Kerstin Preiwuß

Statt Tauben

Heute sitzt die erste Taube sehr früh auf dem Schlag und fliegt nicht hinein, obwohl Herr Matuschek weiß, wenn sie hineinflöge, hätte er den Wettflug für sich entschieden. Er beobachtet sie, nimmt sie mit der Flasche aufs Korn und ist schon ganz betrunken. Hält sich dann die Flasche vom Hals und macht es ihr auf dem Erdboden vor, wie man hineinzufliegen hat. Dabei kriecht er und schuppt sich den Bauch auf, na und? Rucke-di-du macht die Taube währenddessen über ihm.
Na warte Liebchen, sagt er noch hitzig dem Erdboden zugewandt und rappelt sich wieder auf, damit du es weißt: Ich reiß dir die Federn aus und stopf dich ins Flugloch zurück. Sagt’s und versucht im gediegenen Seemannsschritt seinem Täubchen näherzukommen, was hier bedeuten soll, die Leiter zum Schlag beim dritten Versuch schon zu ergreifen und sich dann an ihr emporzuklimmen, bis er mit beiden Beinen auf der vorletzten Sprosse zum Halten kommt.
Derweil sein Täubchen gurrt und trippelt ganz aufgeregt auf dem Dachgiebel hin und her, es ist doch ein wenig sonderbar, was heute geschieht, schließlich steckt hier nicht jeder in einem Federhemd und hält sich durch mit Luft gefüllten Röhren auf den Beinen.
Währenddessen kümmert Herr Matuschek sich nicht um die Verkehrung solcher Tatsachen, schließlich hat das hier immer noch ein Wettflug zu sein, den er gewinnen will, was nützt ihm da die Taube auf dem Dach. Hinein soll sie, das muss sie doch verstehen, er macht es ihr mit großer Geste vor, dass sie sich eingeladen fühlen kann, hinein heißt in den Taubenschlag und durch das Einflugloch, heißt –
Dass das Täubchen mit dem Köpfchen ruckt und immer aufgeregter in Bewegung gerät, nur leider in die falsche Richtung, denn anstatt Matuscheks Einladung Folge zu leisten und sich an seinen Handbewegungen entlang geradewegs ins Innere des Daches geleiten zu lassen, nimmt es eher noch Abstand und zieht sich leichtfüßig auf die Mitte des Giebels zurück.
Matuschek ist darüber ganz empört, schließlich ist es immer noch seine Taube, die auf seinem Hausgiebel sitzt, und er hat ja auch noch mehr davon, fast könnte er sich mit ihnen eine Hochzeit ausrichten, bei der dann so viele weiße Tauben aufflögen wie er und seine Braut an Jahren zählten, an gemeinsamen wohlgemerkt. Jetzt aber geht es um die erste heute hier, die schon da ist, aber nicht hinein will, davon wird ihm ganz heiß im Kopf. Die Guten ins Köpfchen, die Schlechten in Töpfchen, sagt er sich auf einmal grinsend laut vor, bevor es ganz nach oben geht aufs Dach und der Taube hinterher.
Flugs erinnert sich diese daran, dass sie nicht nur Trippelfüßchen besitzt, und hebt ins Bodenlose ab, wo mittlerweile auch schon einige ihrer Mitstreiter darauf warten, in den Schlag hineinzukommen, den Weg hinein aber versperrt nun gerade der Matuschek, na und?
Die zweite Taube wäre immer noch die erste gewesen, aber es ist auch noch früh und obendrein darf auch nicht vergessen werden, in welchem Zustand Herr Matuschek schon auf dem Erdboden versucht hat, seinem Täubchen zu zeigen, wie man ordentlich ins Loch zu fliegen hat.

19. Juni 2009 15:25