Hendrik Rost

Tabu

Das Eis ist dünn, ich gehe weiter auf den See hinaus,
betrete das klare Wasser, unter mir Algen und Fische,
die sich nicht rühren. Ich gehe bis zu der Stelle,
wo das Mädchen aus meiner Klasse eingebrochen war,
wir haben sie später besucht, die Haut wächsern,
kalt sah sie aus, die Hände gefaltet, getrocknet.
Das Eis ist sehr dünn und es knirscht an der Stelle,
die am weitesten vom Ufer entfernt ist. Ich betrete
die Stelle und bin ihr ausgeliefert. Unten Fische.
Ich stehe auf so dünnem Eis, wie Traum im Schlaf
eine Hülle bildet, auf der sich Dinge abspielen.
Manchmal bricht etwas ein, und ich wache auf.
Ich weiß, die Toten sind nicht schlechter als andere,
sie wissen, wie es sich anfühlt, erinnert zu werden,
sie kennen die Kälte von innen und gehen im Winter
unter die Haut. Ich gehe auf dieser Schicht spazieren
und breche ein Verbot. Das ist mein Versprechen.
Wenn ich aufwache, werde ich klüger sein und wach.
Ich bringe Kälte ans Ufer mit. Ich erinnere mich.

5. Juni 2009 16:29