Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (202)

16. Mai 2016, ein Montag

Heute endete der Aikido-Lehrgang bei Jan Nivelius-Shihan. Solche Lehrgänge rütteln gehörig durch, wenn man sich nicht dagegen abschließt, und das zu tun, wäre natürlich ein Missverständnis. Also lässt man sich durchrütteln. Ich bin regelmäßig hypnotisiert von Nevelius‘ scheinbarer Simplizität und erwache mit Schrecken, sobald ich das, was so überaus simpel schien, selbst anwenden soll. Ich adaptiere oft auf törichte Weise ungelenk und langsam. Besonders offenbarend dann auch der eine Zeitpunkt, bei dem Nevelius mich nach vorn holte, um ihn anzugreifen. Da war ich dann ein vollkommener Tollpatsch.

Die Manga-Serie Gute Nacht, Punpun ist mit Band 13 zu Ende gegangen. Auf dem Buchrücken steht, es sei ein verstörender und aufwühlender Blick in die Welt eines träumenden Vogels, und das trifft es. Das Fragmentarische überfordert, aber Asano schafft auf diese Weise Dunkelstellen, die dann in der Fantasie explodieren können. Oft greift er zu Klischees, spielt aber mit ihnen in klarsichtiger Boshaftigkeit. Er ist großartig, ohne dass ich ihn recht fassen könnte. Außer, dass ich mir vorstelle, dass das konfuse urbane japanische Gehirn in letzter Konsequenz so funktionieren könnte, wie es sich hier darstellt.

Mit Frau S. am Sonnabend in A Bigger Splash, ein italienisches Remake von Derays Swimmingpool, den ich kaum wiedererkannt habe, was zum Teil daran liegen dürfte, dass ich viele Filme so rabiat vergesse. Ungeachtet davon bezaubern Ralph Fiennes in seiner Entfesselung und Tilda Swinton in ihrer stillen provozierenden Souveränität. Dazu immer wieder filmisch kluge Auflösungen mit lange Fahrten, Kreisfahrten. Auch hier entfesselt und souverän, genau wie das Buch, das trotz kriminalistischen Ansatzes bis zum Ende keine Rücksicht darauf zu nehmen scheint, ob etwas „funktioniert“.

Mit Frau S. … ja, mit Frau S. ist es schön. Gestern in ihrer Wohnung, in ihrem Zimmer, auf ihrem Teppich, hörten wir, während Frau S. mir eine Shiatsu-Massage verabreichte, ‚Anthony and the Johnsons‘, und ich bekam anfangs Gewissensbisse, weil dessen Songs eng mit vergangenen Zeiten mit A. verknüpft sind, doch lösten sich diese Verknüpfungen, und während wir diesen Liedern, die Engel zum Weinen brächten, lauschten und mein Kopf so eingebettet lag war, war es mir, als könnte ich einfach in Tränen ausbrechen und Frau S. zurückgeben, was ihre spendable Liebe mir andauernd gibt. Aber ich weinte dann doch nicht, und wir lagen lange still. Das waren so Momente.

16. Mai 2017 08:53