Andreas Louis Seyerlein

0.28 — In der 22. Straße West exis­tiert ein klei­ner Laden für Lam­pi­ons und weitere papie­rene Licht­be­häl­ter. Wenn man den Laden betritt, meint man sofort, sich selbst in einem Lam­pion zu befin­den, weil Wände, wie sie in Häu­sern üblich sind, dort nicht zu exis­tie­ren schei­nen, nur Licht und eben Papiere in allen erdenk­li­chen For­men. Ein Ort von Stille, die Luft duf­tet feinst nach der Wärme tau­sen­der Lam­pen, die im Inne­ren der Lam­pi­ons sta­tio­nie­ren. Men­schen sind zunächst nicht zu sehen, weil sich jene Men­schen, die zum Laden gehö­ren, weder bewe­gen noch sich über Spra­che äußern, viel­leicht des­halb, weil sie in den Laden ein­tre­tende Men­schen nicht stö­ren wol­len im Bestau­nen leuch­ten­der Kro­ko­dile, Schwert­fi­sche, Zep­pe­line. Es ist nun tat­säch­lich mög­lich, diese ver­bor­ge­nen Per­so­nen in Bewe­gung zu ver­set­zen, in dem man sie bemerkt, sagen wir, mit einem Blick berührt. Genau in die­sem Moment einer Berüh­rung tre­ten sie aus dem Licht her­aus in den Raum, eine zier­li­che Frau und ein zier­li­cher Mann, sie wer­den ver­mut­lich schon sehr lange Zeit ver­hei­ra­tet sein, so wie sie sich beneh­men, glück­li­che, freund­li­che Men­schen. Alle ihre Waren im Übri­gen beschrif­ten sie noch von Hand, zwei Monde von blauer Farbe zu je 1 Dol­lar 48 Cent. Im Schau­fens­ter fin­det sich auf einem Schild folgender Hinweis: Täg­lich von Mon­tag bis Sonn­tag 25 Stun­den geöff­net. — stop

10.08 — Ein Hotel für Steh­schlä­fer betritt man meis­t spät in der Nacht, alle wei­te­ren Hotels, wel­che geeig­net wären, im Lie­gen zu schla­fen, sind aus­ge­bucht. Auch mit klei­ne­ren Spen­den, die man gerne offe­riert, weil man müde ist, weil man kei­nen wei­te­ren Schritt zu tun in der Lage zu sein glaubt, war an den Rezep­tio­nen nichts zu machen. Jetzt ist man also hier, wo man sehr preis­wert in Schlaf­spin­den oder ganz ein­fach an Wän­den leh­nend schla­fen kann. Das Beson­dere an einem Hotel für Steh­schlä­fer ist, dass sich das Per­so­nal um schla­fende Gäste auch dann noch bemüht, wenn das Licht längst aus­ge­schal­tet ist. Gurte, wel­che zur Sta­bi­li­tät um Ober,- und Unter­schen­kel gewi­ckelt sind, wer­den straff gehal­ten, fal­lende Per­so­nen wie­der auf­ge­rich­tet. Auch für einen tie­fen Schlaf wird gesorgt, wie das gemacht wird, davon sollte ich nicht erzäh­len, nicht das lei­seste Wort, nie­mand will das wirk­lich wis­sen, selbst die Schla­fen­den nicht. Man schläft behü­tet, man schläft solange man will, eine Stunde oder eine Nacht oder meh­rere Tage. Sobald man nun erwacht, nimmt man sei­nen Kof­fer vom Boden auf und geht ganz ein­fach davon. Es ist schon ein merk­wür­di­ger Anblick, hun­derte Men­schen, die ent­lang der Wände eines Saa­les neben ihren Kof­fern lungern. Man­che spre­chen, andere sin­gen leise im Schlaf. Vögel flie­gen umher oder sit­zen auf den Schla­fen­den selbst, die sich nicht rüh­ren, obwohl sie noch leben. Irgendwo muss ein Fens­ter offen ste­hen. Ein leich­ter Wind geht. Ich höre das Horn eines Schif­fes, aber ich bin mir nicht sicher, ob das Schiff wirk­lich exis­tiert. Für einen Moment wird es hell wie am Tag, als ob die Sonne mir direkt ins Auge leuch­tet. Eine Hand fährt über meine Stirn, ich höre ein Flüs­tern, ich meine gehört zu haben, wie jemand sagte: Er ist schon vier Wochen hier, wir müs­sen ihn wecken oder baden. Ja, irgendwo muss ein Fens­ter offen ste­hen. Ein leich­ter Wind. — stop

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6. Juni 2013 17:53