Mirko Bonné

Eine Levitation

Die jubelnde Frau
auf der Ehrentribüne,
in dem grasgrünen Kostüm
die Kanzlerin springt,
schwebt und hebt ab
hoch in die Luft,
ein Ball, Ballon,
ein Kohlkopfluft-
schiff über Toren,
dem Anstosspunkt,
Mittelkreis, Rasen
und dem Stadiondach
ins finstere Nichts
der Nacht und ist
in Sternbildern
und Starwolken
unbezahlbar
nirgendwo funkelnd,
nirgends mehr zu finden.

*

26. Juni 2012 13:52










Gerald Koll

Zazen-Sesshin (25)

Nichts weiß der Sitzende zu dieser Zeit von Tanba, dem einsamsten Kämpfer der Welt, der eines Tages durch Nara geht, die liebliche Kaiserstadt, in der Touristen und freilaufende Rehe die Tempel bestaunen, während Tempel und Touristen die Rehe bestaunen und Tempel und Rehe die freilaufenden Touristen bestaunen. Nur an diesem Tag ist es anders, denn ein unwilliges Staunen allerseits gilt Tanba. Um ihn zu beschreiben, hieße es vielleicht, sich eine finstere Gebirgskette aus Muskeln vorzustellen. Tanba ragt über die Massen der Ströme von Menschen, die diesen Mitmenschen zu gewärtigen sich scheuen, in etwa so, wie man ein schwarzes, mit sich selbst beschäftigtes Loch nicht wahrnehmen mag. Jiro Taniguchi und Baku Yumemakura schrieben in ihrem Manga Wie hungrige Wölfe, dessen Text Tsuwame und Waldemar Kesler übersetzten: „Er zog vorbei wie eine Temperaturschwankung.“

Der Sitzende gewahrt zu seiner Zeit, um 19:20 Uhr des 29. Dezembertages, wenn der namenlose Mönch aus der Kälte in den ofenwarmen Keller im schneebedeckten Winkel Deutschlands tritt, einen schlechten Hauch. Es ist der Nachgeschmack der Mahlzeit, die Frau {Vorname} dem namenlosen Mönch verdarb. Noch jetzt wirkt er vergällt, wenn er allseits „um Nachsicht bittet“, etwas mitzuteilen, was er „für meine Pflicht“ halte – ob es die Damen und Herren interessiere oder nicht: Jedenfalls gäbe es im Mahayana, zu dem der Zen sich zähle, drei Schritte. Erstens: das Nicht-Festhalten. Zweitens das Nicht-Festhalten am Nicht-Festhalten. Drittens: sich davon kein Verständnis zu bilden. Das sei eigentlich schon alles. Man könne auch auf der ersten Stufe oder den ersten beiden Stufen stehen bleiben. Das aber sei die Meditationskrankheit, notiert der Sitzende, der im Luftzug seiner Niederschrift ahnt, im besten Fall der Krankheit zu erliegen.

24. Juni 2012 14:14










Carolin Callies

dem sommer einen text geben

sommer. ortens.

eins. es liegt wie brillen über der stadt.
grafgeschaftet & gehöft: bräsam ein lidschlag &
verschläge, die gähnen jalousielamellen & morgenfliegen.

gekämmt die felder, zwei. der mohn sämt deine tage ein.
eisenstege, flußgebande & die mündung, die reißt dich tief an.
torenes wars: bleich & äsende mundgespinste.

die farne, das lose gewinde & waschzuber, köpfern,
die liegen am nachmittag unterhölzern.
dein Gehen war ein grashalmiges. moosbroschürern war das. drei.

24. Juni 2012 10:27










Carsten Zimmermann

Seifenblasen-Sein

hauchfeine silbrige Echowände,
in die wir hineinschreien,
bis sie als jener kompakte Klumpen
erscheinen, der uns gewöhnlich
als Welt entnervt

19. Juni 2012 11:55










Hendrik Rost

Lautmalerei

Das ist ein Pingpongschläger,
das ist ein Tod.
Das ist ein Spielkamerad,
der sich in den Schädel schoss,
das ein Gesicht der Mutter,
in das ich nie mehr blickte,
ohne auf den Punkt zwischen
ihren Augen zu starren.
Das sind Falten dort und das
Geflecht, das sie bilden.
Das ist Intuition, die dort sitzt.
Das die Schnittstelle zum Kosmos.
Das ist es und nichts anderes.
Das ist ein Ping, das ein Pong.
Das ist kein Tod.

19. Juni 2012 07:57










Hans Thill

Das Gesetz der Wiese (Hombroich)

Die Vögel tragen die Schrift in ihren Gedärmen, Kerne der Gräser, die
in Kapseln wohnten. Der Jet pflügt das Feld des niederhängenden Himmels
über der Raketenstation. (Euander kam und hat das alles bracht, Buchstaben,
Pfeile aus jedem Holz). Aus den Gehäusen regt sich die bewegliche, digitale

Fingerschrift, unleserlich. Die Oberraben tragen die Schrift in ihrem
Gefieder über die niedrigen Bruchgefilde, Kletten, die sich klammern in der
Feberkälte. Jedem Kern das Kerlchen eingraviert (altfränkisch Kamerad)
als Bildnis im Gehäus, der celloblaue Mädchen sieht, Tiere der Wiese,

Pygmäenlatein. Die starren Beinchen der Wörter. An ihrem harigen Bauch
tragen die Vögel die raschen Milben. Aus der Tastatur kommen die Wörter
gekrochen, nachts, wenn der Fellow schläft. Das heiße Fleisch
der Wörter (Queneau) die Beinchen der Schrift, die sich von selber schreibt

in den Bildschirmnächten anderswo, da eine Einbeinleiter lehnt. Die Wiese
wächst. Den inneren Insekten Glauben schenken. Durchs Löwenmaul
geschaut und Staub und Stadt geworden. Hieronymos im falschen Rock
sät Rüben oder Raps, der Löwe passt auf den Esel auf. Er wurde nie

vom Sand gebissen, wie Pistenväter mit dem einen kalten Blatt.
Château des Pauvres (Éluard), die Armenkiste, Kloster der Schrift.
Pomo:na Norf Schlich und was noch alles. Watt. Nicht kothig sondern
weiß von Alter oder Schimmel (Soltau). Die Milben sind zurück

im Schlüsselbrett. Die Rehe am Cap Gris Nez trinken Beton aus der
Mischmaschine, es war nur ein knapper Frost, der Innenbienen und ihre
Beine schont. Die Hexenhasel besser nicht beschneiden. Die Wörter
sind mal Holz mal Stab mal Stachel in der Pfote? Das wußte nicht der

gelbe Archipluto, das wissen nicht Leiris und Ponge, nicht lockige
Propheten, von steifen Blättern als Gesetz zu lesen, schon gar nicht Donne,
gerastert nasalierend grau (»das Licht hat keine Zungen«). Das wissen
allenfalls die leisen Obelisken wie der Everest, in dem Raketen neben Pfeilen

Willkommen Carolin Callies!

18. Juni 2012 22:32










Carolin Callies

zu fischen beginnen

fahrenheit, molen, die blanke & meer,
finister, das holzbrett &
chiemen & schlieren &
meterlang bergend, das fischwaide tau*

* Ein see, der friert sich zu,
dem mangelts an fischen,
die ahmen die kiemen
an unterständen nur nach

aus: „instant fisherman“

18. Juni 2012 21:09










Mirko Bonné

Als Belgien furchtbar war

Als es darum ging, etwas
zu sagen. Als wir hineinstarrten
in das Himbeergebüsch. Als keine,
keine Antwort kam. Als die Nacht
nicht aufhören wollte. Als sie
aufhörte ohne Klagen. Als
die Schmerzen nachließen,
als keiner mehr etwas wusste
gegen Schmerz. Als ich wieder nur
dich liebte. Als du mich fast vergaßt.
Als die Kirchen einstürzten. Als er starb,
der Elefant, der Angst hatte vor der Umsiedlung
nach Belgien. Als wir endlich verstanden,
warum. Als einer das Gras mähte.
Als das Gras weiterwuchs.

*

16. Juni 2012 23:24










Gerald Koll

Zazen-Sesshin (24)

Da wischte sie mit der Fläche ihrer rechten Hand so schnell über ihre linke, dass ein Geräusch entstand, als schleife sie und wetze sie, als schnitte sie dem Dienenden durch seine Stirn. Zu verstehen gab sie ihm, der vor ihr stand mit Topf und Kelle, es sei genug nun, er solle weiter seine Runde ziehen und den nächsten Gast bewirten. Läge ihr Löffel in der Schale, hieße es, sie verzichte ganz. Hätte sie zu wischen verzichtet, hätte er die Schale bis zum Rand gefüllt. Diese Zeichen waren verbindlich für den Umgang ohne Worte, denn stumm war das Sesshin. Nicht aber abgemacht war, wie man wischte, ob scharf, ob sanft, wenn man sich entschied zu wischen. Es gab Gäste, weibliche Japanerinnen, die so zart die Hände aneinander rieben, als wäre es ein Fächeln und ein Kosen. Und es gab ein Wischen, dass die Schneide schliff und dessen Klarheit sich mit einer Guillotine messen konnte. Dies war das Wischen einer Russin vom Ural.
Zerschnitten waren alle Bilder, die eben gerade in der Sitzung noch so deutlich schienen in der Innenschau nach außen. Eine Jakobsleiter war gestiegen aus dem Bodenholz, ein Weisheits-Dreieck war zu sehen, und Literatur stand so zitatenklar vor ihm wie selten. Vollständig memorierte er den Text der Seite 143 in dem Buch Bis in den Himmel: „Verzeih mir, Tomomi, ja…?“ sagt ein junger Mann, der in ausgetauschtem Körper vor seiner Tochter kniet. „Wuff Wuff Wuff“ bescheinigt ihm der Hund sein wahres Wesen, und das Blätterwerk sagt „Schhhhhhh“.

16. Juni 2012 20:24










Hans Thill

Der Partisan Wiese

verschwindet in seinem Fleckchen zwischen Halmen, wo es kein frisches
Hemd gibt, keinen Frisör. Anderswo macht die glatte Donau ein Knie,
hier braucht es runde Leute, während die Panonische Ebene flache
Kämpfer bevorzugt. Das Hasental

kennt nicht einmal den Rasenpartisan. Hier spricht man feucht die Worte
wie ein Stück Fleisch, ein Wurm, den die Amsel aus der Krume zieht. Hier
näht die Norne einen Knopf am Jeanshemd fest. Partisan Wiese trägt seinen
Namen kurz, fast einsilbig, dazu eine Krawatte

aus Moos, die ihre Fortsetzung findet in einer selbstgedrehten Zigarette. Seine
Religion ist Elfenbein und die Sichel der Sikarier. Frauen kochen ihm Essen,
stellen es auf eine morsche Platane, setzen den Wein hinzu auf einen Strunk,
die Wiese ist

mager. Frauen, très differentes des animaux. Kochen ihm einen Speierling
oder einen Schierling aus Pilzen. Er wohnt mit Hummeln in einem Baum,
er lebt in einem Topf mit Bienen. Die Deutschen haben seltsame Namen,
ihre Witwen leben von Abgüssen. Sie heißen

Ute Luchterhand oder Friedeburga oder Mechthild von Milch. Lieber sollten
sie heißen: Leuchthand, Käfergold und alle sollen bei Regen Platz finden
unter einem Fliegenpilz. Die Frisöre sollen singen: Love me Love me
und eine Amsel wird sie erhören.

Denn so ist das Gesetz der Wiese, festgenäht mit Fleisch und an die Halme
gebunden, es sind Gebote, schweigsam wie das Wort Gras. Das Blatt entrollt
sich und wird von Insekten eingerollt. Der Partisan spart das Gift. Er hat keine
Schlangenarmee

und eine Levitation der Wiese braucht auch andere Leute. Partisan Wiese
und Partisan Salzig verschwinden in einem Fleckchen Dornen, einem Tropfen
Donau. Die Kälte ist groß wie lange nicht mehr …

für Mila Haugova

14. Juni 2012 08:02