Martin Zingg

Gewinnmitnahme

Am schönsten Schuld ist Glück,
doch weiss ich das, dieweil
ich schuldig bin, noch nicht,

später, wenn ich davon erzähle,
weil es mir fehlt, im Rückspiegel
erst wird die Schuldigkeit sichtbar,

später, wenn es mir fehlt,
weil ich davon erzähle,
ist Schuld am schönsten Glück

27. Juli 2009 11:24










Björn Kiehne

Wellen

Gedanken,
Fischschwärmen gleich,
aussenden.
Silberschillernde Pfeile
durch blaue Ozeane
schießen:
Hai und Kugelfisch,
Delfin und Schlange,
Gift und Nektar,
Meerjungen,
Seetangweisen,
Muschelgeister –
Wellenlieder singen.

26. Juli 2009 14:43










Hans Thill

was man weiss – was man wissen sollte

Mundorgel: Madagaskar

In den Kesseln da faulte das Wasser
und täglich lag eine nasse Hand über
eng gepflanzten Zelten Thermidor
Fallwinde Halsknoten Köpfe unter
einem gestrafften Stück Stoff Raupen
vom Blattwerk beschirmt oben ein
Düsenjäger (ahoi) holte Fahnen
aus der Luft. Wir verteilten das Gift
in Tropfen ein feiner Nebel gegen
den Fraß am Laub unseres Brotes

25. Juli 2009 11:49










Marjana Gaponenko

Piotr I

Der Teich

Du betrittst dieses Zimmer, du verlässt es,
du wanderst hindurch, fällst in die Tiefe,
rast in die Höhe, während du sprichst
Unaussprechliches; lautlos bewegst du den Mund,
als würdest du beten um Regen.
Und schon schielt er tausendäugig auf dich
und steigt die Stiegen hinab. Fuß um Fuß, Ton um Ton,
immer höher, um auf dem eigenen Blick auszurutschen,
dem zu Boden geworfenen. “Vater, wir bitten …” sagst du.

Kind, dich sah ich in der letzten Reihe sitzen,
frisch und süß, die Kirchenbank, dein Hemd, dein Haar …
Ob es schon morgen war? Ob es noch gestern wird?

Es blätterte dein Buch in sich, strich übers Fell sich selbst
von A bis Z, von E bis X; ein Nesselfalter saß auf Seite 4.
Den Kopf an einen Baum gelehnt – du selbst.
Dein Traum sprach auf der Schulter sitzend dir ins Ohr:
“Mein Kind, steh auf, lauf in den Wald –
da wächst ein Wunderkraut – lauf ins Feld!”

Dich sah ich im Gestrüpp am Teich;
Auf warmer Erde lagst du lang und sangst:
“Steh auf, mein Kind, lauf in den Wald, ins Feld ..”
Der Regen kroch aus Löchern hervor.
Er starrte wie erstarrt zu dir hinab,
er schaute aus dir selbst zu sich empor .

Dich sah ich stehen vor dem Haus.
Ein Blitz tanzte einbeinig darin.
Dein Auge, so hell in der Nacht,
dein Mund, gebissen vom Mond,
sang “Steh auf, mein Kind“.

24. Juli 2009 10:14










Sylvia Geist

Gewendetes Gelände

© Kai Geist

22. Juli 2009 19:51










Thorsten Krämer

Interiors

Die Technik überwiegt in diesem Raum. Rechter Hand ein niedriges Fernsehregal; jedes der vier Fächer ist mit einem Gerät belegt: VHS-Rekorder, CD-Player, DVD-Rekorder, Cassettendeck. Selbst auf dem Fernseher (ein altes Röhrengerät) steht noch der Receiver, auf dem Boden davor liegen die Controller einer Playstation. Zu beiden Seiten Lautsprecher auf silbernen Metallsäulen. Linker Hand der Arbeitsplatz, mit Kunstlederdrehstuhl, Rechner, Monitor und Telefon. Dahinter an der Wand ein Buchregal, in dem nur wenige Anleitungen und Handbücher stehen. Der Elektronikpark beherrscht den Erker dieser Altbauwohnung; durch die im stumpfen Winkel zueinander stehenden Fenster fällt das helle Morgenlicht – zumindest dort, wo die Jalousien nur zur Hälfte herab gelassen sind. Inmitten der Geräte, die fast durchgehend in Schwarz gehalten sind, steht auf einem kleinen Tisch eine Topfpflanze, eine Art Azalee. Um den Topf herum einige Steine, als hätte der Bewohner (kaum vorzustellen, dass hier eine Frau wohnt) einmal in einer schwachen Stunde einen flüchtigen Blick in einen Feng-Shui-Ratgeber geworfen. An der Wand gegenüber ein altes Sofa, in pflegeleichtem Grau gehalten. Die Zeit vergeht hier sehr langsam, aber sie vergeht.

21. Juli 2009 15:17










Hartmut Abendschein

Ferme Lachat sur Moron

Saint Brais. Der Schriftsteller Fritz Michel (Quartettfritzli) holt uns mit dem Fahrrad ab. Man übernimmt uns die Hälfte des Gepäcks. Und auch des Laufbiers. Man schwitzt in untergehender Sonne. Sinnt über: Redrum. Shining. In a cold blood. (Was brennt denn da? Eine Strassenlampe?. Ja, eine Strassenlampe. Was sollte es denn sonst sein. Als eine Strassenlampe. Richtig! Eine Strassenlampe usw.)

Und: Wir haben wieder bis zur Schrift geraucht, wie man hämisch bemerkt.

Aber: wir entwickeln das Nicht-Paradigma Alltag / Urlaub, setzen strukturell ausser Kraft, beispielsweise: eine Wanderkarte heute zu lesen findet analoge Entsprechung in Arbeit, reproduziert Mechanismen des Alltags, macht in der Anderzeit heimisch, stattdessen: Pilze fressen. Liegestühle aufstellen. Beach boys hören. Undsoweiter.

Im Jura darf man das:
Pferdeschnitzel
Pusteblumen
Sauerampfer
Brennnesseln

Konkret:
Baumstümpfe
gesägtes Holz
halber Mensch

(Wir stocken das Hausfliegendepot auf und teilen die Zeit ein. Der Vormittag dir. Der Mittag mir. Der Rest dem Rest. Und die Nacht.)

Nebenbei: die Arbeit am Modus nun entstehender Schrift findet vor Zäunen statt. Dort sitzt ein Kind tagelang und staunt über Kühe. Die staunen zurück usw.

Und: Michael Endes zeitgemässe Kindermedientheorie. Frau Waas zu Jim: „Mach doch mal das dumme Radio aus“. Jim zu Frau Waas: „Ein Radio kann doch gar nicht dumm sein! Höchstens das, was gesendet wird.“ Jaja, der „häsliche Rundfunk“. Der „herrliche Rundfunk“. Die besten Zeiten …

Und: There ist no hardware.

(Wir sprechen weiter über die Kinder- und Puppenfilme der 70er Jahre. Wir entdecken dort noch die Möglichkeit, in den Bildern verharren zu können. Die nur allmähliche Verplottung von Bild. Der Tanz um und die Tendenz zur Skulpturalität von Erzählung. Die Schöpfung von momentartigen, aber haltbaren Gebilden. Heute müssen wir sehen: schnelle Handlung ohne Kette. Spielkonsoliges. Luftigkeiten. Ephemera.)

Und noch einmal: Diachronie vs. Synchronie. Rezeptionsverschiebungsthesen. Man beobachtet vermehrt diachronen Konsum zuungunsten von tiefenstrukturellem Schnickschnack. Wir nennen das neutralerweise mal so. Neutral also auch: einfach alle Combattanten zu beleidigen. Fritz Michel entwickelt zum Frühstück abweichende Eigenthesen.

Noch dieses: wer auf sprachreflexiver Ebene arbeitet … weiss automatisch um die Unzulänglichkeit von Realität. (Die Pilze, denken Sie nun vielleicht? Weit gefehlt!) Man macht sich ständig bewusst: die meisten konventionellen Erzählformen sind ganz unsinnige und überflüssige Gebilde, da sie nur Realität zu reproduzieren versuchen: als Begleitwerk zur Realität. Als auktoriale Realität, die Wasweissich verbürgen soll. Der Autor aber ist nicht einmal tot. Er ist reine Sprache.

[notula nova supplement Va]

20. Juli 2009 08:38










Andreas Louis Seyerlein

~

0.02 – Wie würde Hannah Arendt über das Wagnis der Öffentlichkeit formulieren in unserer Zeit, in einer Zeit, da Menschen ohne jede Scheu und in gut begründeter Voraussicht, zutiefst verletzt zu werden, mit Worten, Bildern, Filmen öffentlich in intimste Winkel ihrer Seelen leuchten? Einmal, als Computer noch mittels Transistorröhren rechneten, bemerkt sie mit ihrer tiefen, rauen Stimme, das Wagnis der Öffentlichkeit sei für eine Person nur möglich im Vertrauen auf die Menschlichkeit der Menschen selbst. /

montauk

> particles

18. Juli 2009 20:58










Hartmut Abendschein

Martin Walser im Bodensee (Untersee)

(Jugendbild, Scan)

16. Juli 2009 22:45










Hans Thill

Kulinarisches Aquarium gesehen mit den Augen von Marion Poschmann
und mit der Hand von Anja Stehling

und mit der Hand von Anja Stehling

16. Juli 2009 11:30