Thorsten Krämer
Die Interessen der Verlage können nicht die Interessen sein, die Lina Braake hat
Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst von der Abschaffung des geistigen Eigentums. Diesen Eindruck bekommt zumindest vermittelt, wer sich die Kampfschriften anschaut, die in den letzten Wochen in den angestammten Print-Medien zu den beiden Stichwörtern Google Books und Open Access veröffentlicht wurden. Gegen beide Initiativen regt sich massiver Widerstand, durch einen Kollegen wurde ich zuletzt auf eine Petition von textkritik.de aufmerksam gemacht, deren zum Teil namhafte Unterzeichner die Politik auffordern, der Unterhöhlung des Urheberrechts endlich einen Riegel vorzuschieben.
Was als erstes an dieser Debatte irritiert, ist die Verwendung des Begriffs „Urheberrecht“: Dieses Recht besagt nämlich in erster Linie, dass der Urheber eines Werkes als solches zu kennzeichnen ist, seine Urheberschaft nicht übertragen werden kann und sein Werk nicht entstellt werden darf. Sollen also bei Google Books Bücher anonym veröffentlicht werden, ohne Hinweis auf ihren Verfasser? Keineswegs. Vielmehr geht es um die Nutzungsrechte, also die Rechte, die gewöhnlich der Autor eines Werkes an den Verlag abtritt bzw. einräumt (was natürlich viel angenehmer klingt). Diese sprachliche Ungenauigkeit ist sicher kein Zufall: Denn die Rede von der „Abschaffung des Urheberrechts“ schürt gerade bei den Urhebern Ängste (wer möchte schon gerne um seinen Ruhm gebracht werden, der nun einmal untrennbar mit dem Namen verbunden ist!) Spräche man stattdessen von den Nutzungsrechten, lenkte man die Aufmerksamkeit darauf, dass in der gegenwärtigen Lage Urheber ohnehin schon sehr viele Rechte abtreten, an die Verlage nämlich.
Worum geht es dann eigentlich? Um die Interessen derjenigen, die diese abgetretenen Rechte vertreten, die Verwerter also. Insofern stimmt es schon nachdenklich, dass sich die Autoren, die zu den Unterzeichnern der genannten Petition gehören, so anstandslos vor den Karren der Verlage spannen lassen. Um die Sache ein wenig transparenter zu machen: Bislang verdient der Autor eines belletristischen Werkes zwischen acht (bei einem Taschenbuch) und zwölf (Hardcover und großzügiger Verleger) Prozent vom sogenannten Nettoladenverkaufspreis eines Buches. Fairerweise muss man sagen, dass die meisten Verlage Vorschüsse zahlen, die üblicherweise etwas über dem kalkulierten Verkaufsanteil liegen. (Allerdings kenne ich auch Autoren, die Teile ihres Vorschusses wieder zurückzahlen mussten.) Zum Vergleich: Der Buchhändler bekommt 30-35 Prozent, und das bei einem weitreichenden Remissionsrecht, d.h.: anders als andere Zwischenhändler muss der Buchhändler seine Ware nicht einkaufen, sondern bezahlt sie erst, wenn er selbst sie verkauft hat – und wenn er das nicht schafft, schickt er sie einfach wieder an den Verlag zurück. Das ist, wie gesagt, der Ist-Zustand, der meines Wissens noch nie Gegenstand eines Appells an die Politik war.
Ein anderes Beispiel: In der Petition auf textkritik.de heißt es: „Es muß auch künftig der Entscheidung von Schriftstellern, Künstlern, Wissenschaftlern, kurz: allen Kreativen freigestellt bleiben, ob und wo ihre Werke veröffentlicht werden sollen.“ Im Moment besteht diese Wahlfreiheit darin, sich selbst einen Verlag zu suchen, das stimmt freilich, bedeutet aber in der gängigen Praxis: Hat ein Autor erst einmal seine Nutzungsrechte abgetreten (also einen Vertrag geschlossen), ist es der Verlag, der entscheidet, ob und bei welchem Verlag zum Beispiel eine Taschenbuchausgabe des Werkes erscheint, oder ein Hörbuch, oder welche Produktionsfirma die Rechte an der Verfilmung bekommt – wenn der Autor da mitreden kann, dann allenfalls aus Kulanz, rechtlich gibt es in diesen Fällen keinerlei Wahlfreiheit, da er genau diese Freiheit ja mit seiner Unterschrift unter den Verlagsvertrag aufgegeben hat (finanziell wird er natürlich beteiligt).
Es ließen sich noch mehr solcher Unstimmigkeiten zeigen (etwa die Tatsache, dass nur die allerwenigsten Autoren allein von ihren Verkäufen leben können, sondern Honorare für Lesungen, Stipendien und Preise stets mit in die Kalkulation gehören), die von denjenigen, die jetzt gegen Google Books und Open Access trommeln, interessanterweise nicht thematisiert werden, obwohl sie sich doch für die Interessen der Urheber einsetzen wollen. Was den Schluss nahe legt, dass es allein die Vermittler und Verwerter sind, die sich verzweifelt an das gute Leben klammern, das sie selbst auf Kosten der Urheber lange gelebt haben. Dass aber die Autoren, die von den Krumen leben müssen, die von den Buchhandels- und Verlagstischen fallen, nun in dieses Klagen einstimmen, zeigt nur das Maß ihrer Abhängigkeit.