Mirko Bonné

Grüne Ziege

Ein alter Garten voll Giersch,
mitunter denke ich und fürchte,
das wäre ein Bild für ein Leben.
Dann renne ich hinaus irgendwo
oder stürze in einen hellen Laden,
kaufe was und werf es in Gedanken
gleich weg. Das Dreiblatt, der Giersch
wächst mir durch den Tag. Misstrauen
wuchert, von Abscheu getriebenes,
endlos vergebliches Ausbessern.
Komm, denke ich, Zimmerholler,
verrate mir also, was du liebst.
Stickstoff habe ich reichlich,
Ziegenfuß, du grüne Geiß.

Du hast keine Vergangenheit.
Weißt nicht einmal vom Entzücken
meiner Großmutter, sah sie die Wiese
erstickt vom Baumtropf, dem Schettele.
Sie bereitete aus den Blättern Salat,
kochte gegen den Rheumatismus
die Stängel. Blüten trocknete sie,
Bodenschatz, sagte sie zärtlich,
weiße Tränen in grünen Augen.
Ich durchtrenne Triebe, kämme
allen Giersch und seine Namen
aus dem Gedächtnis, dem Gras.
Still liege ich da und habe Angst,
für ein Leben wäre das ein Bild.

*

10. Juni 2011 10:49










Andreas H. Drescher

Plötzlich

Plötzlich der Ausdruck
„sehr ungelesene Mails“
in meinem Kopf. Wer

hat Vorschläge, wo
das herkommt, wo
das h i n w i l l ?

(Erstes Facebook-Dialolg-Gedicht)

10. Juni 2011 09:51










Gerald Koll

Klaus Kinski stochert am 25. Oktober 1985 in zerlaufenem Vanilleeis mit Himbeeren

„Außerdem hab‘ ich Leute mit der Hasselblad gesehen, die haben so schnell fotografiert wie kein Mensch mit der Leica. Das ist Talent, das nennt man ‚Talent‘, nicht?, man nennt es ‚Talent‘, man kann es auch anders nennen – es ist bekannt unter dem Namen ‚Talent‘.“
(…)
„Ich bin doch nur aus Zufall hier.“
Helga Guitton (RTL): „Nee.“
„Guck, jetzt sagt wie wieder: ‚Nee‘ und denkt, jetzt hat sie irgendwas gesagt.“

(The Klaus Kinski Estate Edition No 2: Kinski Talks 1)

4. Juni 2011 10:47










Gerald Koll

Vatertag

Der Vatertag geht zur Neige. Gerade habe ich meine Steuererklärung abgeschickt.
(Die Uhr in der Fußleiste geht eine Stunde nach.)

2. Juni 2011 22:58










Gerald Koll

Kühle

Für Frau Wittenborn hat der Sommer begonnen. Frau Wittenborn, der Name unverändert, Suche unter google zwecklos, denn Frau Wittenborn ist nicht bei facebook oder twitter, auch einen Computer hat sie nicht und auch kein tragbares Telefon, Frau Wittenborn steigt vormittags die Treppen des Hinterhauses herab, 93 Jahre ist sie alt und schlecht zu Fuß, Frau Wittenborn aus dem dritten Stock steigt vier Treppen herab, denn der Sommer ist sehr heiß, und die Lunge schnappt nach Luft, Frau Wittenborn sitzt dieser Tage, um die Hitze durchzustehen und den Abend abzuwarten, tagelang auf einem Stuhl allein im kühlen Kohlenkeller.

31. Mai 2011 10:21










Björn Kiehne

dass ich noch Worte finde

dass ich noch Worte finde
das Rauschen der Fontäne
die Weltweisen aus den Zweigen
das sanfte Abfallen des Ufers zum See
am Rand des Wegs
wilde Rosen, Iris, Schleierkraut
die Sonne flutet den Garten
im Schatten der Linden
gänseblümelt die Welt

30. Mai 2011 20:26










Mirko Bonné

Weberknecht

Auf haarfeinen acht Leitern
steigt ein silbernes Auge
durch Lichtvierecke,
da, es blinzelt –

Wald. Alles Messer,
Nadeln endlos. Worauf
dieser Augendesperado
auf acht Klingen steigt.

Er hat Dornenwimpern.
Bebt, wenn im Weiher
Forellen trauern, still
im Wasser weinen,

oder wenn unfassbar
Blätter zittern, Pappeln
im erfinderischen Wind –
einmal so erfunden sein.

So kommt er auf dich zu,
du fahle Karkasse, äugt,
nimmt dich in den Blick
und deinen mit sich fort.

Für Günter Herburger

*

28. Mai 2011 17:36










Thorsten Krämer

Abschied vom Holodeck

5. Abschied vom Holodeck

Es wäre auch zu schön gewesen: die Beherrschung der
Materie qua Verneinung. Die unbegrenzten Möglichkeiten
reichen noch bis morgen. Dann Müdigkeit, ein Stromausfall, und
alle Pizzataxis streiken. Es wäre auch
                                                                    nicht wahr
gewesen: der Traum, den jedes Mängelwesen träumt. Ein Projektil
aus Quecksilber, unterwegs in Richtung Tod. Die Simulation
frisst ihre Kinder. Sie sind eingeloggt als: Besucher.

24. Mai 2011 13:00










Hans Thill

Keine Chance für DSK

Er hatte noch ein paar Stunden bis zum Flug, er wollte nicht frühstücken sondern auf einen Spaß warten. Test stellte sich den Mann vor, nackt in der kühlen Nasszelle, die erste Stunde noch erregt und kräftig, dann immer mehr fröstelnd, mit seinem alten Hintern mal auf dem harten Rand der Badewanne mal auf der bequemeren Klosettbrille sitzend, den Blick in den Spiegel vermeidend. Dann wieder, wenn er etwas zu hören glaubte, sprang er auf und horchte an der Tür. Nach einer Zeit, dachte Test, wurde ihm auch die Klobrille unangenehm,in der gewohnten Stellung. Also unternahm er wieder einen Rundgang durchs Bad, kam schließlich auf die Idee, den Klodeckel zu schliessen und dort Platz zu nehmen, das harte kalte Plastik an den Hoden. Als endlich das Zimmermädchen geschäftig hereinkam und mit den Schlüsseln klapperte, war er schon so geschwächt von seinen Fantasien und so ausgekühlt von der Klimaanlage, dass es ihm nicht mehr gelang, die schlanke junge Frau zu überwältigen, fest eingeschlossen in die strapazierfähigen Stoffe ihrer Arbeitskluft mit nach hinten gebundener Schürze. Test stellte sie sich in Pastellfarben vor, das brünette Haar mit einem hellblauen Kopftuch zusammengebunden, so daß sie den frischen, adretten Eindruck machte, den das Management von ihr verlangte. Er stellte sich ihren Körper warm vor, gut durchblutet von der anstrengenden Arbeit, vielleicht unter den Achseln ein wenig schwitzend, weil sie mit dem Zimmerplan durch eine etwas lang geratene Kaffeepause in Rückstand geraten war und sich nun beeilen musste. Keine Chance für DSK, als er wie ein umnachteter Pan aus der Nasszelle hervorstürzte.

20. Mai 2011 12:58










Björn Kiehne

Hundeheimat

Neu hier,
kennen weder
Straßen noch Plätze,
lauschen Schritten
auf der Treppe,
gehen vor die Tür.

Straßen treten,
Schatten treiben,
schwarze Hunde,
Tintenrunden.

In jedem Blick
eine Heimat
für Sekunden.

19. Mai 2011 10:05