Gerald Koll

Zazen-Sesshin (49)

Zu den aufmunternden Worten des namenlosen Mönchs nickte bescheiden der profane Novize, aus dem dieser Tage, der letzten des Jahres, alle Farbe floss, und dankbar blickte der Gast, der auch heute Morgen immerfort eingeschlafen war.

Das letzte Zazen, das vierundfünfzigste, beginnt in vier Minuten. Heute ist der 31.12.2011. Es ist 12:06.

9. Dezember 2012 11:26










Carolin Callies

das pflügen von haut

der duschvorhang brämig
und brennnässelschmämig der arm, der leckt.

wachwundes als schorf & scham, die versandet & leim,
der krustet und schurft in eimern sich aus,

der rindet sich fäulend ins becken hinab.
der saum, ockereitrig, als wär´s bloß urin.

8. Dezember 2012 14:43










Christine Kappe

Momente / Memos II

Traum, am Nachmittag, auf dem Sofa, nach dem Zähneziehen, dass die Umkleidekabinen der Turnhallen in meiner Kindheit immer unvorstellbar hohe Decken und Fenster hatten, und dass der Junge, mit dem ich dort am liebsten tobte, behauptete, er würde schon seit 5 Jahren in unserer Wohnung wohnen; wir rangelten uns, und das tat natürlich viel mehr weh, als wenn unsere Eltern uns schlugen, aber darüber beschwerten wir uns nicht.

6. Dezember 2012 09:42










Gerald Koll

Zazen-Sesshin (48)

… könnten Stroh zu Gold spinnen !

2. Dezember 2012 11:49










Christine Kappe

Momente / Memos I

MHH. Im Zimmer wurde es immer dunkler, niemand von uns wollte das Licht anmachen (es war zu hell), wir saßen einfach nur da, waren einfach nur da. Ben und ich warteten auf meine Entlassung. Ingrid hatten sie gleich wieder zugenäht, als sie gesehen hatte, dass alle Organe befallen waren. Mir war schleierhaft, wie sie das aushielt, was sie dachte. Ihr Sohn war ruhig, schön, traurig, im langen schwarzen Mantel und einem Alter, von dem wir nur träumen konnten. Ihr Mann fasste es zusammen: „Du bist halt was besonderes.“ Von unten drangen den ganzen Nachmittag die Geräusche der Gärtner durchs gekippte Fenster. Es gab viel zu ordnen für sie. Ich musste an meinen Bruder denken. Wenn er nur halb so lange wie ich hier warten müsste, hätte er einen Anwalt eingeschaltet.

28. November 2012 22:29










Sylvia Geist

Verschwunden am Eintrachtweg

überschreibt Christine Kappe einen Absatz in einem Text Über das Verschwinden: „Auch die Menschen, die hier wohnen, verschwinden. Besonders augenfällig im Eintrachtweg, ungerade Seite, wo die Namen so stokelig aus dem Russischen transkribiert sind, dass sie nie wieder ins Kyrillische zurückfinden. Hier ist keiner auf der Straße. Ein einziges Mal bin ich, bei Nummer 9, einer Frau begegnet, die kam neben mir aus der Hecke und hatte nur einen Schuh an. Wie ein Zitat.“
Die Rede ist von einer Straße in Hannover, einer kurzen, wie ich annehme. Sicher bin ich nicht, ich wusste nicht einmal, dass es hier einen Eintrachtweg gibt, geschweige denn, dass es sich dabei um einen quasi-magischen, etwas unheimlichen Standort (oder -punkt) handelt, an dem verschwunden wird.
Dabei ist das eigentlich nicht so überraschend – deutet nicht schon der Name darauf hin? Verschwinden die Dinge in Eintracht nicht besonders leicht, dort, wo sie einander durch die Flüchtigkeit des Blicks zum Verwechseln ähnlich werden, bis sie in Eintracht verschwimmen, oder aber in Eintracht mit meinen Sehgewohnheiten nur mehr dahindämmern? Christine Kappes Sprache kündigt Eintracht immer wieder auf, sukzessiv und subversiv biegt sie vom Gewohnten, Erwarteten ab und trifft die Dinge in den so alltäglichen wie merkwürdigen Allianzen an, in denen sie wieder sichtbar werden: „Wenn ich auch nur 10 Minuten später dort bin, ist der Geräuschpegel anders …, laufen weniger Kaninchen vor der Einfahrt von BASF weg – der Stadtteil (…) stellt sich quer, zerreißt wie eine billige Kopie …“

Ich freue mich, liebe Christine, künftig auch hier von dir zu lesen. Sei herzlich willkommen im Goldenen Fisch!

26. November 2012 15:25










Gerald Koll

Zazen-Sesshin (47)

… noch zwei Tage mehr, und wir …

25. November 2012 15:17










Andreas Louis Seyerlein

22.01 – In dem Moment, da ich beim Augenoptiker meinen Wunsch nach einer Lesebrille vorgetragen hatte, war ich etwas verlegen gewesen, als ob ich plötzlich uralt geworden sei und etwas an Bedeutung verloren hätte. Ich sagte nun zu dem Mann, der hinter dem Tresen stand: Hören Sie, ich brauche eigentlich noch keine Brille. Ich sehe, glaube ich, noch sehr gut nah und fern. Aber ich möchte gerne dieses Buch hier lesen. Ich legte John Dos Passos’ Roman Manhattan Transfer auf den Tresen ab, genauer gesagt, Dos Passos’ Roman in der deutschen Taschenbuchausgabe des Rowohltverlages, ein Buch, dem sofort anzusehen ist, dass man Papier sparen wollte, eine ehrenwerte Handlung, um Urwälder vor der Vernichtung zu bewahren, das ist denkbar. Man kann sich das so vorstellen: Die Zeichen, die im Körper des Buches zu finden sind, sind äußerst klein geraten, alle Zeilen liegen dicht zueinander und spannen sich tatsächlich fast vollständig vom linken bis zum rechten Rand der Seite. Es ist ein dicht bedrucktes Buch, eine beinahe dunkle Erscheinung. Können Sie mir eventuell mit einer passenden Brille weiterhelfen, fragte ich den Optiker vorsichtig. Wissen Sie, wie ich bereits erwähnte, ich brauche eigentlich noch keine Brille! Der Optiker nahm also das Buch in die Hand, wog es hin und her, öffnete es, warf einen kurzen Blick auf die erste Seite des Romans und lächelte, ich sollte ihm folgen. Im Magazin, – es war ein sehr großes, erhebliches, ja ein bedeutendes Warenlager -, führte er mich Schubladenwände entlang, die bis unter die Decke reichten, es roch sehr gut, etwas nach Alkohol und etwas nach feinen Motorölen. Nach einer Weile blieb er stehen und deutete auf eine der Schubladen. Dort stand, gleichwohl in sehr kleiner Schrift geschrieben: Dos Passos / Manhattan Transfer. Wie er nun die Schublade öffnete, lagen dicht an dicht einige sehr schöne Lesebrillen in verschiedenen Farben und Größen und Formen. Über Dos Passos‘ Brillenschublade war ein Fach mit der Beschriftung: Samuel Beckett / Gesammelte Romane zu erkennen. Gleich rechts davon lagerten Ulysses‘ Brillen. – stop

> particles

24. November 2012 21:59










Hans Thill

Crazy Horses (für Hanns Grössel) 15

und nur als Stuten werden wir begehrt.

wenn ich nur für einen Zentimeter Zeit
(nackte Sekunden) das Grasland hätte
aus den Jahren vor Erfindung des Jägerzauns,
als die Wiese aber blühte wie immer schon.
Wenn. Ich übe wiehern und wie man das
Begehren zerkleinert. Schreiben Sie hier den
Betrag in Worten. Der Kavalier genießt,
ein Anderer müsste schuften als Kanake
längs oder quer

Et leur désir en nous n’étreint que la cavale.

23. November 2012 12:23










Gerald Koll

Zazen-Sesshin (46)

Heute Morgen hatte er, sagte der namenlose Mönch, den Eindruck, wir seien gesegelt …

18. November 2012 15:45