Andreas H. Drescher

AM RIFF

DARWIN:
So hart der Wind mir auch vor der Stirn steht und so tief ich mich auch in ihn hinein lehne: Er nimmt doch nichts von diesem Schwindel mit. Das ist ein anderes Meer als damals, mit vier Jahren, am Strand von Abergele. Kein Sand, um die Zehen hinein fahren zu lassen, wenn das Anlandige mit seinem Salzgeruch mich ankam. Hier liegt nichts unter mir als ständig neu geschrägte Planken. Auch nichts breit Daliegendes mehr in diesem Blau, das zugleich See und Himmel ist. Fortwährend fährt es um mich herum. Schlimmer noch: In mich hinein. Zu einem bösen Rühren, dass mir die eigenen, schlecht gezeichneten Korallen vor die Augen treibt. Schwarz kreisen sie vor mir wie der schwarze Samt-Rock meiner toten Mutter. Wenn der Sturm weiter so zunimmt, wird er bald wieder um mich sein, dieser Korallen-Rock, das Schwarz, das jetzt wieder aufsteigt…

MUTTER:
Korallen. Kein Lebewesen hat jemals etwas Größeres erschaffen. Steinkorallen voller Würmer und Weichtiere. Feuerkorallen voller Stachelhäuter und Krebse. Atolle, die von unten her auf den Meeresspiegel zu kriechen. Saumriffe entlang der Festlandsküste. Barriereriffe an der Kante des Kontinentalschelfs. Siehst du, wie sich die Erde formt und formt, mein Sohn? Das wird dir den Weg weisen.

(Aus dem Hörspiel „Darwins Schöpfungsgeschichte“, bei Bellerive)

9. Dezember 2009 13:18










Marjana Gaponenko

Piotr V

(Schlaf)

Bevor du hinter den Lidern verschwindest,
in den eigenen Augen deine Spuren verlierst,
flammt die liebste Erinnerung auf : die Nacht
unter deren Zweigen du erhobenen Hauptes nicht gehst,
weil sie dich auf ihren Schenkeln, den Straßen, rollt.

Zuvor nagst du dich daran satt,
beißt dich fest in das, was nicht zu halten ist:
des Nebels zärtlichen Handschuh,
den Rabenschlaf – der Bäume Winterfrucht.
Du schaust dich wund
am Antlitz einer Frau,
der einzigen die du nicht haben kannst –
ein Engel der nur zu lieben weiß
durch dich hindurch die Welt.

7. Dezember 2009 19:06










Andreas Louis Seyerlein

~

22.28 – Seit einigen Tagen denke ich, sobald ich lese, begeistert an Neurone, Synapsen, Axone, weil ich hörte, dass ich mittels Gedanken, die Anatomie meines Gehirns zu gestalten vermag. Vorhin, zum Beispiel, ich folgte der Ankunft eines Schiffes in New York im Jahre 1867, überlegte ich, was nun eigentlich geschieht in diesem Moment der Lektüre dort oben hinter meinen lesenden Augen, ob man verzeichnen könnte, wie für das Wort Mary, das in dem Buch immer wieder aufgerufen wird, frische Fädchen gezogen werden, indem sich das Wort nach und nach mit einer unheimlichen Geschichte verbindet. Oder der Regen, der Regen, was geschieht, wenn ich schlafend, Stunde um Stunde, Geräusche fallenden Wassers vernehme? In der vergangenen Nacht jedenfalls habe ich wieder einmal von Regenschirmtieren geträumt, sie scheinen sich fest eingeschrieben zu haben in meinen Kopf, vielleicht deshalb, weil ich sie schon einmal nachtwärts gedacht und einen kleinen Text notiert hatte, der wiederum in meinem Gehirn zu einem bleibenden Schatten geworden ist. Natürlich besuchte ich meinen Schattentext und erkannte ihn wieder. Trotzdem das Gefühl, Gedanken einer fernen Person wahrgenommen zu haben. Die Geschichte geht so: Von Regenschirmtieren geträumt. Die Luft im Traum war hell vom Wasser, und ich wunderte mich, wie ich so durch die Stadt ging, beide Hände frei, obwohl ich doch allein unter einem Schirm spazierte. Als ich an einer Ampel warten musste, betrachtete ich meinen Regenschirm genauer und ich staunte, nie zuvor hatte ich eine Erfindung dieser Art zu Gesicht bekommen. Ich konnte dunkle Haut erkennen, die zwischen bleich schimmernden Knochen aufgespannt war, Haut, ja, die Flughaut der Abendsegler. Sie war durchblutet und so dünn, dass die Rinnsale des abfließenden Regens deutlich zu sehen waren. In jener Minute, da ich meinen Schirm betrachtete, hatte ich den Eindruck, er würde sich mit einem weiteren Schirm unterhalten, der sich in nächster Nähe befand. Er vollzog leicht schaukelnde Bewegungen in einem Rhythmus, der dem Rhythmus des Nachbarschirms ähnelte. Dann wachte ich auf. Es regnete noch immer. Jetzt sitze ich seit bald einer halben Stunde mit einer Tasse Kaffee vor meinem Schreibtisch und überlege, wie mein geträumter Regenschirm sich in der Luft halten konnte. Ob er wohl über Augen verfügte und über ein Gehirn vielleicht und wo genau mochte dieses Gehirn in der Anatomie des schwebenden Schirms sich aufgehalten haben.

> particles

30. November 2009 13:48










Sylvia Geist

„Mannheimer Bestandsaufnahme“…

… nennt Florian Slotawa sein bislang wohl umfangreichstes und umfassendstes Kunstwerk. Dazu listete er sämtliche Gegenstände seines Besitzes auf und fotographierte sie. Und trennte sich dann davon, um die Dinge auf Reisen zu schicken: „Das heißt, der Kühlschrank ist zuhause Kühlschrank, kommt ins Museum, wird zum Material für Skulptur, kommt wieder zurück nach Hause und wird weiterverwendet. Die Gegenstände zirkulieren zwischen Alltagsgebrauch und der Verwendung für Kunst.“
Ein Sammler wollte eine der Skulpturen kaufen, doch da die Gegenstände der „Mannheimer Bestandsaufnahme“ eine Einheit darstellen, kaufte er schließlich den gesamten Besitz Slotawas. Von diesen Dingen, die heute nur noch verpackt ausgestellt werden dürfen und demnach schon in ihrem „Kunstzustand“ im Lager einer Aachener Galerie schlummern, besitzt Slotawa lediglich noch Fotos. „So radikal ist das nicht. Meine Großeltern haben den Krieg überstanden, damals alles verloren und es auch überstanden. Ich denke, wenn man nicht bereit wäre, etwas Radikales zu machen, dürfte man eigentlich keine Kunst machen. Oder andersherum: Die Entscheidung, Kunst zu machen, ist an sich schon einmal eine radikale, und wenn man dazu nicht bereit ist, dann sollte man besser etwas anderes machen.“

Liste 3

25. November 2009 18:55










Hendrik Rost

Zufallshaiku

Gott ist in allem
Beispiele beweisen nichts
Demut und Kampfgeist

25. November 2009 14:53










Andreas H. Drescher

DIE SCHWIERIGE WIRTIN 12

Vor dieser Nase schließt sich die Zeit,
wendet, wackelt, aber schliesst besser
mit jedem Tritt, denn formloser nie als
allerlang gekannt der Stockschnupfen
geparkter Schatten deiner Matratze:
aufgeschütteltundwiederaufgeschüttelt.
Außen-Histamin mobilster Milben aus
Pakistan oder wars BALKAN schrie ein
Zorn aus modernen Nato-Märchen oder
warns Nasen-Märchen? Hölzern schniefst
du übers Parkett, aber der Augensack
wog schwerer, weit schwerer noch als
diese verkehrten Federkerne, die du
immer im Gramm bei dir hattest, aber sag,
wo ist deine Stirn, deine grame Gramm-
Stirn denn nur hin? Hat sie sich verfe-
dert oder verfediet? Sachte, Ballast,
wieviel Abraham, Moldau, Mandelringe
kostet der Abrieb alter Pupillen?

25. November 2009 10:34










Markus Stegmann

DIE SCHWIERIGE WIRTIN 12

Vor dieser Nase schließt sich die Zeit,
wendet, wackelt, aber schliesst besser
mit jedem Tritt, denn formloser nie als
allerlang gekannt der Stockschnupfen
geparkter Schatten deiner Matratze:
aufgeschütteltundwiederaufgeschüttelt.
Außen-Histamin mobilster Milben aus
Pakistan oder wars BALKAN schrie ein
Zorn aus modernen Nato-Märchen oder
warns Nasen-Märchen? Hölzern schniefst
du übers Parkett, aber der Augensack
wog schwerer, weit schwerer noch als
diese verkehrten Federkerne, die du
immer im Gramm bei dir hattest, aber sag,
wo ist deine Stirn, deine grame Gramm-
Stirn denn nur hin? Hat sich sich verfe-
dert oder verfediet? Sachte, Ballast,
wieviel Abraham, Moldau, Mandelringe
kostet der Abrieb alter Pupillen?

23. November 2009 23:25










Andreas H. Drescher

DIE SCHWIERIGE WIRTIN 11

Vor dieser Nase schließt sich die Zeit,
wendet, wackelt, aber schliesst besser
mit jedem Tritt, denn formloser nie als
allerlang gekannt der Stockschnupfen
geparkter Schatten deiner Matratze:
aufgeschütteltundwiederaufgeschüttelt.
Außen-Histamin mobilster Milben aus
Pakistan oder wars BALKAN schrie ein
Zorn aus modernen Nato-Märchen oder
warns Nasen-Märchen? Hölzern schniefst
du übers Parkett, aber der Augensack
wog schwerer, weit schwerer noch als
diese verkehrten Federkerne, die du
immer im Gramm bei dir hattest, aber sag,
wo ist deine Stirn, deine grame Gramm-
Stirn denn nur hin? Hat sie sich verfe-
dert oder verfediet?

23. November 2009 23:12










Markus Stegmann

DIE SCHWIERIGE WIRTIN 10

Vor dieser Nase schließt sich die Zeit,
wendet, wackelt, aber schliesst besser
mit jedem Tritt, denn formloser nie als
allerlang gekannt der Stockschnupfen
geparkter Schatten deiner Matratze:
aufgeschütteltundwiederaufgeschüttelt.
Außen-Histamin mobilster Milben aus
Pakistan oder wars BALKAN schrie ein
Zorn aus modernen Nato-Märchen oder
warns Nasen-Märchen? Hölzern schniefst
du übers Parkett, aber der Augensack
wog schwerer, weit schwerer noch als
diese verkehrten Federkerne, die du
immer im Gramm bei dir hattest, aber sag,
wo ist deine Stirn, deine

23. November 2009 22:17










Nikolai Vogel

oder die Computerstimmen in den Zügen

Wer ist es, der einen da willkommen heißt?

23. November 2009 16:12