Martin Zingg

Gelbe Nachmittage

Seine Zeit ist knapp, sie ist es immer, aber unterwegs nach Hause oder zurück
Zur Arbeit bei Hartford Accident and Indemnity Co. fällt ihm doch einiges ein,
Le monde de mon oncle, es reicht eine gestohlene Minute,
Oder nach dem Abendessen, wenn er die Zeitung liest, the never-resting mind.

Sentimentalität, notiert er, ist ein Versagen des Gefühls. Ist er in Dreizehn Arten
eine Amsel zu betrachten
nicht sehr genau? Und sehr witzig?
Man möchte ihm alles glauben, was er noch sagen wird,
Ohne den Rest zu kennen, a child asleep in ist own life.

Gelbe Nachmittage besingt er, besingt würde er streichen, im Rücken
Die Akten eines Falles, der noch immer ein Fall ist,
Er wird heute länger im Büro bleiben,
Und weiss von keinem Wort so recht, wie es in seine Verse kommt
then there is nothing to think of. It comes of itself

7. September 2016 17:31










Martin Zingg

Mein Zerfall geht rasch vor sich. Sobald wieder Sonntag ist, beginnt auch wieder mein Zerfall, ich setze mich auf, ich setze mich auf die Bettkante, ich möchte mich aber lieber gleich wieder hinlegen, das darf ich jedoch nicht, sonntags darf ich nichts, der Zerfall geht voran. Ich nenne gleich Beispiele. Der Zerfall, wenn mir überhaupt noch erlaubt ist, aufzuzählen, was ich nicht darf, hält mich von allem ab. Meine sieben Töchter bilden eine Interessengemeinschaft mit dem durch ständige Wiederholung offenbar inzwischen hinlänglich beglaubigten Ziel, die Ansprüche an meine Person in jene Höhe zu schrauben, die eine Erfüllung verunmöglichen, scharfe Kritik an meiner Person jedoch jederzeit angezeigt sein lassen. Am Montag ist dann alles wieder vergessen, aber Montag ist selten. Seltener als Sonntag. Das Elend einer Kleinfamilie mit sieben Töchtern. Ich komme gleich darauf zurück. Später. Später, wenn ich alles darf, werde ich auspacken. Der Beifall, den meine sieben Töchter meinem Untergang spenden, übertönt alles. Ich entkomme nie. Auch nicht mit einem Kopfsprung, Ich werde, wenn die Töchter einen Moment lang in ihrer Aufmerksamkeit nachlassen, werde ich eine Qualifikationsoffensive beginnen. Sehen die Töchter hin? Aus meiner dann gewonnenen Überlegenheit werde ich alle Sonntage retten, keine Spaziergänge, keine Hitparaden, keine Telefonate mit Mama oder Grossmama, saukomisch, wie alles anders wird, ich spaziere allein, liege im Bett, meine sieben Töchter üben einen Choral, der sich anhört, als hätte ich vierzehn Töchter, die Sonntage sind dann noch viel unerträglicher als die Vorstellung erlaubt, und mein Zerfall ist ein restloser, keine Beschreibung kann davon angemessen Zeugnis geben, ich sammle alle Anzeichen eines möglichen Aufschubs, vergebens, ich habe mich zur liebevollen Selbstbeobachtung erzogen und muss nun mit ansehen, was ich mit „Zerfall meiner Person“ nur unzureichend bezeichnen kann und auf keine Fall hinnehmen will, wogegen ich mich also mit aller mir verbliebenen Energie zur Wehr setze. Ich werde darauf zurück kommen, wie gesagt, später, soweit meine Kräfte es erlauben und mein Zerfall eine sprachliche Bewältigung überhaupt noch zulässt, später, falls je wieder mal Montag wird.

10. August 2010 18:00










Martin Zingg

Gewinnmitnahme

Am schönsten Schuld ist Glück,
doch weiss ich das, dieweil
ich schuldig bin, noch nicht,

später, wenn ich davon erzähle,
weil es mir fehlt, im Rückspiegel
erst wird die Schuldigkeit sichtbar,

später, wenn es mir fehlt,
weil ich davon erzähle,
ist Schuld am schönsten Glück

20. Juli 2010 11:26










Martin Zingg

Vierzehnter November

Sass da, die Beine übereinander-
geschlagen, und nicht bereit zu sterben.

Jetzt ist alles wieder gut,
sagte mein Ohrenarzt, die Ablagerungen
der Zeit, in den Gängen, auf dem Trommelfell.

Was dachte er, was ich hören will oder muss,
ob alles gut wird wieder, leichtfertig war mein
Augenblick ja nie, was weiss ich,
ob es jetzt, ich meine, ob es nur noch an den Ohren liegt,
was weiss ich, was ich lieber hören muss.

18. November 2009 23:47










Martin Zingg

Gewinnmitnahme

Am schönsten Schuld ist Glück,
doch weiss ich das, dieweil
ich schuldig bin, noch nicht,

später, wenn ich davon erzähle,
weil es mir fehlt, im Rückspiegel
erst wird die Schuldigkeit sichtbar,

später, wenn es mir fehlt,
weil ich davon erzähle,
ist Schuld am schönsten Glück

27. Juli 2009 11:24










Martin Zingg

Arrest

Immer erst mal ins innere Archiv,
das ungeräumte, räumen wäre kein Ende:
 
die Tassen, ja, blaue Landschaften
wie diese, und war so ein Teppich nicht das,
 
worauf man trat beim Besuch jeweils,
oder dieser Stich, der Dom von Utrecht:
 
ein Stich in den Himmel über allem,
Stativ einer Zeit ohne Aussicht
 
Darauf nicht vorbereitet, nicht wahr,
was zufällt, zerfällt, Archivbestand Ich:
 
Aushub mit Weckreiz, ein Aufhorchen, -blicken,
ist hier denn was zu holen, was denn

4. Juni 2009 21:42