Mirko Bonné

1521

Der Schmetterling dort in der Luft
Der nicht weiß wie er heißt
Und keine Steuern zahlen muss
Und kein Zuhause hat
Fliegt erst so tief wie du und ich
Dann höher, glaube mir,
Drum schwirr hinfort und seufze nicht
So geht das Trauern hier –

Emily Dickinson

*

20. März 2011 17:39










liu xiaobo

*

du weißt dass das Grab

für dich der beste Rastplatz ist

um dort auf mich zu warten

angstfrei und ohne Gefahr

Übersetzung:  Kerstin Preiwuß

20. März 2011 16:02










Gerald Koll

Lieber Hu Jintao,

es war keine gute Idee, einen Repräsentanten der Gedankenfreiheit einzusperren. Es schadet der chinesischen Wirtschaft. Sie haben sich geirrt.

In Deutschland irren wir uns auch dauernd. Hoffmann von Fallersleben und andere Sänger der Hymne auf die Gedankenfreiheit irren zum Beispiel, wenn sie den Raum der Gedanken auf den Schädel des Einzelnen beschränken. Einem Fürsprecher bedingungsloser und allgemeiner Gedankenfreiheit ist der Gedanke denkbar und doch gleichzeitig absurd, Gedanken in Rücksicht auf Schicklichkeit in Gewahrsam und Isolationshaft zu nehmen.

Der größte Teil der Körpermasse von Liu Xaobo befindet sich übrigens außerhalb des Gefängnisses. In seinem Buch The Secret Family errechnete David Bodanis 1997 (damals versuchte Ihr Vorgänger Jiang Zemin vergeblich, Liu Xaobo in einem Arbeitslager „umerziehen“ zu lassen), dass kein einziges Molekül unseres Körpers vor neun Jahren schon zu uns gehört hat. Nach dem Rhythmus fortwährender Zell-Erneuerung und dem Gesetz der Haltbarkeit der Atome befinden sich fünf von sechs Teilen eines 56jährigen Menschen naturgemäß außerhalb des gegenwärtigen Körpers. Das ist eine gute Nachricht: Auch Sie haben jederzeit die Möglichkeit, sich zu ändern. Sie können es gar nicht verhindern.

20. März 2011 16:02










liu xiaobo

*

in der Tiefe deiner Seele

wird das Grab Zentimeter um Zentimeter

aufgeschüttet von den Füßen

bis zur Brust

bis zum Hals

Übersetzung:  Thorsten Krämer

20. März 2011 14:02










liu xiaobo

*

In Zeiten wie diesen

zeigt sich nur

der erstickende Staub treu

/

deine Vorstellung, Atem und Metrum

dringen ein in den Staub

Übersetzung:  Sylvia Geist

20. März 2011 12:02










liu xiaobo

*

du sitzt dort den ganzen Tag

wagst nicht dich zu rühren

aus Angst den Staub in den Staub zu treten

du versuchst bewusst zu atmen

nutzt Stille um eine Geschichte zu schreiben.

Übersetzung:  Hendrik Rost

20. März 2011 10:02










liu xiaobo

*

über dem Bücherbord, die handgeschriebene Aufschrift ist staubbedeckt

auf dem Teppich atmet das Muster Staub ein

wenn du einen Brief an mich schreibst

und es liebst dass der Stift ein Staubstift ist

sind meine Augen niedergestochen vor Schmerz

Übersetzung:  Björn Kiehne

20. März 2011 08:02










liu xiaobo

*

nichts bleibt dir übrig, nichts

als im Staub unseres Hauses auf mich zu warten

diese Schichten

angehäuft, wachsend, in jeder Ecke

jedes Licht würde ihre Stille stören

du wirst die Vorhänge nicht öffnen

Übersetzung:  Sünje Lewejohann

20. März 2011 00:02










/ *

Liebe Leserinnen und Leser!

Zum „Jahrestag der Politischen Lüge“ am morgigen 20. März wird in diesem Jahr an den chinesischen Schriftsteller, Dissidenten und Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo erinnert, der im Dezember 2009 als einer der Verfasser der „Charta 08“ zu elf Jahren Haft verurteilt wurde. Weltweit wird an zahlreichen Orten aus Protest gegen derartige Menschenrechtsverstöße seitens des chinesischen Machtapparats am morgigen Tag Liu Xiaobos seiner Frau Liu Xia gewidmetes Gedicht „You Wait for Me with Dust“ sowie die „Charta 08“ verlesen. Der Goldene Fisch hat aus diesem Grund Liu Xiaobo symbolisch in seine Mitte eingeladen. Acht Autoren haben Lius Gedicht ins Deutsche übertragen und werden morgen ihre Übersetzungen auf unserer Plattform posten, ferner werden wir Links zu chinesisch- und deutschsprachigen Fassungen der „Charta 08“ schalten.

Mirko Bonné
Andreas Louis Seyerlein

19. März 2011 22:22










Mirko Bonné

Tschernobyl: Small Talk

Ich glaube, ich kann dir ein Geheimnis anvertrauen:
Mir wurde befohlen, mich in dich zu verlieben,
und ich bin heillos um meine Augen besorgt.
Bedenke zudem den Kollaps meiner eigenen
kleinen Welt. Ich würde dich ja küssen,
fürchte aber mich schmutzig zu machen.

Keiner hört mich. Ich lalle und meine Hände
sind immerfort in Bewegung, denn die
Liebe ist unsterblich und lebt weiter
in Träumen und Gesichten. Ein Fanatiker
ist fehl am Platz, erlaub mir aber Sehnsucht.
Komm rüber, die Äpfel im Obstgarten
meines Beschützers sind reif.

Irgendetwas an der Art wie du tanzt
sagt mir wieder, setz dich besser. Wir
sind schön, solange wir Masken tragen,
und Verrat ist ein Spiel voll Zartgefühl.
Wie ein Zirkus verberge ich Herzschmerz.
Bald machen mich meine Fehler berühmt.

Emma Lew

*

19. März 2011 11:14