Gerald Koll

Zazen-Sesshin (43)

Das Wort „Liebe“ zu denken, freut sich der Sasse am letzten Morgen des Sesshin beim fünfzigsten Zazen und fällt in Träume, in denen ihm träumt, es ließe sich träumen ohne Bild und Bedeutung. Um ihn sind Matten, Wände in weiß und Latten aus Holz. Er denkt sich „Lieben“, bis er denkt „Sterben“, und gut und gerne gähnt er dann, und im Traum hört er die namenlosen Wörter eines Mönchs über Menschen.

28. Oktober 2012 10:32










Gerald Koll

Zazen-Sesshin (42)

Über die Grenzen und Linien von Feinden und Freunden, denn mag man sich irren im Lächeln der Delfine und Affen, so ist irrte man sich auch im Gegenteil. Echt ist es wie das Lächeln des Krokodils, das seine Zähne schlägt ins Gnu, das ausschlägt und zuckt zwecks Erhaltung des Selbst und dem Krokodil dennoch nicht grollt und dem hungrigen Leider neidet den Rang in der Nahrungskette, dort droben im Schlamm.

28. Oktober 2012 10:31










Gerald Koll

Zazen-Sesshin (41)

„Der Mensch …“, hub an der namenlose Mönch, doch enthoben war der Sasse und dämmerte hinweg über Linien und Grenzen ins Weite und Breite, über den Ring aus Schlamm und Schaum, geschlagen von einem lächelnden Delfin, der im flachen Gewässer einen Schwarm umkreist, bis die Fische über die Ringmauer in die Freiheit springen, in die lachenden Schnäbel einer Bande Delfine, die einen Ring bildeten um den Ring.

28. Oktober 2012 10:30










Hans Thill

Crazy Horses (für Hanns Grössel) 12

da er von uns sich weg der Frau zukehrt.

aus Nebel. Die Frauen hatten genug
von Felsen, vom Gehölz. Sie wandten sich ab,
das war ihr Kuß aus der Ferne. Ich auf
dem Fahrrad hinterher, witterte den Schweiß
der Joggerinnen

Nous délaisse et poursuit la Femme éperdument.

25. Oktober 2012 22:34










Hendrik Rost

Nicolas Born arbeitet und lebt

Ein böser Husten, der alles verurteilt.
Trance bei der Tagesschau,
wie lange war ich weg?

Der Nachbar muss auf den Balkon
mit Zigarette. Der Rauch zieht zu uns,
markierter Atem.

Das Leben kennt nur Liebkosungen.
Gratulation zu dem Mut,
an der falschen Stelle zu lachen.

25. Oktober 2012 09:51










Mirko Bonné

Die Tür auf dem Meer

Du bist alt, sagt das Boot.
Yang Lian

(2/3)

Da gehen die weißen Türen auf,

und hindurch fahren die alten Fischer,
hinaus auf den Strom, Krabben zu fangen,

Krabben mit starken Scheren und Beinen,

die den überrunzelten Händen der Fischer
und den Gesichtern ihrer Frauen gleichen,

sodass manchmal wie unterm Brautschleier
eine Krabbe aussieht, die im Netz stillhält.

Küss sie, Xu Lian, lachend küss die Krabbe,
damit die am Ufer wissen: Gut war die Zeit!

*

22. Oktober 2012 13:07










Hans Thill

Crazy Horses (für Hanns Grössel) 11

sieht jeder Tag sich immer mehr vermindern,

Tag, laß nach, du folgst der Wiese,
auf der die Pferde ficken. Ich trage
jetzt die Nacht wie einen Anorak mit Mond.
Nimm die Weide mit und den Kaffee,
mein tickendes Gesicht sehr rund, sehr
rot auf einem Gaul aus Imitat

Des fils prodigieux qu’engendra la Nuée,

21. Oktober 2012 18:11










Mirko Bonné

Die Tür auf dem Meer

Du bist alt, sagt das Boot.
Yang Lian

(1/3)

Türen führen auf den Fluss, Segel,
so weiß wie ein Schlafzimmerschrank.

Zwei Brücken sind die Ufer, zwei Betten,
und am dritten Ufer warten die Toten.

Alle wollen sie münden, Xu Lian,
und wie du sein,

Tropfen,
der ins Gelbe Meer fällt.

*

17. Oktober 2012 16:41










Sylvia Geist

Kahl

mmmm mmmm„A world of bald white days in a shadeless socket.“
mmmm mmmm
Sylvia Plath

Ich schreie nicht. Kein Gott hat mich
an den Haarwurzeln gepackt und nie
hat meine Hoffnung fliegen gelernt,
richtig fliegen, wie die Krähen es tun,
achtsam mit dem Wind, die wilden
Schädel der Kastanien im Blick,
sie stürzte sich nur immer auf
in die Stratosphäre oder schmolz
auf irgendeinem Acker im Schlamm.

Kein Gott, der mich zog, Lichtbringerei,
die mich aus hunderttausend Ankern hob.
Müde Hakenwürmchen, Karabiner,
die sich lösen, Ösen, durch die Augenblicke
ihre Fäden schoben wie viel Jahr –
mmmm mmmm mmmm mmmmHeute
leben alle gleich, Brüder und Schwestern

eines Ordens der Steher, Jäger, Augentiere,
und ich mondköpfiges Mannequin
will die Toten nicht mehr zählen, kehre sie,
traurige, immer noch glänzende Berge,
zusammen, leicht wie die Erscheinungen
am Morgen, als die Krähen sich satt fraßen
am grün behaarten Dach und ich nicht schrie.

Es wird jetzt noch mal sonnig,
mit Brisen für meinen ersten sachten
Federflaum, und ich blende das Fenster,
indem ich es öffne. Picke Kastanien
aus ihren stachligen Perücken, streichle
blonde Innenfelle, Dunkelhäupter,
lippenglatt vor meinem achtsamen Verzehr.

15. Oktober 2012 17:57










Gerald Koll

Zazen-Sesshin (40)

Ausklang zweielf Einklang zweizwölf, Einklang und Ausklang sind eins.
Viel hat der Sasse gesessen und Dielen gelesen, dass er dieses Ei legt.

Munterkeit spürt er, mit dem Tode zu handeln, um zu richtiger Zeit und in heiterem Umstand den Kult zu beleben, das Salböl zu reiben, den Atem zu enden, so ruhig ist der Sasse am letzten Morgen des Sesshin nach erstem Sitzen um sechsuhrundsechs. Die Rufe der Eulen und Käuze im Wald hallen im Körpergewölbe ohne Geweide, geräumt für Samen und Flechten, Weihrauch und Fette, Zederharz und Bienenwachs. Und einzwei Korn Pfeffer.

Immer noch wachsen aus Dielen Gesichte, Anker und Reis. Er lässt sie wachsen.
Hört er ein Kratzen, spürt er ein Jucken. Die Wirkung überlässt er den Ursachen.

7. Oktober 2012 08:12