Markus Stegmann

Null

Aus halbwässriger Weser möglichen
Lungenbehältnissen steigen
Lindenrinden ans bespannte ans
bleibesetzte Land bleibt
einer ihrer Arme in ereignislosen
Ringen liegen steigt einer versehentlichen
Milchspur gleich verschüttete
Nehrung der Normannen unter Null

28. Dezember 2010 01:00










Thorsten Krämer

Code connu

X.

eine Panik wie Rauchzeichen am Horizont

der Wechsel in eine härtere Währung

das Summen des Makrokosmos

deine die Lücke schließende Antwort

umsonst ein jahrelanges Manöver

die eingeschmuggelte Vitaminkur

deine den Äther durchdringende Temperatur

ein Schritt, der sich selbst erinnert

27. Dezember 2010 17:52










Mirko Bonné

Kreuzspinne

4

Weiße Fliegen, kalt,
dem Geschmack nach
altes Wasser, Schnee!

schrie am Fenster
der Zweibeiner, Schnee!
– und da fror sie.

Die Wand lesend,
das Gepilz, glitt sie
zu der Nische,

da lebte etwas,
das fraß sie, damit
nichts mehr begann.

*

Allen Fischen und allen Fischern schöne Festtage!

23. Dezember 2010 11:34










Andreas H. Drescher

ELF ZEITALTER X

Das zehnte Zeitalter gibt sich bereits unzweifelhaft und tot. Eröffnet nur mit dem Hibiskus einen Blumenladen. Der ist ihm Morgenstern und Abendstern der Portokasse. Vorm Friedhof macht sich das ganz gut. Das Wechselgeld wird ganz in Grabgestecken ausbezahlt. Hellhörigkeit. Ob nicht so gegen Ende doch noch etwas klopft. Ein Feuerwerk aus Linden-Rinden. „Ach, komm! Wer weiß das alles noch und schon!“ Als komme es auf Wissen an, hier, vor der Friedhofsgärtnerei.

21. Dezember 2010 10:28










Hans Thill

Ortsveränderung: Die Dörfer

DAS NÄCHSTE DORF lag in den Zeilen von Rüben, Kohl und Besen. Die Bewohner trugen Augenklappen mal rechts mal links. In der Mitte stand eine Pyramide. Hier fand früher das Blutgericht statt, unter Buchen, sagte ein Gemeindediener. Wir dachten an Alexander, der dem Kläger nur ein Ohr lieh (Plutarch). Mit tastenden Schritten gingen Knaben über den Kiesweg. Frauen wischten Farbe von den Steinen, die an der Kirchenwand hingen.

21. Dezember 2010 10:00










Andreas Louis Seyerlein

~

2.18 – Ein Eisbuch besitzen, ein Eisbuch lesen, eines jener schimmernden, kühlen, uralten Bücher, die knistern, sobald sie aus ihrem Schneesschuber gleiten. Wie man sie für Sekunden liebevoll betrachtet, ihre polare Dichte bewundert, wie man sie dreht und wendet, wie man einen scheuen Blick auf die Texturen ihrer Gaszeichen wirft. Bald sitzt man in einer U-Bahn, den leise summenden Eisbuchreisekoffer auf dem Schoß, man sieht sich um, man bemerkt die begeisterten Blicke der Fahrgäste, wie sie flüstern: Seht, dort ist einer, der ein Eisbuch besitzt! Schaut, dieser glückliche Mensch, gleich wird er lesen in seinem Buch. Was dort wohl hineingeschrieben sein mag? Man sollte sich fürchten, man wird seinen Eisbuchreisekoffer vielleicht etwas fester umarmen und man wird mit einem wilden, mit einem entschlossenen Blick, ein gieriges Auge nach dem anderen gegen den Boden zwingen, solange man noch nicht angekommen ist in den frostigen Zimmern und Hallen der Eismagazine, wo man sich auf Eisstühlen vor Eistische setzen kann. Hier endlich ist Zeit, unterm Pelz wird nicht gefroren, hier sitzt man mit weiteren Eisbuchbesitzern vertraut. Man erzählt sich die neuesten arktischen Tiefseeisgeschichten, auch jene verlorenen Geschichten, die aus purer Unachtsamkeit im Laufe eines Tages, einer Woche zu Wasser geworden sind: Haben sie schon gehört? Nein! Haben sie nicht? Und doch ist keine Zeit für alle diese Dinge. Es ist immer die erste Seite, die zu öffnen man fürchtet, sie könnte zerbrechen. Aber dann kommt man schnell voran. Man liest von unerhörten Gestalten, und könnte doch niemals sagen, vom wem nur diese feine Lufteisschrift erfunden worden ist. – Guten Abend. Fröhliche Weihnachten!

> particles

20. Dezember 2010 19:19










Hartmut Abendschein

stadtlicht entweicht nicht
christkindlgelbe
morgen dieselbe
wintersommernacht
lichtverschmutzungspracht

(limmatwürfel)

16. Dezember 2010 23:55










Mirko Bonné

Kreuzspinne

3

Sieht im Spiegel
des Menschenfensters
das eklige Tier,

weißes Kreuz, Achtbein,
die pralle Leibbeere
wie ihre: ich.

Vor dem Glas hängend
bestarrt sie ein Kleid, rot,
Courbets Kornsieberin.

Vorbeifliegen Tage.
Und Laub trudelt
ins rauschende Gras.

*

16. Dezember 2010 17:15










Andreas H. Drescher

ELF ZEITALTER IX

Das neunte Zeitalter spielt mit sich selbst als Unglücks-Neun. Als Zeit odysseeischer Unglückstage und als Stunden auf Golgota. Jetzt, gerade jetzt, verwandelt es die Neun in Wasser zurück. Vom Lindenblütentee. Glasweise. Tassenweise. Von Hand anstatt zu Fuß. Doch nur ein Lindenbalken. Das reicht zum Schweben nicht. Neinnein, in keinem Fall. Neun Jahre stirbt Odysseus jetzt seinen berühmten Tod am Kreuz. Von wieder manchem Kirchturmhahn verlassen. Keiner je gewesen. Keiner.

14. Dezember 2010 17:43










Hans Thill

Ortsveränderung: Die Dörfer

DAS NÄCHSTE DORF hatte ein Bretone ganz hinuntergeschluckt. Jetzt hieß der Flecken nach den Fischen eines nahegelegenen Teichs, in dem die Bauern ihre Traktoren wuschen. Wir hörten in den Monokulturen den Zucker steigen, als wir trockenen Fußes auf dem heißen Band der Wirtschaftswege trabten, klopften wir mit Stöcken auf den weichenden Belag.

14. Dezember 2010 16:27