Gerald Koll
Im Wendland
Rehe kreuzen dort die Wege.
Kirschen über Kirschen.
Über Gras geht man und unter Eichen.
Und dennoch …
Wüten kann das Wendland auch.
“Lieber wütend als traurig!”
Rehe kreuzen dort die Wege.
Kirschen über Kirschen.
Über Gras geht man und unter Eichen.
Und dennoch …
Wüten kann das Wendland auch.
“Lieber wütend als traurig!”
… geben um eine halbe Stunde nach zehn Uhr Spielmannszüge des schleswig-holsteinischen Landes auf der „Frahmkoppel“ genannten Anlage des Gettorfer Kleingartenvereins ein Platzkonzert zu Ehren des hundertjährigen Bestehens des Gettorfer Turnvereins. Sternmarsch! Er mündet auf dem Schulhof der im Park befindlichen Grundschule und eskaliert in einem Großkonzert.
27. Mai 2019 08:19
Ich habe gerade Hugo und Josefine gelesen, ein altes Kinderbuch, von dem ich zwar seit Kindertagen nur den Titel (allerdings den falschen, nämlich Joseph und Josefine) und das Titelbild (allerdings das falsche: in der Erinnerung war das Buch größer und hatte einen schwarzen Hintergrund) im Kopf behalten hatte, beides aber sehr gut (allerdings eben falsch). Wie ich nun beim Lesen merkte, hatte ich vom Inhalt fast nichts behalten. Als meine ältere Schwester damals darin las, ging ich noch nicht zur Schule und war nicht besonders aufmerksam beim Zuhören (allerdings auch nicht beim Zuschauen). Nur einiges sehr Ungefähre blieb. Der Zipfel eines schwarzen Umhangs.
13. April 2019 10:00
Und eben an der Kasse.
Da stelle ich mich hin,
und mir wird beinah schlecht.
Weil ich in einer Pfütze stehe
bis zu den Nasennebenhöhlen.
In einer Pfütze Körpernebel,
die der dicke Kunde vor mir
stehen ließ.
Er hat ja nicht einmal gefurzt,
er stand nur da und zahlte seinen Kram,
dreiunddreißig Schälchen Katzenfutter,
vier Pakete Zigaretten,
aber er stand da,
in seinen verstunkenen Hosen
und seinem verstunkenen Hemd,
und wollte nicht glauben, dass die Brötchen
nicht mehr 14 Cent kosten, sondern 15,
während der Gestank sich ausgoss wie ein Geist
und stehen blieb, als die Hülle heimging.
Dort war mein Platz, der Platz des Nächsten.
Nächstenliebe, was ist das?
28. März 2019 12:47
Irgendwie bedrückend, dass es zuende ist. Gestern beendete ich die zweite Blu-Ray-Edition von „The Avengers“ (eigentlich fand ich den deutschen Verleihtitel „Mit Schirm, Charme und Melone“ immer … charmant, aber das Original überzeugt denn doch, vor allem wegen der Originalstimmen, die eminent diskreter und intelligenter wirken als die vorlauten deutschen Synchronstimmen, die außerdem so hallig waren). Gestern also verabschiedete ich mich, wie man so sagt, „schweren Herzens“ von der allabendlichen Dosis. Zwei Boxen lang ging ich täglich glücklich zu Bett, geleitet von der schwarzweißen Politur der ersten Edition, die in den schönsten Episoden ein feiner Duft aus hundertjährigem Moos und frischer Ledercreme umwehte, bis zum tollkühnen Kolorit der zweiten, die allen britischen Spleens ein Denkmal setzte. Was jetzt?
Fortan würde ich einfach wieder irgendwie in den Schlaf stolpern, ungeküsst von jener stilsicheren Verspieltheit, die sich vom Bösen nie den Humor verderben ließ und jeden schändlichen Anschlag mit dem Klang von Sektgläsern beantwortete.
Gewiss, es war unfein vom Hersteller „Studio Canal“, der teuren deutschen Edition keine deutschen Untertitel zuzubilligen und die eingesparten Kosten auf überflüssige „Einführungen“ von Oliver Kalkofe & Co. zu verschwenden.
Und es war schon beinah frech, ausgerechnet die Farewell-Episode für Emma Peel („The Forget-Me-Knot“) nicht in die Edition 2 aufzunehmen (mit der nur für Buchhalter-Gemüter verständlichen Begründung, diese Episode gehöre bereits zur nächsten Staffel, also Edition 3 mit John Steed & Tara King, Peels nicht-ebenbürtiger Nachfolgerin; sie, die Edition, ist derzeit für 25,- EUR zu haben). Denn nie war es zwischen Steed und Peel so zartfühlend und gänzlich jeder Ironie entkleidet zugegangen wie am Ende von „The Forget-Me-Knot“, genauer: in jenem Moment, als die scheidende Mrs. Emma Peel mit versagender Stimme Steed zuflüsterte: „Always keep your bowler on in times of stress“ – und sich dieses ewig flirtende, nie der trivialen Versuchung erlegene Liebespaar einen letzten hauchflüchtigen Kuss auf die Mundwinkel tupfte.
„Studio Canal“ beweist an dieser Stelle Mitgefühl, für das man danken muss. Das romantischste Lebewohl der (mindestens Fernsehserien-)Geschichte befindet sich in der Edition 2 in einem der Extras.
13. März 2019 11:43
Der Verkündigungsengel aus dem Polyptychon Averoldi (1522, Santi Nazaro e Celso, Brescia) von Tiziano Vecellio belegt einmal mehr den eminenten und frühen Einfluss der westlichen Kultur auf das japanische Aikido (siehe dazu die hier erschienene gleichnamige Reihe aus dem Jahr 2013). Die Ausführung des tenchi-nage (Himmel-Erde-Wurf) ist hinsichtlich der Körperhaltung, der Gewichtsverlagerung, des Blicks und der schweigsamen und doch unübersehbaren Botschaft an den Partner vorbildlich.
8. März 2019 13:58
„Du bist tot!“ sagte ich. Das war falsch. Man kann nicht sagen, jemand sei tot. Denn der Tod befindet sich nicht innerhalb des Grenzbezirks des Seins. Tod ist keine Form des Seins. Er ist kein Seins-Zustand. Tod ist das Nicht-Sein. Dort endet Identität, so weit wir wissen. Nur ein Gimpel, der die Identität über die Grenze des Seins hinaus verlängert ins Nicht-Sein, könnte an der Behauptung „Du bist tot“ festhalten. Aber gerade ich, der „Du bist tot“ sagte, hatte wenig Interesse am kontinuierlichen Bestand des Identitätszustandes, allein in Hinblick auf Wiedergängertum, Rache und sonstige Heimsuchungen. Richtiger wäre es gewesen, zu sagen: “Das ist tot.” Hier geht’s nicht um Moral.
27. November 2018 14:06