eine Zigarette rauchen will
Markus wird gelesen
Andreas ist Goethe
Christine isst ihre Gedichte
herrlich! schreibt der andere Andreas aus einer anderen Realität in München

13. Mai 2014 08:37










Christine Langer

Frankfurter Dom

Die zeitliche Ausdehnung
Meines Körpers
Der atmende Geist im Blut
Ich wandle die Erinnerung
Die Zeit wächst in Glocken-
Blumen Glocken
Sie schwingen
Nehmen mich in sich auf
Ich habe Wolken in mir
Gräserspitzen des Stadtparks
Den Geruch nasser Straßen
Jonglierende Wortkugeln
Meiner Hände
Ich blättere eine Seite
Vor und zurück
Ich kann wählen
Zwischen schwarz rot
Und weiß

12. Mai 2014 22:43










Nikolai Vogel

Große ungeordnete Aufzählung (Detail)

München-Frankfurt, ICE, Ruhebereich, Lektüre, der parallel fließende Fluss, eine zerrüttelte Handschrift, die unscharfe Vegetation entlang des Bahndamms,

Patchwork,

eine Denkmalsehnsucht, bevorstehende Umzüge, der Büchertisch, Backstage,

Schubladen in Bildern, Bilder im Gedicht, das Fell eines Stiers, „Große ungeordnete Aufzählung (Detail)“, Paradies, Chemie, Twombly, die imaginären Telefonate, die Möwen, die Götter, Geburt in Versen, erinnerte Beilagen, Comics, der Süden, ein abwesender Autor in der Mitte der Bühne,

Bier, Wein, ein übriges Würstchen, Pommes mit Mayo, fehlendes Münzgeld im Taxi, der Regen, Abkürzung, Schlaf,

Frühstück im Goethezimmer, die zeitliche Ausdehnung des Universums, Licht,

12. Mai 2014 14:35










Thorsten Krämer

Das Lyrikkommando

Souverän passierten wir
die dicksten Pizzen der Stadt, ließen
auch den Main links liegen und zogen
weiter zum Denkmal des unbekannten Dichters.

Plötzlich waren wir zu acht, das hieß
Spielraum in der Mitte, den erklärten wir
zum Frankfurter Leerstuhl für Poetik. Einer
hatte für Goethe sogar Miami verlassen.

Alles ist ungerecht,
wenn wir nur daran glauben.

12. Mai 2014 11:55










Andreas H. Drescher

REGEN-RABE (für Christine Langer)

Ein Brot halten
Wo noch Schnee ist noch
Eine Pflaume in den Händen drehen
Wo die Schere eisig an den Fingerbeeren klebte

Der Geruch nach Brot
Der Geruch nach Pflaume
Ohne die Angst vor Schimmel
Ohne die Angst vor einer faulen Stelle

Den Regen aufsteigen sehen


Den Raben als Schwung vor der Taggrenze

12. Mai 2014 09:27