Sylvia Geist

Was ist Wirkung?

fragte Herta Müller im Verlauf eines Gesprächs, das gestern im Rahmen der Sendung Kulturzeit zu sehen und zu hören war.
Solche Gespräche gehören sonst eigentlich nicht unbedingt zu meinen Lieblingsbeiträgen. Aber es war gar kein „solches Gespräch“. Der grandiose Ernst Granditz stellte die Fragen, das war mal das eine. Granditz steht für einen Respekt vor dem Gegenüber, der sich in unbeirrbarer Höflichkeit ausdrückt, oder auch: in formvollendeter Freundlichkeit, unabhängig von der inhaltlichen Schärfe manch einer Frage und selbstverständlich ohne Ansehen der Person. Dabei hat die Eleganz seiner Gesprächsführung mit glatter Schlagfertigkeit nicht das geringste zu tun. Und natürlich sind auch ihm schon Versprecher unterlaufen, doch ins Stottern kommt er nicht. Ich jedenfalls habe ihn noch nie irritiert gesehen.
Gestern nun traf dieser König der Kulturmoderatoren auf Herta Müller, und auch dieses Gespräch führte er, wie man es erwarten durfte, klug und zurückhaltend wie stets. In den ersten fünfzehn Minuten erfuhr man Interessantes, doch so gut wie nichts Neues. Dann der seltene Moment. Granditz verblüfft. Mehr als das, einer Frage nachlauschend – vor laufender Kamera. Wie genau seine Frage gelautet hat, weiß ich nicht mehr, sie ist hinter Müllers Gegenfrage verschwunden: Was ist Wirkung? Was meinen Sie damit?
Dass Granditz nach etwa zwei Sekunden zu einer Präzisierung seiner Formulierung ansetzte, konnte den wunderbaren Eindruck nicht mehr ernstlich stören. Hier hatte ein winziges Zahnrad gestreikt, war ein ganz zerbrechlicher Hebel auf „stop“ gedreht worden. Was ist Wirkung? Nun, was Autoren erreichen wollen, was Sie beim Schreiben… Ja, was will man damit? Und: was bilde ich mir eigentlich ein? Das habe sie sich schon oft gefragt. An dieser Stelle beginnt die Maschine wieder zu laufen. Aber man spürt es noch. Granditz hat eine echte Frage gestellt, eine, auf die er die Antwort nicht schon vorher kannte, und sie erweitert zurückbekommen. Sein Lächeln, während er – ganz kurz nur – nach Ergänzungen sucht, nach dem Fortgang des Interviews, hätte viele schöne Adjektive verdient. Überrascht, verunsichert, mitgenommen in diese kleine, aber andere Wendung, und erfreut darüber. Das ist eine Wirkung.

16. Oktober 2009 12:48