Gerald Koll

Die Nacht

06:34

Blau erfüllt wie jeden Tag
seinen Farbauftrag.
Schwarze Galloways auf gelbem Grund

stehen stiller als ein Kahn am Abend,
wenn Windhauchpinsel Flanken streichen.
Sechsuhrneunundvierzig: Da verliert ein Rind,

als sein Kopf zur Erde sinkt,
das Spiel, wer sich zuerst bewegt.
Starenwolken wabern, Möwenmeuten

nehmen Stege in Beschlag, ignorieren
einen grauen Vogel, Cutaway mit Buckel.
Er gehört nicht zur Familie.

Er ist ich, gehört zu mir
Wir sind uns fremd
Das Stillleben sind wir.

(Gedichtzyklus in acht Uhrzeiten entstanden auf der Lotseninsel Schleimünde vom 23. auf den 24. September 2010, als bei Vollmond der Sommer in den Herbst überging)

6. Dezember 2010 01:13










Gerald Koll

Die Nacht

05:47

Ein Hauch von Rouge, ein rosa Band,
zu früh, es ist noch eine Stunde hin
zum offiziellen Aufgang,

doch das da, dieses Rosa da – –
obszönes Rokoko auf jadegrünem Dekolleté – –
der Mond zieht sich entsetzt zurück.

(Gedichtzyklus in acht Uhrzeiten entstanden auf der Lotseninsel Schleimünde vom 23. auf den 24. September 2010, als bei Vollmond der Sommer in den Herbst überging)

6. Dezember 2010 01:11










Gerald Koll

Die Nacht

04:30

Bollro lag hier,
Agos und Fründ, Slimöv, Wombat, Jecca.
Gekerbtes Verzeichnis der Angeketteten.
Auch Schröder. Sogar Möwe.

Durchs Rauschen ein einsamer Schrei –
kläglich

Die Nacht nimmt Witterung auf.
Ein Stein wärmt meine Hand.
Nässe beißt in Bauch und Darm.
Sörnsen!

Sörnsen.

Gedichtzyklus in acht Uhrzeiten entstanden auf der Lotseninsel Schleimünde vom 23. auf den 24. September 2010, als bei Vollmond der Sommer in den Herbst überging)(

6. Dezember 2010 01:08










Gerald Koll

Die Nacht

02:30

Blickt man vom anerkannten Seefahrtszeichen
auf das altbekannte, blinzelt drüben glühend rot
ein vertikaler Augenschlitz: ein Drache? Schreie.

Doch nähert man sich langsam, ändert sich die Lage.
Auf der Mole knirschen unter Sohlen leer gelutschte Leichenreste:
Die Knochengasse führt zum Monsterclown.

Mantel weiß, schwarzer Kragen, das Gesicht geweißt.
Zwei gekreuzte Stäbchenaugen, gelb der Nasenknopf
Lichter bilden einen Kranz um seine Mützenkrempe.

Amputierter Lotse.
Ausgelacht
von fressenden Geschwadern.

(Gedichtzyklus in acht Uhrzeiten entstanden auf der Lotseninsel Schleimünde vom 23. auf den 24. September 2010, als bei Vollmond der Sommer in den Herbst überging)

6. Dezember 2010 01:02










Gerald Koll

Die Nacht

00:00

Der Gemeine Mond träufelt Licht.
Die Gemeine Schafgarbe legt es in
trugdoldig angeordnete Körbchen.

Der Pappelwald, ein anerkanntes Seefahrtszeichen,
bildet eine Pflanzenformation aus 37, 38 Stämmen.
Wurzeln pappeln miteinander unterhalb der Erde.

Der Herbst beginnt.

krsch, der Marder füllt
den Brutkasten mit Köpfen seiner Beute.

uhmp, die Graugans hat zu dieser Stunde
nicht mit dem Seeadler gerechnet.

gnirg, den Fuchs verstimmt, dass ein Kaninchen seinen Bau betritt:
Beißhemmung. Er geleitet den Besuch nach draußen.

(Gedichtzyklus in acht Uhrzeiten entstanden auf der Lotseninsel Schleimünde vom 23. auf den 24. September 2010, als bei Vollmond der Sommer in den Herbst überging)

6. Dezember 2010 00:53










Gerald Koll

Die Nacht

19:52

Am Schluss der Blauen Stunde hält ein
Grillenschrei den Sommer fest – –
schrille Grüße aus dem Blaugebet
auf das sich alles eingelassen hat:

Verschwörung schwärmender Vögel

Das Ufer ist ein Saum aus blauer Tusche.
Überall Ultramarin, worin der Mond …
thront. Auf seiner Strahlenlandebahn
heben Hevelmänner ab zur Himmelfahrt
durch seine runde Luke. Er wird sichtbar:

Johann Friedrich Sörnsen

Ein Lichtbild: Das Boot ist sein Bett,
im Bug liegt ein Berg, im Rücken ein Kissen
Seegras. Das fischte und verkaufte Sörnsen
als Matratzenfüllung:

bis 1960

Vierzigfünfzig Jahre später
schiebt eine Welle Beute
an die Bootanlegestelle.
Schwer der Atem. Seufzt sie?
Grillen schweigen, Blau lässt los:

der Mond stieg nie, wir fallen

(Gedichtzyklus in acht Uhrzeiten entstanden auf der Lotseninsel Schleimünde vom 23. auf den 24. September 2010, als bei Vollmond der Sommer in den Herbst überging)

5. Dezember 2010 18:57










Gerald Koll

Die Nacht

19:17

Der Maler stiller Leben malt still
vierzigfünfzig Jahre
mit Farben und Wasser Farben des Wassers

mit liegendem Boot mit stehendem Mann
während über Planken, Rumpf und Rippen
Wellen streichen

Man hält still für den Maler stiller Leben
seine Pinsel streichen Farben des Wassers
mit Farben und Wasser vierhochfünfzig Jahre

(Gedichtzyklus in acht Uhrzeiten entstanden auf der Lotseninsel Schleimünde vom 23. auf den 24. September 2010, als bei Vollmond der Sommer in den Herbst überging)

5. Dezember 2010 17:18










Nikolai Vogel

Pulverschnee fällt

Das Weiß wächst die Wege hoch und draußen toben Eisbären. Eine Läuferin mit beschneiten Wimpern. Die Luft als Vorhang.

-> Der erste Schnee

1. Dezember 2010 22:49










Mirko Bonné

Kreuzspinne

1

Niemand, der ihr zeigt,
dass sie da ist, kein Bein
auf ihr Herz gelegt.

Blickt unentwegt:
ins Blau des Tags
hinter Wolkennetzen,

wartet auf die Welt,
frisst sie, lacht,
träumt: bedeutungslos.

Vorbeifliegen Tage
und enden in Zacken,
Beinen, der Nacht.

*

30. November 2010 14:53










Andreas H. Drescher

ELF ZEITALTER VII

Das siebte Zeitalter staucht, lange vor dem Kopf, den Bauch heraus und trägt sein Tragen mütterlich ins Ungesagte. Wasimmerihmdas, was immer ihr das einträgt. Garagenlandschaften am Ende. Aber wer will schon vom Ende reden? Das Lindenholz versteckt sich in sich selbst, um aus dem Schraubstock zu finden oder gar nicht erst hinein. Mit diesem Hibiskus-Heulen, das die Stadt zum Dorf schwemmt. „Willst du?“ „Willst denn du?“ Schließlich reißt sie die Geburt in die Garage.

30. November 2010 14:21