Hans Thill

Crazy Horses (für Hanns Grössel) 10

Denn jenen hohen Stamm von Wolkenkindern

natürlich wie immer ein Brickett im
Portemonnaie. Ich unterm Dach wuchs zu
jenem Etwas, der Wunsch,
Baron auf hohem Roß, die Rasselbande
wurde blond und
bunter

Car la race de jour en jour diminuée

4. Oktober 2012 16:13










Thorsten Krämer

Im Vorwahlgebiet

Der Trotz ist groß hier, wir bauen
immer weiter. Die gegenwärtigen Debatten
sind von uns lanciert. Wir zahlen dafür

mit jedem Gang zur Paketstation. Das
Leben ist Geschrei am Morgen, und stolz
lächeln wir dazu. Und doch sind wir

die Unbeweglichen, wir pendeln nicht
mal mehr. Die Zukunft wird mit uns
gesund. Wir kommen bald zurück.

4. Oktober 2012 12:47










Mirko Bonné

Changning/长宁

1
Wenn die Vögel anfangen zu sprechen, sprechen sie Mandarin.

Sie werden sich beklagen, dass sie uns gleichgültig sind,
wir ihre Küken in Karamell tauchen und essen am Stiel.

Achtet auf ihr Schweigen! Klingt es nicht vorwurfsvoll?
Zehntausend Dynastien alt, das Sperlingsgedächtnis.

2
Der Lärm aus den Platanen scheint eine Aufgabe zu haben.

Durch das Knarren der Zikaden fällt als künstliche Nacht
die Stille auf den Zhongshan-Park, und wir unter Bäumen,
stumme, hektische Falter, müssen lesen im Schattenbuch,

in Gesichtern der für alle Besinnung Verlorengegangenen.

3
Tanzen wir! Wie schwarze Falter, für die Zeit Musik ist,
taumeln wir übers Pflaster, brechen durch die Masken,
fliegen als schlafende Kiesel durch verlassene Pavillons.

Wir werfen unsere Kinder, werfen sie hoch in die Luft!
Türme aus Erinnerungen bauen sie, wenn sie fallen,

doch wir fangen nur den Sockel, den schwarzen Stiel.

Für Wang Anyi
献给王安忆

*

2. Oktober 2012 04:00










Gerald Koll

Zazen-Sesshin (39)

Geknickt ist nur das Knie, geknicktes Knie, du bist ein Knie, sonst nichts.

Geknacktes Holz im Ofen, knack nur, Ofenholz, öffne dein Haar für mich.

Geknirsche in Gedärmen, windet euch, windjammert und segelt im Wind.

Denn wir Sassen fasten von Fettlebe, lauschen nach Gehölz und Geweide.

Wir Sassen, wir jauchzen im Schweigen, wir schwelgen in Brei und in Tee.

Freiwillig eingegeiselt weben wir Webstühle zu weiterer Sesshaftigkeit. Da

29. September 2012 18:15










Gerald Koll

Zazen-Sesshin (38)

War einmal eine Bambusvase, begann der namenlose Mönch zu seinen Sassen. Von höchstem Wert, so der namenlose Mönch, sei das Gefäß gewesen, und so hoch sein Wert gewesen sei, so tief war die Bestürzung eines Gastes, der einen Sprung bemerkte. Beschämt kniete er vor dem Besitzer, den Makel zu nennen. Der aber sprach, im Sprung bestehe doch der Wert: Er besäße die einzige Vase, aus der Wasser fließe.

Wer dieser Gast gewesen sei, fragte sich blinzelnd der schweigende Sasse. Ein Entleiher oder ein Betrachter? Der Sasse sagte sich, ihm muss entgangen sein, ob der Sprung seit jeher in der Bambusvase gewesen und dem Bewunderer lediglich aufgefallen sei oder der Entleiher den Makel verschuldet habe. Und nicht ganz sicher war der Sasse, ob der namenlose Mönch den Teil übersprungen habe. Dem Mönch entging nichts.

24. September 2012 14:01










Mirko Bonné

Wenn du mit deinem Duft

Wenn du mit deinem Duft zu mir kommst,
seh ich deine jungen Augen, seh in die Zeit
und fühle dich, wenn du mit deinem Duft
dich zu mir legst. Ich atme ihn und dich,
ein Glück, ich atme. Es kommt eine Zeit
ohne dich, und eine Zeit wird es geben
ohne mich für dich. Jetzt bist du da.

*

22. September 2012 16:53










Andreas Louis Seyerlein

6.45 – Vor zwei oder drei Monaten habe ich eine Geschichte gelesen, von der ich mich sagen hörte, sie sei eine Geschichte, die ich nie wieder vergessen werde, die Geschichte selbst und auch nicht, dass sie existiert, dass sie sich tatsächlich ereignete, eine Geschichte, an die ich mich erinnern sollte selbst dann noch, wenn ich meinen Computer und seine Dateien, meine Notizbücher, meine Wohnung, meine Karteikarten bei einem Erdbeben verlieren würde, alle Verzeichnisse, die ich studieren könnte, um auf die Geschichte zu stoßen, wenn sie einmal nicht gegenwärtig sein würde. Diese Geschichte, ich erzähle eine sehr kurze Fassung, handelt von Giuseppi Logan, der in New York lebt. Er ist Jazzmusiker, ein Mann von dunkler Haut. Logan, so wird berichtet, atme Musik mit jeder Zelle seines Körpers in jeder Sekunde seines Lebens. In den 60er Jahren spielte er mit legendären Künstlern, nahm einige bedeutende Freejazzplatten auf, aber dann war die Stadt New York zu viel für ihn. Er nahm Drogen und war plötzlich verschwunden, manche seiner Freunde vermuteten, er sei gestorben, andere spekulierten, er könnte in einer psychiatrischen Anstalt vergessen worden sein. Ein Mann wie ein Blackout. Über 30 Jahre war Giuseppi Logan verschollen, als man ihn vor wenigen Jahren in einem New Yorker Park lebend entdeckte. Er existierte damals noch ohne Obdach, man erkannte ihn an seinem wilden Spiel auf einem zerbeultes Saxophon, einzigartige Geräusche. Freunde besorgten ihm eine Wohnung, eine Platte wurde aufgenommen, und so kann man ihn nun wieder spielen hören, live, weil man weiß, wo er sich befindet von Zeit zu Zeit, im Tompkins Square Park nämlich zu Manhattan. Es ist ein kleines Wunder, das mich sehr berührt. Ich will es unter der Wortboje Giuseppi Logan in ein Verzeichnis schreiben, das ich auswendig lernen werde, um alle die Geschichten wiederfinden zu können, die ich nicht vergessen will. – stop

> particles

20. September 2012 18:24










Andreas H. Drescher

Im Garten

Der Kohlweißling über der Garage jetzt
in der ersten Bö des Herbstwinds Sein
Taumeln also nicht mehr nur von innen her

18. September 2012 18:43










Gerald Koll

Zazen-Sesshin (37)

Im namenlosen Garten schweben unterirdisch zwischen Fältelungen vieler Zeiten
vierdimensionale Spinnennetzkugeln, bewacht von einem namenlosen Mönch, der
die Gespinste bändigt. Das erste Seufzen nach dem Schweigen wird, sie wissen es,
ins Webwerk fahren wie ein Sturm, wird es zerreißen, wie sie wissen. Die Kugeln

könnten, wenn
sie wollten, sich
verständigen
auf einen Pakt:

des stummen Scheidens auf dass sich ihnen Gewebe erhielte
und es unbeschadet tragen ließe ins Dadraußen
wo die Spinnen weben als Wächter der Flächen
sind es siebzehn Stunden bis die dritte Dimension verschwindet

und zusammen
mit der vierten
verkürzt wird
auf die zweite

15. September 2012 11:44










Carsten Zimmermann

berliner pyramide

selbst wenn man vom rand,
von den feldern her kommt,
ist dies eine fortsetzung.
weite versiegelte flächen,
von breiten bürgersteigen
der blick in die tiefe hinein.
wenige passanten befinden
sich hier in der gegend
nächst einem gläsernen dreieck,
das steil aufragend ein hochhaus
durchschneidet, 100 meter, es soll
wohl rapide gewinne beschwören.
kein toter pharao ruht hier, den
göttern gleich, nur der kapitalismus,
die comer group international,
die in immobilien macht. wegen
beachtlichen leerstands ist zusätzlich
ein kulturzentrum untergebracht.
was tun vor so einem monstrum,
als fußgänger, wehrlos und still,
als sehen, wie alles dies scheitert
vor einem zeitlosen himmel

11. September 2012 08:22