Sylvia Geist

Inside Passage III

Geht Wind, reicht das
für den Anschein von Strand.
Wir halten uns

an den Stillstand unter Einfluss
von Benzin und Fotografie,
werden wahlweise

verwandt und relativ,
können hinüber mit etwas anderem
Verstand, mit einer Vergangenheit

in neuem Licht, einem Gran Wal.
Eine Hügelkette gibt nach, reißt ab
wie ein Gespräch über Gravitation,

Cumuli drängen zu Tal, hochbeinige
Fluchttiere aus Chlorophyll.
Wir können auch lieben.

14. November 2012 11:40










Markus Stegmann

Die und die

Die und die, die immer so sind, im hellen Seitenlicht, weisst du, Regenlicht, das seitlich erhellte sich allmählich im hinteren Gelände Strassenschnee reflektierende Rückstände, Glasscheiben der Fassaden, Lastwagensonnen im gewendeten Oktober um die Oberfläche gekrempelte Haut.

12. November 2012 22:57










Gerald Koll

Zazen-Sesshin (45)

Was geschehen war? Dies war geschehen:

Den namenlosen Mönch hatte Regen bewogen, das Samu ins Innere zu verlegen. Er äußerte den Beschluss bester Laune. Eben noch war der namenlose Mönch in seinem drolligen Arbeitsanzug mit Jakobinermütze eine Zier jedes Gartens. Eben noch rechnete er nicht mit Barrikaden, Partisanen, Heckenschützen. Eben hatte Frau {Vorname} die Waffen ruhen lassen.

Dann schnitt die Schere pfeifend durch die Welt.

Jeder sei ja für sich selbst verantwortlich, sagte Frau {Vorname}. Sie war willens, trotz Nässe draußen Sträucher zu beschneiden. Hinter dieser Anfechtung liegen Jahrzehnte des Lebens und einundfünfzig Phasen in konzentriertem Zazen. Kaum erklärbar ist daher, wie sich Frau {Vorname} zur Zündung des Sprengsatzes in der Seifenblase des Rituals hat hinreißen lassen.

Frau {Vorname} muss wahnsinnig geworden sein.

12. November 2012 01:27










Gerald Koll

Zazen-Sesshin (44)

„Warum glaubt ihr mir nicht?“
schimpft der namenlose Mönch.
„Warum glaubt ihr mir nicht?“

12. November 2012 01:15










Andreas Louis Seyerlein

6.45 – In Tageslicht aus nächster Nähe beobachtet, handelt es sich bei jener Maschine, die gestern Abend bei leichtem Schneefall noch auf der 5th Avenue südwärts durch die Luft reiste, um eine Biene, die auch bei Nacht fliegen kann, weil ihre Augen so künstlich sind wie ihr gesamter Flugapparat, ihre Wirbelsäule, ihre Beine, ihre Fühler, alles das ist von äußerst leichtem Metall gewirkt, 528 Schräubchen halten das komplizierte Wesen zusammen, das niemals größer sein wird als ein wirkliches, ein aus organischen Einzelteilen hergestelltes Insekt. Genau genommen ist diese Biene ein sehr kleiner Hubschrauber, wendig, leise, ein Helikopter, der sich im Kostüm einer Biene befindet, ein spähendes Subjekt, eine Drohne, die man vielleicht einmal bewaffnen könnte, um sie einzusetzen für gute oder weniger gute Zwecke. Gestern Abend beobachtete ich nun mit höchstem Interesse wie man der kleinen Maschine kurz vor ihrem Start ein weiteres Gewand überstreifte, das an einen hellen Pelz erinnerte, so dass ich lachen musste, weil ich für einen Moment glaubte, man habe die äußere Beschaffenheit einer Biene mit der Idee eines Eisbären gekreuzt. Kaum aus dem Fenster des Erfinders geflogen, war die weißgefiederte Biene schon im dichten Schneetreiben verschwunden. Nun konnten wir glücklich durch die Augen der Unsichtbaren die Winterwelt betrachten, wir sahen uns selbst in einer Verfolgung und wir begegneten Menschen, riesenhaften Gesichtern, die feucht waren, Regenschirmen, dem Licht der Fußgängerampeln und Dampfwolken, die aus dem Boden pafften, als wären sie der Atem unsichtbarer, unter dem Asphalt verborgener Riesen. stop. Dämmerung. stop Es ist Freitag. – Guten Morgen! – stop

> particles


> particles

9. November 2012 21:32










Hans Thill

Crazy Horses (für Hanns Grössel) 14

das uns entlockte Schreien ist ein Wiehern,

oft haben sie nicht mal einen Namen.
So gehen sie in jede Richtung, die ihnen
nahrhaft erscheint. Ich habe das Wasser noch
im einen Ohr, im anderen ein Klavier auf
Hufen. Gieß mir Henna auf mein Haar,
sag mir Befehle, die ich
nicht verstehe

Le cri qu’il nous arrache est un hennissement.

9. November 2012 14:01










Sylvia Geist

Inside Passage II

Vom Wasser ist es eine neblige Phrase
über Tannen, mit Tannen überschrieben,
ohne Licht für Dickicht,

bis ein Hubschrauber uns einzelne
ans Ufer flößt, mit glatten Rümpfen
kopfloses Holz. Der Umschlagplatz

ist noch ein Geheimnis, nur ein Schluss
das Leck am Rücken
des Hangs. Du kannst das nicht

fühlen als schüttere Stelle in der Kühle,
Fell oder in einer Astgabel den Specht
deines Pulsschlags, schon aus

dem Sinn, der Sund, wie
wenn etwas aufgehört hat gerade
als du es wolltest.

(Mit herzlichen Grüßen aus einer anderen Bucht, lieber Hendrik.)

31. Oktober 2012 11:46










Hans Thill

Crazy Horses (für Hanns Grössel) 13

Macht ihre Liebe selbst uns doch zu Tieren;

Selb, ein Ort bei Hof, wo schon lange
sich kein Tier mehr zeigte. Sie fürchten
sich vielleicht (der Vogel Love, sein scharfer
Schnabel) oder sind heiß von
den Pilzen? Kaufen um Mitternacht dem
Roßtäuscher einen Roten ab, wenn die
Dunkelheit von unten drückt?

C’est que leur amour même aux brutes nous ravale ;

31. Oktober 2012 11:31










Hendrik Rost

Lübecker Bucht

Sobald wir aus dem Windschatten der Hotels
auf den Strand treten, ist es zehn Grad kälter.
Die See, absolut spiegelglatt. Eine Postkarte.

Am Wasser liegen Seegras und Blasentang.
Ich scharre mit den Füßen darin herum.
Warum? Ich komme mir vor wie jemand,

der in fremden Schubladen wühlt. Ich finde
einen Bernstein und lasse ihn liegen –
ich suche nach etwas Neuem, das erst noch

versteinern oder verhärten muss. Schließlich
kommen wir an den Hafen. Letzte Boote liegen
im Wasser vor der Winterpause. Eine kindliche

Energie bewahrt sie vor dem Sinken: Naturgesetze.
Wir gehen zurück, Köpfe in Mützen wie Schätze.

30. Oktober 2012 15:11










Mirko Bonné

Die Tür auf dem Meer

Du bist alt, sagt das Boot.
Yang Lian

(3/3)

Dann ruh dich aus

von deinem Tagwerk,
eine gestorbene Liebe
in den Netzen zu suchen.

Xu Lian, streck dich aus!

im Boot mit weißem Segel
weit draußen auf dem Meer,
das alle Stimmen schluckt.

Dort ist die Verlassenheit groß,

ein endloser Flugzeugträger,
auf einmal vor deinem Bug,

von den Netzen in der Tiefe
zu den Wolken am Himmel

graue Wand. Und du
schläfst. Bist im Traum
die eine weiße Tür.

*

28. Oktober 2012 20:48