Gerald Koll

Zazen-Sesshin (11)

Für wie blöde halte der Schüler ihn, donnert der namenlose Mönch. Halte der Schüler den namenlosen Mönch für jemanden, der Antworten erteile, ohne gefragt zu werden? Die Glocke sei dreimal geschlagen und damit das verabredete Zeichen gegeben, dass der Schüler berechtigt sei, seine Frage vorzubringen, mit gefalteten Händen den Pfad zur Klause hinaufzusteigen, sich der Schuhe zu entledigen, die Tür beiseite zu schieben, die Schwelle zu übertreten und auf dem Boden Platz zu nehmen, um die Frage zu stellen. Es hieße, das Zeichen der Glocke zu missachten, nun, beim neuerlichen doku-san, da der Schüler mit seiner Frage bis zur Schwelle vorgedrungen sei, auf dieser Schwelle schweigend und stehend zu verharren und auf weitere Zeichen oder Einladungen des im Zazen ruhenden Meisters zu warten.

Der Leitfaden für das tägliche Handeln, sagt der namenlose Mönch, der den Schüler darin unterweist, die Ausbildung basiere nicht auf dem Disput, sondern der Unterweisung, sei die spontane Liebesreaktion auf die jeweilige Situation, und wir sprechen über Bomben.

18. März 2012 09:59










Gerald Koll

Zazen-Sesshin (10)

Wir nehmen einen Tee.

Auf dem Tagesplan wirkt der Eintrag „Tee“ wie ein Ausflug in zivile Dekadenz mit abgespreiztem Finger. In der Wirklichkeit des Sesshin handelt es sich um eine disziplinarische Maßnahme.

Nahezu alle Zeit der Teezeremonie gehört dem zeremoniellen Davor und Danach, dem andachtsvollen Warten ohne Erwartung, der bedachtsamen Empfängnis, der verbeugenden Empfangsbestätigung, der Weitergabe der Gerätschaft, dem wachen Lauern auf das Signal gemeinsamer Verkostung.

Verschwindend wenig Zeit benötigt der Verzehr eines abgezählten münzgroßen Keksgebäcks. Geschwind geschluckt ist die Menge Flüssigkeit einer Puppenstubenschale. In dezenter Eile müht sich einjeder, andere Teilnehmer nicht warten zu lassen. Durstige erhalten eine zweite Pipette.

Andachtsvoller Dank kleidet sich in Sutra, Bekenntnis und Versprechen, die nährende Spende zu verwenden im Dienst an der Menschheit. Die zähe Zeremonie endet, das Sitzen nimmt seinen Gang.

Wir nahmen Tee zu uns.

10. März 2012 12:10










Gerald Koll

Zazen-Sesshin (9)

Alles sträubt sich gegen die Unzumutbarkeit der seriellen Monotonie. Verschone dich, verschone später die, die keine Schuld trugen, dass du dich rädertest auf deinem Kissen und dir gefielst im blödesten Martyrium, um das dich niemand bat, das niemandem nützt und keine Idee besitzt als ideenloses Sitzen. Niemand will das, niemand zwingt und ermutigt dich dazu, weder gibt es Botschaft, Prüfung noch Beweis.

Eine Revolution sei hier im Gang, sagt der namenlose Meister.

Unter mir in meinem Rücken rischelt es. Es gibt Mäuse, weiß ich, nachts schon trippelte es im Gebälk. Es knirscht, als nage die Maus Sand zu Staub. Nie entfernt sie sich, sie bleibt bei mir. Nicke ich ein, kratzt sie. Lausche ich, hört sie auf. Döse ich, raschelt sie. Die Geräusche produziert mein Sitzkissen, dessen Füllung sich verschiebt, wenn mein Körper einsackt. Daran gibt es jetzt, am Ende der siebzehnten Einheit, keinen Zweifel.

4. März 2012 15:26










Hans Thill

walk like an egyptian

ein gypsy mit der Eierfrucht
in der Hand. Sich von
weichen Sachen nähren.
Einen Schleier tragen

wenn es stinkt, einen
Turban, wenn es blutet.
Wystarczy, es reicht.
Kifaya, es reicht. Maidan
al Tahrir und alle gehen

wie der Pharao aus Gips,
aus Fleisch und Bein,
mit dem Stein in der
Hand die Hölle
löschen (‚Attar)

4. März 2012 10:16










Mirko Bonné

Lucio Dalla 1943 – 2012 – \"Quale allegria\"

2. März 2012 10:40










Gerald Koll

Erinnerung an Christoph Hochhäuslers Film UNTER DIR DIE STADT

Ich erhebe mich, stütze meinen Körper auf sich selbst und trete ans Fenster, höher als die umliegenden Dächer, und unter mir die Stadt, die in der langsam beginnenden Stille schlafen geht. Der große, weißweiße Mond erhellt traurig das vielfältig terrassierte Häusermeer. Es ist, als beleuchte sein Licht eisig das Geheimnis der Welt. Es scheint alles zu zeigen: und alles ist Schatten, hie und da ein Einsprengsel von Licht, falsche, uneben absurde Zwischenräume, Ungereimtheiten des Sichtbaren. Nicht ein Windhauch, und das Geheimnis scheint größer.
(Fernando Pessoa: Das Buch der Unruhe, Eintrag 149, 3. März 1931)

1. März 2012 11:29










Andreas H. Drescher

Februar-Falter

Im Garten der Februar

Falter Zitronen

Falter Jetzt sind

es ……  schon …… zwei

29. Februar 2012 19:11










Hans Thill

Grossfischlingen

28. Februar 2012 00:08










Gerald Koll

Zazen-Sesshin (8)

Eine Sitzeinheit von vierzig Minuten lässt sich verkürzen, indem man sie als Berganstieg vorstellt, der in achtzig Minuten zurückzulegen sei. Das Ziel könnte ein Tempel sein, wie bei einer Pilgerreise. Die Sitzzeit verginge im Zeitraffer, und die Tätigkeit erschiene bequem, sofern man dem Irrglauben anhängt, Sitzen wäre bequemer als Gehen. Eben noch, vor der 16. Einheit, ging ich, eben noch ging ich auf belaubten Wegen unter Ästen, eben war Samu, die vormittägliche Gartenarbeit.

Während des Samu trug der namenlose Meister eine Jakobinermütze. Nur die rote Farbe fehlte. Auch die Kokarde. Sonst aber nichts.

Das hingegebene Lächeln des Schülers während des Samu ist frei von Ironie. So stumpfsinnig kann die stumpfsinnigste Arbeit nicht sein, als dass sie nicht befreiender wäre, als still zu sitzen. Glücklich bürstete der Schüler nasses Laub zwischen Moosen heraus. Schob eine Karre den Abhang hinauf zu den Haufen und Wurfhügeln. Auch ließ sich das allgemeine Schweigegebot unterlaufen, denn zu fragen ist erlaubt, wo Gerät zu finden sei. Wo ist Schaufel, wo ist Besen? Dort im Schuppen neben dem Kompostklo, in dem du deine Exkremente mit Sägespänen bestreust!

Dann ist sie da, die 16. Einheit. Während des Starrens wellt sich der Dielenboden zur Wüstendüne. Vier Astlöcher verbinden sich zu einem Löwenkopf. Nur die Mähne fehlt. Auch die Zähne. Sonst aber nichts. Der dürre Löwe starrt ungläubig, die Knie starren zurück.

27. Februar 2012 08:59










Andreas Louis Seyerlein

~

0.08 – 0.08 – Eine kleine Geschichte habe ich rasch noch zu erzählen. Sie verfügt über kaum Handlung, eine Geschichte, die sich im Grunde Tag für Tag auf einem Fährschiff der Staten Island Fährenflotte wiederholen könnte. Auf diesem Schiff, das den Namen John F. Kennedys trägt, befindet sich in der Mitte des Bridgedecks hinter einem Tresen ein kleines Ladengeschäft, das der Versorgung der Reisenden dient, ein Ort, der leuchtet und blinkt, ein Ort, der nach Popcorn duftet, nach Kaffee, nach gebratenem Schinken und nach weiteren Substanzen, die ich bislang nicht identifizieren konnte. Obst, Schokolade, Cookies, Bonbons, auch Straßenpläne Manhattans, Feuerzeuge, Coca Cola, Zuckerwasser in verschiedensten Farben, Nüsse, geröstete Mandeln, was ich wähle, was ich wünsche bekomme ich von einem Mann ausgehändigt, der seiner Erscheinung nach in Mexico oder Nicaragua geboren worden sein könnte. Sein stoischer Ausdruck ist mir sofort aufgefallen, lange Zeit habe ich ihn beobachtet, dieses Gesicht, das wirkte, als würde es eine aus Tropenholz geschnitzte, eine auf das Sorgfältigste bemalte Maske tragen, darin Augen, dunkle, schimmernde Knöpfe. Die Stimme des Mannes, die sich dort irgendwo befinden muss, habe ich bisher nie gehört. Und ich habe nie gesehen, dass er sich von seinem Platz fortbewegte, er steht senkrecht hinter seiner Ware, ein Monument, das über sehr schnelle, sehr lange Arme verfügt, ja, es sind die Arme, das einzige was sich an diesem Mann bewegt sind seine Arme, diese Arme sind Handlung, sie sind eine Geschichte, sie sind erstaunlich, weil sie in der Geschwindigkeit der Chamäleonzungen nach Waren greifen. Einmal habe ich einen der Fotoapparat gekauft, die der Mann in seinem Sortiment für Touristen bereithält. Der Apparat kostete sechs Dollar und der Film 8 Dollar. Das ist ein wirklich altmodischer Film, einer, den man, um seine Bilder betrachten zu können, entwickeln muss. Ich habe den Mann nun mit genau diesem Fotoapparat fotografiert. Ich glaube, der Mann freute sich über meine Geste. Er schien unter der Maske seines Gesichtes zu lächeln. Vielleicht ahnte er zu diesem Zeitpunkt, dass ich einmal nachsehen werde, ob er lächelte, ein Geschenk für die Zukunft. Ende der Geschichte. – stop

20.25 – Es ist jedes Mal ein aufregender Moment, wenn sich die Kabine des Aufzuges vom 22. Stockwerk aus nach unten zu bewegen beginnt. Ich werde etwas größer für ein oder zwei Sekunden, ich kann das im Spiegel, der die Rückwand meines Reisebehälters vollständig bedeckt, genau erkennen, ich werde etwas größer, oder ich verliere den Boden unter den Füßen, es ist ein wirklicher Moment des Fallens, ein Raum der Zeit, der bereits vorüber ist, ehe man ihn mit Wortbedeutung ausgesprochen haben mag: Sekunde. Aber dann steh ich schon wieder fest auf dem Boden, bin so groß wie zuvor, ein Irrtum natürlich, nicht die Größe, aber dass ich sicheren Boden unter meinen Schuhen haben würde, weil ich doch abwärts rase, was ich am wandernden Licht der Zahlenreihe, die sich neben der Kabinentüre befindet, erkenne. Außerdem knistern meine Ohren und ich habe den Eindruck, dass auch mit meinen Augen etwas anders geworden sein könnte, ein Drama vielleicht, das sich hier gerade zu entfalten beginnt. Vor vier Wochen noch hatte ich einmal im Aufzug einen Spaziergang unternommen, rasch, wie ein Tier in seinem Käfig hin und her, ich wollte mich sehen, wie ich im Fallen zu gehen vermag, ein lustiger Anblick, nehme ich an, weil ich kurz darauf den Eindruck hatte, der kleine Wächter im Foyer habe ein ironisches Lächeln im Gesicht getragen, vielleicht weil er mich beobachtet hatte mittels einer Kamera, die sich in einer der oberen Winkel der Kabine befindet. Seltsam ist, man wird scheinbar nicht kleiner, wenn man das Erdgeschoss erreicht, obwohl man doch sehr schnell langsamer wird, gestaucht, meine ich, gepresst und diese Dinge. Ich habe weiterhin beobachtet, dass ich, indem ich den Aufzug verlasse, je eine leichte Linkskurve nehme, die so nicht geplant ist. Meine Schneckengänge, meine Labyrinthe im Kopf, daran könnte es liegen. – stop

> particles

22. Februar 2012 17:58