Christian Lorenz Müller

ODE AN EINEN URAL
(Pavel Ivanowytsch, Hochspannungselektriker,
gibt einer Journalistin ein Interview)

Ich mache das schon seit 31 Jahren,
nie hat sich jemand dafür interessiert,
und jetzt kommen Sie
und wollen einen Helden der Arbeit sehen,
tschjort, der wahre Held, das ist mein URAL,
der das Licht der Fabrikhalle erblickte
als Breschnew Chruschtschow stürzte,
beide wurden in der Ukraine groß, wussten Sie das?,
und mein Lastwagen ist kein Russe,
sondern ein echter Sowjet, aus Miass im Ural,
er kann nichts für das Z, das die Hebebühne
in die Landschaft schreibt, wenn wir
unter einer Leitung stehenbleiben, der URAL
brüllt dir bei 50 Sachen die Ohren taub,
aber er braucht keine Straße,
er kommt überall hin, so wie neulich,
als einer von diesen idiotischen Rasenmähern
iranischer Bauart einen Masten rasierte,
ich steuerte eisbrecherhaft über den Acker,
brach durch die gefrorenen Wellen schwarzer Erde,
vorbei am versackenden Wrack eines Panzers,
20.000 Dollar kostet so eine Drohne,
und dann macht sie nicht mehr kaputt
als ein paar Isolatoren, ein paar Streben,
nu, der Mast war ziemlich krumm,
aber was soll’s, er stand,
und wir malten unser Z in den Himmel
und hängten die beiden Kabel,
die am Boden lagen, wieder auf,
Bindebögen nach Charkiv, und als der Strom
endlich summte, setzten wir uns in den URAL,
er kann ja nichts dafür, dass sie ihm anderswo
Raketenwerfer auf den Rücken schrauben,
mein Sohn hat mir Fotos davon geschickt,
er wurde an dem Tag geboren,
an dem Jelzin in Moskau auf den Panzer stieg,
jetzt ist er in Bachmut, Artillerie, Kaliber
alles klar
, schreibt er, Zugmaschine ausgefallen,
wir schleppen das Geschütz mit einem Traktor
,
31 Jahre, hören Sie, seit 31 Jahren
mühen wir uns nur für meinen Sohn,
mein URAL und ich.

19. Januar 2023 10:52