Hendrik Rost

Adaption

Ein Ort, den es schon gar nicht mehr gibt und den ich nie vergessen kann, ist der Arbeitshühnerstall von Rutger Kopland. Hier in diesem Verschlag in seinem Garten, einem langen und schmalen halb verwilderten Stück der Niederlande, saß er in einem vollständig durchgesessenen Ledersessel. Es gab einen öligen Schreibtisch, Bücher an den Wänden und Zeitschriften, die nach einem komplexen Chaosprinzip aufgeschlagen auf jeder freien Fläche lagen. Drei große Fenster zeigten nach Westen, Norden und Osten. Ein uralter Holzofen bollerte halb übellaunig, halb gutmütig. Kopland sprach immer mit Bedenkzeit – er hörte schlecht, aber er wusste auch, dass es wichtig ist, sich jede Antwort kurz durch den Kopf gehen zu lassen. Wenn er von anderen Autoren sprach, dann aus Bewunderung. Wenn nicht Bewunderung, dann Respekt – vor den Hühnern, die früher hier gegackert haben, dem Bahndamm hinterm Haus, auf dem die Menschen dahinreisen, dem Abdruck eines zwiespältigen Gedichts in Ausgabe XX der Literaturzeitschrift von 1987. Für den professionellen Traumforscher ist es selbstverständlich ein Stilprinzip, die calvinistische Vernunft und die nächtlichen, mitunter bedrohlichen Gespinste, eigene und die anderer, wertzuschätzen. Dieses lebenslange Lesen und Schreiben so vor sich hin ist sicher eine Remedium gegen den allgemeinen Hang zur Ablehnung. Ich hatte die ganze Zeit das seltsame Gefühl, eine lange und tiefgreifende Kränkung zu erleben, die mit dem Leben zusammenhängt und seinen Anforderungen, Fehlschlägen und literarischen Hackordnungen. Und diese Kränkung war allmählich zu einem Teil des Erfolgs geworden, zu zahllosen eigenen Büchern und zu einer Grundhaltung, die aus einem alten, sterbenden Dichter einen bewundernswerten Schelm macht.

9. Dezember 2016 14:25