Hendrik Rost

Stay tuned

Das Einzige, das zählt
im Leben,
ist der Beginn des Lebens,

alles andere ist
Zeitschleife
und Abwasch,

für manche
außerdem Erfolg
oder Sprachgewandtheit.

Wann es beginnt,
ist vollkommen offen –
für die einen mit Befruchtung,

für andere
während die Wagen
sich ineinander verkeilen.

Warte nicht
auf das eine oder andere:
Du wirst abgeholt.

Im Strampler oder
in der durchgesessenen
grauen Lieblingshose,

die langsam
für diese Welt
zu eng wird.

22. April 2010 11:12










Sünje Lewejohann

nordmeer

jetzt rollt der nebel
ich bin es längst das
vergessene ding im hotel der koffer im weg
zwischen den füßen ist immer was
ein krümel ausgefallene wimpern
aufgerollte strümpfe auf den nassen fliesen
ich habe es pochen gehört dein
herz dein augenöffnen am morgen
was ich mir wünschen wollte und

nichts geschah
das hafenwasser im körper nur
nur
ich habe einen gürtel voller fischflossen
da kannst du hinschauen auf der suche
nach den augen und köpfen
ich dein hagelschauer
alles wieder eingepackt
hinunter
das dickicht neben der straße

marschieren
dich im auge
zum hafen
wie immer wenn es heikel wird
nebelhorn ich bin so gerne an bord
so gerne.

21. April 2010 16:24










Mirko Bonné

Barry Lyndon for ever

Es gab Kostüme und Kulissen,
die stärker als er selber waren,
verloren aber hatte er sich nie.
Er fühlte nichts verschwinden.

Er liebte. Schnee seit Love Story.
Am Meer bei Malibu erfand er sich.
Er war der Driver, der verstummte,
und blieb doch immer Barry Lyndon.

Was war da, fragte er sich über drei
Jahrzehnte, 17 Filme lang, wer trug
Duelle aus mit Kindern, seinem Blut,
um sich danach nicht mehr zu finden.

Er mit gepuderter Perücke in Berlin.
Zum Flackern einer Kerze abgefilmt
im Zimmer eines Rokokogemäldes,
als wäre Welt nicht schon zu viel.

Vielleicht war Zeit für Kubrick Speed.
Das sollten Klügere als er ergründen.
Er fühlte nichts. Seit 1775 gab es kein
Entrinnen, keine Tür für Ryan O’Neal.

*

Album (6), 2009

*

21. April 2010 09:48










Sylvia Geist

Bougainvilla

Zu einer Tageszeit ist sie köstlich, nämlich
wiedergefunden auf den Fluren des Hotels
Hochsommerfrühling, wenn du, im Knast aus Wald
Tapete tasmidisch an Sesshaftigkeit vortäuschenden
Blättern würgend, nicht mehr reden willst, wenn nicht
der Allüberallbeo den Vorhang seiner Flügel öffnet und sich
zeigt, was du nicht verkennst noch vermagst, die Welt im
Ornat einer Welt, die geliebt wird, sich fallen lässt irgendwo
in einer Dienstagnachmittagminute im Aufwind
des Fahrstuhls, beziehungsweise stehenbleibt in voller Blüte
mitten auf dem Entsetzenspurpur des Teppichs, wenn du
sie schon übergehen willst auf der Reise nach Jerusalem,
Samsara, Eden, abbiegst, abbrichst, wenn sie dir zufällt
als Situation oder als Drehtür zur Tag-und-Nacht
Gleiche, als davorlos, als Goldwaage, geeicht auf alles,
was du herzlichst und ausschweigst, als waghalsige
Schlüsselblume, als Name für Bougainvilla, dann

20. April 2010 17:28










Andreas Louis Seyerlein

~

0.02 – Erscheinungen auf Bildschirmen, die sich wie Traumbilder, wie bewegte Gemälde verhalten. Wollte sie berühren, jenen isländischen Mann im Moment, da er aus dem Atem des Vulkans auf eine Wiese tritt, dieses vollkommen graue Wesen, staubig, steinern, und auch das Schaf an seiner Seite, unsicheren Schrittes, ein steinernes Schaf. Aber dann, in dem sie näherkommen, die Augen des Mannes und die Augen des Schafes, wie sie zwinkern, zwei Leuchtkörper in Dunkelheit, überlebt, eine Chiffre des Widerstandes. – Man müsste jetzt ein gut trainierter Atlantikschwimmer sein.

> particles

20. April 2010 17:23










Marjana Gaponenko

Mascha

(Die Dramatische)

Unter Menschen hast du die Augen geschlossen.
Nicht diese. Andere. Jene, in denen du sanft
an Klippen zerschellst, von Brücken springst
und nicht fällst, brennst und nicht brennst.
Auf das Lachen der Anderen legtest du deines,
einen Stein.

Als hätte die Mutter niemals gesagt:

“Zwei kühle Saphire sind deine Arme,
in deiner Brust tickt ein Opal,
aus Jade sind deine Beine,
aus Eisen ist dein Leib.

Du sollst nicht weinen. Wenn du es tust,
dann rollen dir die Perlen aus dem Mund.
So legen Hühner ihre Eier, Kleine.
Du, Kücken, liebes dummes Huhn!”

13. April 2010 18:11










Hans Thill

Haus der Silben

fachwerk2

Foto: Jean-Philippe Baudoin


Der Turm
Daß die Kraft dich nicht verläßt, wenn es soweit ist. Daß du den Nagel findest für den letzten Hunger. Daß es noch ein Stückchen Land gibt, um es zu erschüttern. Du teilst die Wesen in Sie und Du, Flügel oder stumme Bodentruppen, die hinausfahren, wenn es soweit ist. Wenigstens ein Ruder sollten sie haben oder einen Mast. Wen wird man binden? Er hat Öl in den Ohren, das man in Lampen versauern ließ. Die Vögel packen den Wind in Säcke, man kennt das aus alten Quellen. Daß die Worte auf tönernen Füßen stehen, wenn es soweit ist. Daß sie dich rechtzeitig verlassen. Daß sie schnell sind wie Witze aus einem Bart. Es ist die alte Sacksprache, wir kennen sie von Fässern, erst zu öffnen, wenn es soweit ist.

13. April 2010 14:06










Andreas H. Drescher

Pferde

Ans Pferd gebunden
Der Schweif ein Knoten aus Horn
Ans Pferd gebunden
Durch meine Beine scheint der Mond
Ans Pferd gebunden
Die Stimme der Leibstandarte
Ans Pferd gebunden
Der Ochser über meinem Mund so hinterher
Ans Pferd gebunden
Das Geschenk ein Fähnleinführergeschenk

Das hatte ich mir anders vorgestellt

Cowboys im Ginster die breiten Hüte
rutschen ganz von selber ins Genick

Lassie ist noch nicht zum Zwergpudel geworden
Auf Zecken wird mit unreifen Erbsen geschossen

Pro Schuss mauert Großvater einen Stein in Palominos Stall der ist
noch nicht mit Hackfleisch-Reitern zu Black Beauty hochgefüttert

Bukephalos als Grauschimmel der für immer seinen letzten
Sprung über den Ginster steht das sind ganz einfach noch

ADAMS SCHWARZE STIEFEL
ADAMS SCHWARZES HAAR

9. April 2010 20:08










Mirko Bonné

Was wird

Gewitter mit Köpfen, Pferde
galoppieren übers Dorf.
Zügellos drischt Strom aus der Erde
den Sommerschorf.

Im Schuppen zittert der Torf.
An der Leine rennen Socken.
Waldarbeiter fragen, was werde,
Kreuzottern aus Licht in den Locken.

Die Unterhaltungen stocken –
man zählt die Entfernung, Blitz!
Ein Junge blieb am Bolzplatz hocken
und liest Briefe von Keats.

*

Album (5), 1991

*

9. April 2010 17:46










Sylvia Geist

Pferde

Ich hatte den Wunsch nicht. Ich kannte die Pferde
aus Lebkuchen und die aus Holz, und die anderen,
die den Karren mit dem Sarg zogen in dem Lied,
das meine Mutter mir vorsang. Die Mutter im Lied
schenkte ihrem Kind immerzu die falschen Pferde,
süße, harte Enttäuschungen aus Lebkuchen oder Holz.
Erst die Karrengäule am Schluss waren echt. Aber
ich hatte einen Apfelschimmel, der zum Fenster
raustänzelte wie ein Zeitungsschnipsel. In Wirklichkeit
ahnte ich, glaube ich, den Unterschied. Es gab das
Luftpferd, und es gab die echten Enttäuschungen,
die am Ende vom Lied den Karren zogen, vielleicht
kam es mir auch so vor, als könnte man darauf pfeifen.

9. April 2010 14:09