Sylvia Geist

Zeitgeist

Die Gegenwart hält drei Sekunden, etwa so lang
wie im Rückblick der ganze Tag war für die Frau,
die auf ihrem Fensterbrett wohnt – nur gerade jetzt die
Monotonie ist ewig. Nebenbei, es gibt neuerdings

Berichte aus diesem Drüben, ein mäßiger Chirurg
kann dich hinbringen, und wieder zurück. Betäubt
mit einem Nadelstich einen Punkt in deinem Hirn,
und was durch den Sinn ging, steht wie ein Ball ohne

Schwerkraft, gegen den Ego, dein pawlowscher Hund,
vergebens anspringt. Oder er ist es, der steht, Kiefer
verrostet, in seinem Erlebnishungerkäfig. Das Bewusstsein
da ist ein leerer Stuhl, der an der Schädeldecke hängt,

allem über. Unsinkbarer Staub, Tissue, Schnee,
genug um dir ein Bild zu machen, aber du kannst nicht
darauf kommen. Ja, wo du nicht bemerkst, dass die letzte
Sekunde verstreicht, bleibst du immer drinnen, vielleicht

hast du was mitgenommen, eine Stimme, ein Geräusch,
als zwitscherten Sterne. Alles, um dich zu erinnern,
doch es beginnt nicht, keine Musik ohne Zeit – “viel, um
spät anzufangen und dann zu platzen!” -, Tinnitus ein- ein-

einer Silbe, jede Hoffnung will fahren, bloß wann. Wann
wirst du so schnell, die Trägheit deines Gedankenblitzes
mitzukriegen. Vergiss die Hölle aus Aspik, den jüngsten Abfall
der Schmerzforschung. Wie ein Dopaminjunky flattert

die Jahreszeit vorbei an einem Sonntag im Rigor? Das
bist du, in stroboskopischer Bewegung. Weg vom Fenster,
und nimm die Treppen langsam. Die Seele blitzt aus grauem
Fleisch, das ist krumm wie die Erde und nicht zu leicht.

7. August 2014 09:40