Sylvia Geist

Reinfassung

Der Wald ist geschlossen
nach Max Ernst

Und wenn ich um Nebel bitte?
Als fiele auch Licht umso schwerer
je weiter, schlägt es,
ein Balken aus dem offenen Dach,

ins Unterholz, wo ich den Tisch decke
für die Nestlinge aus den Tannpalisaden,
immer gierig auf die weißen Krumen,
meine Asche. Keine Blöße,

die der Himmel in dieser Ecke
einem dann noch geben könnte, und ja,
es lebt sich bescheiden im Mandelkern
eines steten, strahlenden Zusammenbruchs.

Aber das Mehl ist froh um die Zutaten
der Hände, und es gibt Vögel hier
in den Zweigstellen, Angestammte
fast, auch in den Gesprächen

der Gurremaschinen nicht zu veräußern,
Jorinden mit Hausrecht im Gewinde
der Lindenzeitrechnung, die umnachten,
oder ihre Schlafbäume sind es, die hin und

wieder zusammenrücken. Dann sehe ich,
der Wald ist geschlossen, und niemand
kommt mehr herein, der ihn lichtet.
Und wenn ich nun die Milch verschütte.

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15. Mai 2013 10:48










Björn Kiehne

Das Versprechen der Kiesel

Am Abend gehen wir an den Fluss
die Stufen hinunter an sein Ufer.

Das Wasser, aschgrau vor gelöster Schuld,
gluckst, gurgelt, rauscht –
berichtet von den Monologen der Eisheiligen.

Mückenschwärme tanzen im matten Licht,
verwischen den Blick auf das andere Ufer,
wo Vögel ihren leiser werdenden Gesang
mit Nebelschwaden auf das Wasser legen.

Und vom Grund des Flusses erneuert sich
sacht das Versprechen, das die Kiesel geben:

Es fließen Flüsse unterhalb der Flüsse,
es gibt eine Stille hinter der Stille.

4. Mai 2013 10:19










Hans Thill

Useful knowledge

Mütze
Sie mag heißen wie sie heißt. Das gilt auch für Hans Test. Hat nicht schon ein anderer den Namen getragen, der das Akkordeon schaukelte und nun unter den Tränen der Welt begraben liegt? Viele wurden so genannt, nennen sich so. Die Mütze ist schick gestrickt oder aus Luft gehäkelt. Fischer würden an einem Netz flicken. Wir sehen sie mit Hochachtung, legen den Apfel auf den Kopf des Sohnes. Der nickt ein, ein glücklicher Knick der Geschichte.

22. April 2013 22:37










Nikolai Vogel

Lesungsvorbereitungen

Die eigene Stimme. Das Gehör. Die Anderen.

21. April 2013 00:59










Sylvia Geist

Zweistimmig

Vor zwei Jahren hat die Dichterin und Übersetzerin Catherine Hales begonnen, sich meines Gedichtzyklus´ Periodischer Gesang anzunehmen – eine schöne Erfahrung, die diese Gedichte in mehrerer Hinsicht befördert: In eine andere Sprache, und über diesen Weg noch einmal auf neue Art in mein Reflektieren über die Stoffe. Das Abgleichen zweier Fassungen erlebe ich dann oft wie eine Rückübersetzung.
Mit Catherines freundlicher Erlaubnis hier eine ihrer jüngsten Übertragungen.

Titanium

were it
possible to break slate from magmamanic rocks with
bare hands making the mineral shingle its lightness
mmmmpliancy some
harvest or

stout shoes
at least for she who’d be emerging through
aqua regia spawn ocean the other the rocket
mmmmductile opening
the valves

singing raising
with roof-strength fontanelle’s basement robber and ass’s lover
who besotted triturated keeps shingling implants gleaming sheer
mmmm saturnine in
the ring.

Titan*

aus schiefern
zu brechen wärs möglich mit bloßer hand aus
magmanischen steinen was zu schindeln das mineral leichtigkeit
mmmmgelenkigkeit irgendeine
ernte oder

feste schuhe
wenigstens für eine die über königswasser käme laiche
see die andre die rakete mit der dachkraft
mmmmdie duktile
die aufdreht

die ventile
im fontanellenkeller anhebt singt die schieberin esels lieberin
verschriebene die zerrieben weiterschiefert mit den glanzimplantaten die
mmmmschiere saturnerin
im ring.

    *Erste Fassung in: Morgen Blaues Tier, zuKlampen 1997
12. April 2013 12:38










Christine Kappe

Schwarz und Weiß

Die verschiedenen Schwarztöne, die Kinder wollen immer im Dunkeln spielen, von meinem Ich ist nur Schwarz übriggeblieben, das Schwarz zwischen den Lichterketten, das Schwarz des Kaffees, das Schwarz der verlassenen Wohnungen, des Spaniers im Dachgeschoss; er arbeitet schon wieder, läuft im weißen Arztkittel über den Flur, spricht mit jemanden, den ich nicht sehe und wünscht verlegen ein ‚frohes neues Jahr‘; die schwarzen Fäden in seiner Haut; durch Wunden in Menschen dringen, erst abgestoßen sein, dann nah.

Der Wind zupft sanft an den kahlen Ästen, das Bodentuch über der Balkonbrüstung bewegt sich nicht,  ist gefroren. Die Beeren fallen jetzt mehr auf als im Sommer. Sie hängen an knochigen Zweigen: rote an den Bäumen, orange und weiße an den Büschen. Die Weißen sind am wenigsten schön, sie leuchten aber, spenden Hoffnung, vermutlich weil man sie aus dem Sommer zu kennen glaubt. Das Weiß der Birken, der Häuserwände, der Wolken hat nicht so viel Licht wie sie. Wenn ich Malerin wär! Keine Worte machen, um das Herz besser hören zu können. Durchscheinen der Grundkonstruktion Mensch.

6. April 2013 12:56










Mirko Bonné

Parkplatzkönig

Nicht mal ein dürrer Gaul zieht so ein Fuhrwerk,
Wie ihr es „parkt“ auf Gloucesters lautem Grab.
Noch unter Schlamm und plattgewalztem Stein
Kann ich, der König, eure Karren riechen.
Schert euch davon, ihr York, mein England ihr,
Ihr meine Welt verpestenden Hanswurste!
Denn ich fühl mich erinnert, und was ist
Erinnerung? Doch nur ein Gaukelschmerz.

Gespalten meinen Schädel, nackt, geschändet,
Im Rücken einen schwarzen Pfeil, den Strahl
Von Einem, der sich für ein Lichtchen hielt,
Lag ich in Bosworth Field tot auf dem Schlachtfeld
Bei tausend Aufgespießten und Verrenkten.
Man band mich auf ein Pferd, Arsch in die Luft.
Der Klepper trottete mit mir nach Leicester.
Ein Kerl, ein Metzger schleifte mich durchs Tor.

Ich wurde aufgebahrt, verhöhnt, beschmiert,
Im Inn The New Wake angegafft vom Volk
Ob meiner Buckligkeit, und kam ins Grab
In einem Kloster, das ein Henry – welcher!
Der neunte, glaub ich, oder gab’s den nicht? –
Bald schleifen ließ. Mich König grub man aus,
Mir Krüppel hackte man die Füße ab
Und warf die Leiche Richard in den Soar.

Ich war die Sonne, die im Fluss versank!
Fragt meine Brüder, Knechte meiner Folter.
Fragt Clarence, Hastings, Rivers, Grey, die Kinder,
Fragt alle hinters Licht Geführten – tot!
Verbrannt von Richards Sonne wie er selbst.
Hier unterm Stein – „Behindertenparkplatz“ –
Als angeschwemmter Menschenrest verscharrt,
Ist seit fünfhundert Jahren Mitternacht.

Ich war ein Mensch, war ich es nicht? Ich liebte,
Wenn auch nur mich, und war vor Zweifeln krank,
Ob Mister Shakespeares klügstes Ungeheuer
Wohl wirklich etwas außer Schmerzen fühlt.
Mag sein, ich bin bloß noch ein Parkplatzkönig.
Wer weiß, ob ihr noch wirklich Menschen seid.
Vielleicht seid ihr vergraben in der Luft,
Wie ich’s bin im Morast. Wer gräbt uns aus?

Wo sind sie hin, mein Königreich, mein Pferd.

*

28. März 2013 21:40










Hans Thill

Useful Knowledge

Große Flasche
Etwas für Penner und Leute, die sich am Wind wärmen müssen. Es gibt auch Sprachen für große wie für kleine Flaschen. Die Engländer benötigen viel Flüssigkeit, um die Süße hinunterzuspülen, die ihre Sprache im Mund zurückläßt. Die Franzosen möchten ihre Worte immer auf der Zunge behalten. Schwer zu sagen, wer mutiger ist.

28. März 2013 12:33










Björn Kiehne

Die Marken

Ich nehme den Bus durch Kiefernwälder
in halbschlafende Dörfer, überlasse mich
dem Flüstern leerer Häuser –
Geschichten aus dem Grenzland.

Blicke aus blinden Fenstern,
ein kalter Hauch im Nacken
wie vom Atem alter Männer.

In den Wäldern sollen Wölfe wohnen,
ich kann ihren Hunger spüren, den sie,
pendelnden Schrittes, entlang der Kanäle tragen.

Erde unter den Schuhen beim Gang
durch brache Felder, über ihren Rand
schabt der schwere Bauch des Himmels.

Ein Strommast reißt ihn auf,
von den Wolkenrändern
dringt der Ruf meiner
ungeborenen Kinder:
Geh weiter, rasch!
Von hier durch
die Marken
nach Haus.

27. März 2013 15:50










Andreas Louis Seyerlein

6.55 – Ich hörte eine Geschichte, die von einer Frau und einem Haus erzählt, das sich in einer alten nordgriechischen Stadt befindet. Es ist ein stattliches, steinernes Haus, die Böden des Hauses sind von Holz wie die Treppen und Türen. Ein hochbetagter Olivenbaum steht unweit des Hauses. Manchmal sitzen dort Sperlinge und pfeifen. Im Winter kann man Wölfe hören, wenn man die Fenster des Hauses öffnet. Hin und wieder kommen Schlangen zu Besuch und Eidechsen und Ameisen und Schildkröten, ja, es gibt sehr viele Schildkröten im Garten des Hauses, aber nicht im Winter, in keinem Winter, soweit Menschen zurückdenken können, hat irgendjemand Schildkröten in der Nähe des Hauses, im Garten oder in der Stadt gesehen. In dem steinernen Haus also wohnt eine Frau. Sie wohnt seit wenigen Wochen allein, weil ihre Mutter gestorben ist. Über zehn Jahre lag die uralte Mutter in ihrem Bett und wurde von ihrer Tochter, die gleichwohl eine ältere Frau ist, gepflegt. Das ist so üblich in Griechenland, dass sich die jüngeren Menschen um die älteren Menschen kümmern, auch wenn sie selbst schon alte Menschen geworden sind. Als nun die Mutter der alten Frau starb, war es plötzlich sehr still im Haus. Es war so still, dass die Frau glaubte, ihre Mutter noch zu hören. Nachts vernahm sie den Wind, aber der Wind war draußen gewesen hinter den Fenstern, und sie hörte das Dach, wie es flüsterte. Manchmal schloss die alte Frau ihre Augen in der Dunkelheit und schlief ein. Es war immer dasselbe, sie hörte im Schlaf die Stimme ihrer Mutter, wie sie nach ihr rief, und ihren Atmen und wie ein Glas zu Boden stürzte und wie die Bettdecke gewendet wurde. Davon wurde sie immerzu wach, und sie hörte scharrende Geräusche von der Treppe her, und wieder den Wind. Das ging Wochen so, kaum eine Nacht konnte die alte Frau schlafen, weil sie meinte, ihre Mutter zu hören. Einmal vor wenigen Tagen, nachdem sie wieder einmal wachgeworden war, verließ die alte Frau nachts ihr Bett. Sie stieg die Treppe hinab in die Küche. Wie sie das Licht anschaltete sah sie inmitten der Küche eine sehr kleine, junge Schildkröte sitzen. Gestern erst soll Schnee gefallen sein. – stop

> particles

20. März 2013 17:30