Mirko Bonné

Fäden

Die Goldpollen, die überall
in Fäden auf dem Boden liegen,
Sommerabend. Das zarte rote
Licht und Schwalben. Bleib nicht
allein; fahr noch nicht heim;
geh unter den Bäumen eine Weile
mürrisch durch die schöne Luft.

Da kommt die Nacht, gelber
Schein; der letzte kalte Wein,
Sommernacht mit überraschend
Regen. Die Trauerweide lacht,
und jemand ruft dich an, der
noch vorbeikommt, reden, trinken,
liegen zwischen goldenen Fäden.

*

14. Juli 2010 16:51










Sünje Lewejohann

wildnis

wildnis/ So rupfte man mir das Fell in
Büscheln aus. Ich war ein Tier ein heiliger
Leib. Ich wanderte. Ein Wesen im Pelz mit
rissiger grober Haut. Angefüllt mit dieser
fiebrigen großen Zunge die an blütigen
Lippen leckte. Am Wasserlauf sprudelndes
Wasser schleckte einen Durst zu stillen nach
Farbwirbeln und aufgerissener Erde. Das
sich in die Erde grub an allem schob und
zerrte. Gräben Kanäle Hügel und Täler ein
Sternendach. So schuf ich eine frierende
Landschaft alles war mein eigenes es wuchs.
Ich ließ mir Hörner stehen und Berge aus
glänzendem Fett. Ich träumte mir Lärm
dazu. Das Fell seither zottig eine
ausgedehnte Wildnis. Krallen dazu spitz
und scharf. Und dann: Wie aus mir mitten
im Land ein Wal aus Lehm herauswuchs
und ich mich schämte. Man mir die Büschel
ausrupfte sie mir zeigte. Sich danach wusch
im Eis dieser Landschaft. Wie aus den
Büscheln Beine wuchsen und Köpfe sie
eine Herde wurden aus lauter zottigen
Tieren. Als ich den Wal zu mir nahm ihn
sanft und liebend nährte. Wir uns
umschlungen schlafen legten auf dem
singenden Eis.

14. Juli 2010 12:00











Norbert Lange

**

(natürlich in Daktylen)

Werde ich machen ein Gedicht aus reinem Nix wie sagt man?
Nicht über mich, auch von andren nicht. Von der einen Liebe, nein?
Vom Ältersein, oder etwas völlig Andrem?

Werde ich machen, auf Pferde wetten, weiss nicht, ein Gedicht?
Kann ich nicht einmal verstehen: wie zur Welt gekommen bin ich?

Weder machts froh, noch die Schnauze einem voll –
Bringt einen weder rein noch raus –
Kann ich nur machen dazwischen mit meiner Stimme –

So kam das gestern oben auf dem Sattel zu mir
Und ich habe nichts gemacht.

Ton ab

12. Juli 2010 21:57










Kerstin Preiwuß

Als ich Norbert Lange kennenlernte, saßen wir im Zug auf dem Weg von Leipzig nach Halle, auf dem Weg zu einer Aufnahme für ein Feature zur „Quellenkunde“ unterhielten wir uns über unsere Quellen. Viel später stellten wir bei einer erneuten Begegnung fest, dass wir Wesentliches im Zug und nicht im Aufnahmestudio besprochen hatten. Die Aussagen für das Feature waren zu Abbildern des eigentlichen Gesprächs geworden, das so nicht mehr wiederholbar war. Das ergibt eine Art Palimpsest selbst im Reden, und an dieses Phänomen der Verhüllungen und Verschüttungen und des Sprechens darüber und des Sprechens als ob und des erfahrenen Sprechens und der erfahrbaren Sprache und des Teufels Konzentration (was einem auf einmal in Gedanken ganz klar vor Augen erscheint, verschwimmt sofort wieder, wenn man sich drauf konzentriert und es in Worten festhalten will) mit den Mitteln der Sprache rühren zu müssen und auch zu wollen, ist es, was Norbert einem auf wunderbare Weise erfahrbar machen kann – als Lyriker, Essayist, Übersetzer und jetzt als Blogger im Bauch des Fischs. Darum sage ich nur noch: An die Quellen, entert die Palimpseste! Herzlich Willkommen im Fisch, lieber Norbert!

12. Juli 2010 15:15










Thorsten Krämer

Shodo-Weekend in Pa Sing

Kalauer-Kalligraphie: den feinen Strichen das Derbe
abtrotzen, die vergeigte Vergeistigung. Am Horizont die
Alpen stehen unverwandt. Der Wind ein Rascheln. Parole

Performanz, der Meister lehnt sich sachte vor. Wo Schrift
ist, soll Schreiben werden. Der Atem ein Rasseln. Und hier
das unzerknüllte Papier, ein Zucken nur der Pinselspitze.

(für Frank Hornung)

8. Juli 2010 20:04










Markus Stegmann

Klopft ans Weltall und geht barfuss weiter

Klopft ans Weltall und geht barfuss weiter, steht in Bleistift am Rand meiner Zeitung, als ein Heiler vorbeikommt und fragt, ob ich krank sei. Wir werfen ein grosses Leintuch über die Szene und setzen es in Brand. Viel mehr als ein rohes, ungeschütztes Holzlager wird dabei nicht herauskommen, aber der Moment ist günstig, um nichts zu wissen. Klopft ans Weltall, ruft ANDREAS und sucht den Knall im Labor, damit bezeichnen andere Helfer den Zustand der Forschung, entriegeln den Stall und lassen die Hühner laufen. Wenn wir Gesichter aus Roboterhaut hätten, könnten wir die Helfer besser erkennen. So aber rütteln wir sinnlos am Gebüsch, weil wir der irrigen Meinung sind, dort, gerade dort die fehlende Farbe fürs Weltall zu finden.

4. Juli 2010 23:17










Hans Thill

Haus der Silben

silben5

Foto: Jean-Philippe Baudoin


Das Gatter
und auch die hängenden Rauten einer Biergartenfahne. Semiramis, Zäune für Königinnen, Semiramis, im Donner geboren. Auch eine Statue möcht höflich appostrophiret sein. Drei Könige ritten zum Dorf hinaus, jeder ein Ringlein im Ohr. Und die schrägen Vierecke, Gitterzeichen einer Software, die Kreuzstöcke einer Nervenverbindung. Der erste findet das Brot, die Not, den Tod. Der zweite findet die Fremde. Der dritte das Töchterlein. Und auch die Formation der Soldaten, wenn sie stehen und beten. Der vierte König wurde mit Eisen gebrannt und in ein Faß gesteckt.

2. Juli 2010 18:06










Mirko Bonné

Der Lankauer See

Mein Freund und sein Bruder schwammen
unter den großen Uferbäumen zuletzt
im Alter meines Sohns. Fragt er sie,
was anders ist heute, schweigen beide
und blicken aufs grün blinkende Wasser,
die Äste, als würden sie zurückreichen
vierzig Jahre lang bis zu ihnen zwei Jungs.

Ein blonder Reiher, so steht die Tochter
meines Freundes auf einem Pfahl am Ufer,
ehe sie springt. Mein Sohn in seinem Boot
verlässt sich aufs Verstreichen der Zeit,
ihre warmen Wellen, Mücken und Pollen,
die Flüge der Enten zum Abend. Anders,
silberner, sagt einer, stiller, ist nur der See.

*

1. Juli 2010 19:08










Björn Kiehne

Und vor unserem Fenster die Nacht

Meine Zunge fährt den Lauf der Elbe nach,
lässt das Wasser über die Ufer deiner Schenkel treten.
Der scheue Reiher im Schilf, das Lied der Regenamsel,
Fische springen, die Nacht pirscht sich heran.
Aus dem Auwald treten drei Wölfe, flüstern:
Hab Acht, hab Acht, hab Acht –
der Reiher breitet seine Flügel aus,
vor dem Fenster wartet die Nacht.

27. Juni 2010 04:30










Hans Thill

Mein Nam

mein Leich mon voyage mineur. Ein Wiedergänger sprüht
in kleiner Trance an alle Trafo-Stationen: Pas Op!

Verkehrter Kaffee und verirrter Wein steigen zu Kopp
und heissen beispielsweise Chloroform. In einem

weit entfernten Land hilft gegen wortverklebten Mund
Thalassa als ein Zungenlöser aus l und s. dar zamin

dur dast. Mein Nam mein Dotter eines Gottes ärmer
als die Nacht blau im Gesicht und für ein halbes

Sommerstück bin ich in Form: ein kahler Fall ein Overall
das Stresswort allemaal dem Anton Reiser hinters

Ohr geschrieben. Mein Nam meine Entgleisung mein
überall beseeltes immerzu rasiertes Pädonym

bin ich auch kein Korkenzieher wär ich doch gerne
eine Vogeluhr

Begrüßungsgedicht für
Dirk van Bastelaere, Eric Brogniet, Karel Logist, Els Moors, Erik Spinoy, Liliane Wouters, Gerhard Falkner, Zsuzsanna Gahse, Norbert Lange, Michael Speier, Ulrike Almut Sandig.
Edenkoben 23. Juni 2010

23. Juni 2010 15:59