Gerald Koll

Der Manga „Gipfel der Götter“ mit Zeichnungen von Jiro Taniguchi nach dem Szenario von Baku Yumemakura umfasst fünf Bände mit jeweils über 300 Seiten. Die deutsche Ausgabe folgt der japanischen Leserichtung von rechts nach links.

Er verfolgt den Bergsteiger Habu Yoshi bei seinem kühnen Unterfangen, den Mount Everest im Alleingang ohne Sauerstoff über die Südwestflanke zu bezwingen.

Der Roman „Der eiskalte Himmel“ von Mirko Bonné enthält keine Zeichnungen umfasst ein Buch mit 427 Seiten. Die Leserichtung erfolgt von links nach rechts.

Er verfolgt den Versuch Ernest Shackletons, den antarktischen Kontinent zu durchqueren. Gut hätte George Mallorys Satz zu Shackleton gepasst, gut hätte man daran anknüpfen können. Doch der Satz taucht im Roman gar nicht auf. Warum auch? Mallorys Everest-Expeditionen begannen 1921, als Shackleton zu seiner letzten aufbrach.

7. August 2010 14:23










Thorsten Krämer

Code connu

II.

um einem See zu entkommen

ein Steinschlag vor versammelter Mannschaft

deine anspruchsvolle Transparenz

im Augenblick einer Trägheit

woanders werden die Hunde gefüttert

deine Spur, ein markantes Gewese

um mit anderen Zungen zu sprechen

die hingebungsvolle Klarheit der Luft

ein zahnloses Flirren, die Überlegenheit

am Ort einer sich schützenden Not

dein optimierter Re-Boot-Prozess

um mit hängenden Armen Musik zu machen

eine irregeleitete Lorelei

die Gestalt einer schwankenden Kiefer

im Traktorstrahl einer schönen Vernunft

deine schwer atmende Mutwilligkeit

ein Gelenk, das dir Almosen spendet

die Krankheit der wenigen anderen

um noch einmal eine Szene zu machen

ein Depot der hingeworfenen Sätze

vor dem Hintergrund einer stummen Lawine

deine stets aufrechte Ahnung

im Vorübergehen, das Aufflackern

um die Sinnhaftigkeit zu vertuschen

dein noch immer vorhandener Stillstand

die Jugend einer schüchternen Großtat

eine Hand, die ein Gähnen nur antäuscht

neben dem Bild einer Mauerecke

die Ungewissheit, der abstrakte Körper

in der Durchführung eines Manövers

um alle Zinsen zu zerstören

dein goldenes Angewinkelt-Sein

4. August 2010 10:48










Mirko Bonné

Meine Töchter, Berlin und ich (1): Dr. Kaesbohrers Puppe

Während längerer Autofahrten ist es nur eine Frage der Zeit, bis meine Tochter Sonia zu mir sagt: „Papi, Papi, erzähl uns eine Geschichte wie früher die mit dem Pferd und dem Baum und dem See, wo sich alles verzaubert“ – eine Geschichte, an die ich mich leider nicht erinnere. Stattdessen erzählte ich meinen Töchtern eine Geschichte, die ich einmal ins „Forum der 13“ gestellt hatte, vor damals fünfeinhalb Jahren, als Julika, meine Jüngste, noch gar nicht auf der Welt war, und noch einmal, vor gut zwei Jahren, hier in den „Goldenen Fisch“.
Die Geschichte ist diese:

„Dr. Kaesbohrers Puppe

Zwei schöne, ineinander greifende Geschichten über Kafkas Leben in Berlin berichtet Mark Harman in der aktuellen Nummer von ‚Sinn und Form‘. Die erste wurde überliefert von Kafkas letzter Lebensgefährtin Dora Diamant; mit ihr war Kafka unterwegs in einem Berliner Park, als sie ein Mädchen trafen, das seine Puppe verloren hatte. Kafka beruhigte das Kind, indem er ihm erzählte, es solle sich keine Sorgen machen; die Puppe habe ihm einen Brief geschrieben, darin erkläre sie alles über ihr plötzliches Verschwinden. Da das Mädchen verständlicherweise den Brief lesen wollte, versprach Kafka, am nächsten Tag wiederzukommen und das Puppenschreiben mitzubringen. Dora Diamant berichtet, Kafka habe fortan tagtäglich einen neuen Brief im Namen der Puppe verfasst. Darin berichte die Puppe ihm, dass sie geheiratet habe und deshalb fortgezogen sei.
Es gab mehrere Versuche, das Mädchen von damals per Annonce ausfindig zu machen; heute wäre es über neunzig Jahre alt. Allein, die ‚Herrin der Puppe, die wegzog zu Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande‘ hat sich nie gemeldet.
Dafür jedoch eine andere heute über 90-jährige Dame; sie berichtet, dass Kafka in Berlin im Haus ihrer Mutter zur Untermiete gewohnt, dass er sich jedoch Dr. Kaesbohrer genannt und im Keller mit chemischen Präparaten experimentiert habe.“

Natürlich, aus Spannungs- wie aus erzieherischen Gründen erzählte ich meinen Töchtern nicht, wer die Briefe an die Puppe schrieb, erzählte auch nichts von „Sinn und Form“, „Mark Harman“ oder „Kafka“, den ich nur „ein Mann“ nannte. Sondern ich fragte Sonia stattdessen, wer ihrer Meinung nach die Briefe an die Puppe wohl geschrieben haben könnte.
Ihre Antwort war so einfach wie verblüffend, und in gewisser Weise hat sie recht damit: „Du.“

Album (8), 2002/2008

*

2. August 2010 13:30










Carsten Zimmermann

das war so

während er sich aufmachte, gab es die erde. ja, er ließ die haustüre hinter sich zufallen, er ließ die haustüre hinter sich zufallen, er ließ die haustüre hinter sich, und währenddessen gab es die erde. das war so. das gab es. die ganze umgegend war vorhanden, es gab sie, er nahm es hin. es gab sie, und es gab war unbekannt. es gab ihn, und es gab war unbekannt, und er war unbekannt und und war unbekannt, und währenddessen gab es die erde. das war so. es gab die erde, und die erde war unbekannt. auch die haustüre, die er hinter sich zufallen ließ, war unbekannt. und zufallen lassen war ebenfalls unbekannt. und unbekannt war ebenfalls unbekannt. und ebenfalls war ebenfalls unbekannt. und er, der die haustüre hinter sich hatte zufallen lassen, betrat den bürgersteig, und währenddessen gab es die erde. das war so

2. August 2010 13:14










Andreas Louis Seyerlein

~

22.01 – Immer wieder der Eindruck, Menschen würden mittels raschelnder Zeitungen in U-Bahnwagons miteinander sprechen. Eine Weile ist Ruhe, aber dann blättert jemand eine Seite um, und schon knistert der Zug in einer Weise fort, dass man meinen möchte, die Papiere selbst wären am Leben und würden die Lesenden bewegen. Einmal habe ich mir Zeitungspapiere von besonderer Substanz vorgestellt, Papiere von Seide zum Beispiel, geschmeidige Wesen, so dass keinerlei Geräusch von ihnen ausgehen würde, sobald man sie berührte. Eigentümliche Stille verbreitete sich sofort, Leere, ein Sog, eine Wahrnehmung gegen jede Erfahrung. – stop

> particles

1. August 2010 20:06










Thorsten Krämer

Code connu

I.

deine inflationsbereinigten Augen

als wäre nichts natürliches an dir

deine Lippen, wenn sie stottern

der Moment, in dem dies passiert

eine Erinnerung mitten im Winter

deine Knie, eine plötzliche Wölbung

als hättest du nichts anderes gewusst

dein sonderbares, sonderbares Haar

eine Sammlung an Zerstreutheiten

diese ängstliche Zurschaustellung

im Innern einer Insel, die sinkt

die Haut eine Widersetzlichkeit

als hätte es gestern wieder geschneit

deine zyklischen Schulterblätter

die Frage, um die es dir geht

ein sorgsam gefaltetes Quartier

als wäre ein Gedanke kein Glück

deine Wange, ein glühendes Zagen

eine online ersteigerte Tarnung

im Gebüsch einer komplexen Bewegung

dein die Haare raufendes Kinn

abends auf der karierten Prärie

ein Anflug von Mutantengefasel

als wäre kein einziger Vorwurf wahr

deine spieltheoretische Zunge

in der Klammer ein Fußbad für alle

dein nach Norden geöffnetes Ohr

als sei diese Luft nicht mehr tragbar

vorhin ein entrücktes Geräusch

die Züge, die jetzt kollabieren

eine Anmaßung voller Geduld

deine teamfähigen Zehen

die gestreifte Stille, eine Verwechslung

als sei es nicht Schicksal gewesen

eine Müdigkeit, die einen Schal kauft

30. Juli 2010 01:18










Hans Thill

Haus der Silben

paraphe

Foto: Jean-Philippe Baudoin


Die Paraphe
Dieser Mann unterschreibt mit Holz, was ihm Eisen und Papier einbrachten. Seine Kraft hat nichts leserliches, sein Name ist zackig wie ein beringtes Faß. Er lebte mit einer Wildfrau unter tiefen Tellern, bis er dann im Dorf die Goldstücke an die Bauern brachte. Wo andere noch säen, wird für ihn schon gemäht. Auf den Lichtungen die Wildfrauen, Hirschen reitend. Er hat jetzt also ein Dach und ein steinernes Herz. Keine Pferde in dieser Geschichte. Vom Hafer ein paar Körner, daher der Mangel an Kraft am Ende der Zeile.

29. Juli 2010 12:43










Norbert Lange

DIE STARE HJERTOYAS*

Haben wir im Stich gelassen, die Stare Hjertøyas;
die noch singen…, der Insel ihr Lied noch
kratzen…, zitieren der Luft ihr Alphabet
nach Schnabel gemalen und setzen Wolkenfragmente
von Wolken in Wolkenrahmen.

Aus diesem Leim zusammen fügen sie die Welt;
an ihren Notenfüssen im Obertonbereich
an Bäume gehängt, zerschneiden Luft
bestreuen den Kammerboden; in Klammer gesetzt
ans Fenster, bedecken mit Zeichen das Haus.

So singen sie, vermischt zu Nokiaklingeln, die Laute
darüber die Stimme düst, in ihnen gelöst
von der Kehle, keinen Schaum rasiert, den Kopf
hör zu: Dadada jetjetjetjetjetjetjetjetjet
Oooooooooooooooooooooooooooooo Bee bee bee
bee bee ………

*

*„In der Krone einer alten Kiefer am Strande von Wyk auf Föhr
hörte ich Schwitters jeden Morgen seine Lautsonate üben.
Er zischte, sauste, zirpte, flötete, gurrte, buchstabierte“, Hans Arp

22. Juli 2010 11:48










Martin Zingg

Gewinnmitnahme

Am schönsten Schuld ist Glück,
doch weiss ich das, dieweil
ich schuldig bin, noch nicht,

später, wenn ich davon erzähle,
weil es mir fehlt, im Rückspiegel
erst wird die Schuldigkeit sichtbar,

später, wenn es mir fehlt,
weil ich davon erzähle,
ist Schuld am schönsten Glück

20. Juli 2010 11:26










Kerstin Preiwuß

links neben mir die taube denkt auch nicht nach
rückt immer näher heran mit ihrem schabel zielt sie dann
auf meinen schuh wenn ich so bleibe. ich denke doch nur nach
wie ein küken von innen gegen seine schale pickt
um geboren zu werden nur umgedreht

15. Juli 2010 15:22