Andreas H. Drescher

DIE STIMMEN DER BIENENSCHONERIN

Die Stimmen der Bienenschonerin im Rauch
des Rasenmähers angehört die Großmutter
stimme der Sechsjährigen mittendrin die sich
verliert in den Präliminarien ihrer ersten Fahr
radtour sie muss nur noch den Namen dieser
winzig blauen Blüten vergessen das sollte doch
nicht zu schwer sein „Na, setz dich mal drauf,
dann wird es schon gehen!“ ruft eine Männer
stimme Der Rest nicht mehr zu hören im Auf
orgeln der Mäander Dann endlich der Bagger

25. Oktober 2022 08:01










Andreas H. Drescher

STRANDHÜTTEN

(Der Film „BEACH HUTS“ ist beim diesjährigen ZEBRA-Festival
vom 3.-6. November in Berlin / Kulturbrauerei zu sehen.
Fotografien: Werner Richner, Film: Julian Bohlinger und ich,
Übersetzung Jessica Traynor und Sven Kretschmar.)

I
Die Hütte vom Cumulonimbus gerädert und schwarzgeweißt;
geschlagen vom Schlagschatten, der oben silbern, unten blau
die Windrichtungen einnordet. Die Liegestühle unter diesem
Himmel vom Unsichtbaren eingestellt, von dem kein Fußabdruck
die Rillen des Vordergrunds stempelt. Das Meer nur noch ein
Gischtfaden. Der Unsichtbare betritt die Hütte durch die Wand.

II
Ist das noch ein Morgen nach dieser Nacht? Ein Morgen an dem
die Dauer das Meer zu Milch stößt und das Meer den Himmel?
Nach diesem Regen aus Vacui, der als Rost und Moder über
die Hütte gleitet. Beide Sorten Dächer waren dem ausgeliefert,
alle Sorten Kreuze. Das Geräderte hat inzwischen mit acht
Beinen den Boden übergraben und die Terrasse ausgebootet.

III
Die Zeit zu diesem starren Vogel geworden, der als schattiges
Rostquadrat seine Steine legt vor die vertauschten Ufer. Das
Blau des Horizonts steht Kopf vor diesem Krallenschritt.
Alles Lehnen vor dem balkonischen Pier ist eben noch dem
Nichts entlehnt und spricht tonlos vom Betonkrebs des Steges.
Der kennt kein Meer mehr, kein Land mehr, niemals mehr.

IV
Dann verdoppelt sich der Unsichtbare. Milchiges Grauen über
seinen Häusern, seinen Feldern, siebenfach und abgeteilt,
die Farben wechselnd zwischen Schwarz und Braun.
Der Stein gibt keinen Weg frei. Ein letzter Überrest von
Schmutz, doch diesen Bahnen bereits nicht mehr zuzuordnen.
Diesen Bahnen, die hinter dem eigenen Fortsinken erscheinen.

V
Am Ende tanzt er mit sich selbst als Haus, als grünem Haus,
als gelbem, bohrt sich mit jedem Tanzschritt tiefer ein ins
Dunkel des Versandens. Ein Versanden, das nichts mehr vor
sich hat, kein Meer und keinen Horizont. Eines, das nichts
mehr über sich hat, denn nun ist selbst das Grau aus der
Milch des Aufstieges genommen. Endlich alles besessen.

15. September 2022 06:17










Andreas H. Drescher

DER TAG NACH DEM TOD

Mein Blick wird stumpf angesichts der stummen, von Großvater verlassenen Dinge, von denen jedes mit einer eigenen Fremdheit gegen mich ansteht. Da ist es wieder, das ungelenke Starren, das sich schon in meiner Kindheit angekündigt hat. Aus meinem Blick während der Nachtangst in die Heillosigkeit des Dunkels. Ein Starren, das kein Ende finden kann, da sich jeder Gegenstand in der Nacht aus dem Bezug zum Menschen zurückzieht und nur noch für sich selber da ist. Bald halte ich es nicht mehr aus in der Fremdheit der Gegenstände und springe eilig die Treppe in den ersten Stock hinauf.

Als ich wieder vor Großmutter sitze, spreche ich von dem Schutz, der in meinen Kindernächten von ihrem Atem neben mir ausging. Da strahlt sie.

Es ist wahr. Nur ihre Fülle, ihre breite Wärme (Sie lacht, weil sie damals so viel schwerer war als jetzt.) bewahrte mich vor all der Leere. Sie war so sehr da, dass das Nichts nicht ankonnte gegen sie. Schon ihr Atem setzte eine eigene Geschichte gegen das Klaffen. Ihre Stimme hatte durch ihr Erzählen vom Fundevogel oder Frau Holle den Raum schon in einer Weise vorgeformt, dass sie das durch ihre langen Atemzüge nur noch aufrechtzuerhalten und zu bestätigen brauchte. Gleichgültig, wie vollkommen uns die Dunkelheit des Schlafzimmers umgab, es war kein Schwarz darin, nichts stand mehr stockschwer um meine Augen, wie wenn ich allein war, nichts griff mehr nach mir, nichts saugte mehr an mir, Großmutter war schließlich bei mir.

Nun lächelt sie ihre Bettdecke an, blinzelt dabei aber ein paarmal kurz hintereinander, sodass ich nicht sicher bin, ob ich sie nicht überfordert habe. Ich versuche mich an meine einzelnen Sätze zu erinnern, kann es aber nicht. Es scheint mir, als hätte ich sie unmittelbar an meinen Gedanken teilhaben lassen wollen. So fasse ich das noch einmal ein wenig griffiger zusammen:

„Ich war eben beschützt von deinem Atem. Er schob mir alle ängstigenden Figuren ganz ruhig in seine Nischen zurück. Es war eine wahre Pracht.“

Dann aber nennt sie einen Begriff, der mir bewusst macht, wie sehr ich sie unterschätzt habe, obwohl es kein Begriff von ihr, sondern einer der Groß, ihrer eigenen Großmutter, ist: „Johannisangst.“ So hatte sie die Furcht ihrer Enkel vor der Nacht genannt. Großmutter erinnert sich daran, dass die Groß einer Nachbarin riet, eine Eichenmistel dagegen unters Bett zu legen.

„Deine Anwesenheit war Magie genug. Das Fassen und Schnappen um mich her konnte mich nicht mehr erreichen, wenn du nur neben mir lagst.“

Was ich sagen will, ist etwas anderes. Dass es diese Nicht-Figuren, dieses seltsame Weben des Numinosen in der Nacht, nicht geben konnte, wenn sie im Raum war. In der Atmosphäre um sie her verlor das Schreckliche den Boden unter den Füßen, wie sonst ich ihn in dessen Gegenwart verlor. Das war Großmutters milde Verneinung des Nichts.

(Auszug aus dem Roman „Schaumschwimmerin“)

18. Mai 2022 09:10










Andreas H. Drescher

NASENSCHEIDEWAND

(NARVA / ESTLAND)

Es fügte sich 2004, dass meine Nasenscheidewand nach Estland versetzt war. Weit in den Osten verschoben, in das Gebiet von Narva. Dort roch ich schon die Oligarchen und die Sehnsucht nach der alten Zeit. Gern hätte ich in eine andere Richtung geschnuppert. Zum Beispiel in Richtung der Theaterluft von Tartu. Zu meinem Unglück wehte der Wind aber von ganz woanders her. Am Ende erschnüffelte ich sogar die kalte Wut auf meine Importschwemme. So rohölhaft stank es herüber, dass es zum Heulen war.

Vor lauter Verdruss rief ich mich selbst zum Nationalpark Lahemaa aus. Aber auch das hob meine Nasenscheidewand nicht auf.

Am Ende zog ich schließlich sogar in Erwägung, meine alten Rohölstinker doch noch mit dem Wahlrecht zu beglücken.

(Zuerst veröffentlicht in „Euroscopie“ mit Ulla Vigneron (†) 2007.)

9. März 2022 08:44










Andreas H. Drescher

Das was von der Topographie der Gerste
noch in die verschlossene Scheune passt
noch in die Scheune als Kassenabschluss

Das diese Idee dieser kompakte Schaden der
noch vor dem ersten Rotor eingezogen war
noch vor dem erstgeborenen Elektrozaun

Das erholt sich nun nicht mehr
Das versteckt sich in sich selbst

Noch rütteln nur Kuckuckshummeln daran
Noch nicht die Angelruten von Hornissen

26. Januar 2022 21:35










Andreas H. Drescher

STUDIUM PER SCHIZZI

(06.02.77)

Auf dem B<ffelleder
nach der Mondfahrt
Schmetterlingsfl<gel
06.02.<< in M<<rsalz
dem Kasten b<<l<<gend
gr<nlich w<<ß get<<t
Punkte ausl<<n<<rt
kantig Rand vor Firuz
Shah aus <<sgebl<<cht
dem Kasten b<<l<<gend
Punten unten verbunden
Inneres durchsichtig
von Lin<<n durchzogen

1.Ged<<<t z 2.Ged<<<t

18. Januar 2022 18:00










Andreas H. Drescher

Auszug aus Gerhard Neumanns „Unter Ziegelbränden“

Das 20. Todesjahr des Dichters Gerhard Neumann bricht gerade an, der einmal als eine der wichtigsten Stimmen der deutschen Lyrik galt. Seine Bücher gibt es glücklicherweise noch. Auszug aus "Unter Ziegelbränden" von Gerhard Neumann (Rimbaud Verlag).

4. Januar 2022 11:18










Andreas H. Drescher

Fronleichnam (Kapitel aus dem Roman „Schaumschwimmerin“)

17. Dezember 2021 09:26










Andreas H. Drescher

SARG IM WALD (Ein Kapitel aus dem Roman „Schaumschwimmerin“)

21. September 2021 08:26










Andreas H. Drescher

Von Socken gesteinigt

Von Socken gesteinigt
in denen ihre guten Wünsche
nach Patent-Art eingeschlagen sind

Patente für Zikaden-Zehen

Im Pfützenspringen verhärtet
Dem schmalen Eisdank
ist nicht zu entkommen

Nicht der Astronautenmütze
Nicht der Karnevalsangina

Offen eingekreuzt die lange
lange Unterhose
Weiche Vögel auf dem Sofa

auf ihrem letzten Weg zum Wald

24. August 2021 22:41