Mathias Jeschke

DIE VORSOKRATIKER von William Carpenter

Diese Gespräche werden immer komplizierter,
je weiter man sich entfernt.
So spät hast du angerufen, ich schlafe geregelt.
Ich wache auf mit diesem Klingeln im Ohr.
Du machst die Dinge viel größer, als sie sind. Übermäßig.
Es ist unmöglich, dass du „Parmenides in die Arme gelaufen“ bist.
Wie sollte er gesagt haben, dass „die Sonne täglich neu ist“?
Vielleicht haben sie so gedacht, die Vorsokratiker.
Sie waren so wunderbar naiv in jenen Tagen.
Vielleicht waren sie auch jeden Tag bis zu ihrem Tod einfach jung.
Wie ich es sehe, sehnt sich die Sonne nach dem Tod,
so wie jeder andere.
Jetzt gerade kannst du es sehen, am späten Nachmittag,
sie möchte ein roter Riese werden.
Sie möchte mit ihrer eigenen Spiegelung die Ehe schließen.
Sie möchte in ein Becken steigen, voll von ihrem eigenen Blut.
Ehrlich, ich fürchte mich vor diesen langen Abenden.
Fernsehen bringt’s grad auch nicht mehr.
Es geht auch niemand mehr raus, die Straßen sind gefährlich.
Das Kino, in dem wir „Eraserhead“ sahen, wurde abgerissen.
Wenn die Sonne jeden Tag neu ist, gilt das auch für die Nacht.
Das Telefon sitzt da, eine Hand auf dem Herzen,
sein langer, gelockter Schwanz.
Du bist zornig, weil du nie Kinder hattest.
Es ist immer dasselbe, was soll ich antworten?
Die Chinesen nehmen ein Sonnenbad an ihren gelben Flüssen.
Sogar die Sonne ist schwanger auf der anderen Seite der Welt.
Es gibt keine Autobahn, die von diesem Haus zu deinem Haus führt.
Sie befinden sich nicht mal auf derselben Karte.
Ich trage jeden Morgen eine neues Hemd oder eine neue Weste.
Ich versuche, glücklich zu wirken.
Bestand hat nur die eine Bedeutung einer Straße: Dass es sie gibt.

(Aus dem amerikanischen Englisch von Mathias Jeschke.)

21. November 2015 21:38